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In der Abteilung, welcher ich heute zugeteilt war, angekommen, musste ich mich sofort über den Zustand der Patienten erkundigen und selbstverständlich alles dokumentieren.

Der Papierkram war jeden Tag aufs Neue lästig aber glücklicherweise würden sich um diesen schon bald die neuen Assistenzärzte kümmern. Es blieben nur noch wenige Tage bis zur Entscheidung, wer den Posten des Stationsarztes bekommen würde. Mit diesem Beschluss würde auch mein zweites Ausbildungsjahr enden und das dritte beginnen. Ich würde endlich selber Entscheidungen treffen können und hätte mehr Mitspracherecht. Ich wäre nicht länger nur eine der Assistenzärzte, die man rumschubsen konnte und denen man Befehle erteilte, ohne auf ihre Meinung zu achten.

Während ich voller Vorfreude durch den Flur spazierte, um die Krankenakten an der Rezeption abzugeben, stieß Namjoon an meine Seite.

,,Kommst du bitte in mein Büro?“. Seine Bitte hörte sich weniger nach einer Frage sondern nach einem Befehl an, weshalb ich schweigend gehorchte und ihm folgte.

Wir betraten sein Büro und ich setzte mich auf den Stuhl, welcher vor seinem Schreibtisch stand. Aus irgendeinem Grund konnte ich die Nervosität in mir aufsteigen spüren und schaffte es nicht, ihm in die Augen zu sehen. Die Erkenntnis, dass wir nicht gleich übereinander herfallen würden, schnürrte mir die Luft ab. Mein Kopf war eine leere Hülle und ich brachte kein Wort heraus.

,,Das zweite Ausbildungsjahr neigt sich langsam dem Ende zu und du hängst ein wenig hinterher“, erklärte Namjoon. ,,Jimin und Taehyung hatten bereits beide eine Solo Operation. Du bist die einzige, die diese Erfahrung noch nicht gemacht hat“.

Eine Solo Operation war für einen Assistenzarzt eine große Ehre und zeigte, dass man ihm genug vertraute, einen Patienten selber operieren zu dürfen. Bei dieser Operation durfte der Assistenzarzt die gesamte Situation leiten und entscheiden, wie er als nächstes vorging. Die anderen Ärzte assistierten ihm und überließen ihm die ganze Verantwortung. Würde der Patient es überleben, wäre es sein Verdienst und würde er sterben, wäre es seine Schuld.

,,Du weißt, dass das nicht gut ist, oder?“.

Ich nickte und vermied weiterhin den Augenkontakt, weil es mir nach dem gestrigen Abend einfach viel zu unangenehm war, ihn anzuschauen.

,,Wenn du es nicht hinbekommst, dich hochzuarbeiten, dann hast du keine Chance auf den Posten des Stationsarztes“, bemerkte er.

Ich spürte seinen nachdenklichen Blick auf mir und schaute unbehaglich auf den Boden.

,,(Y/N), nimmst du die Sache überhaupt noch ernst? Willst du nicht irgendetwas dazu sagen statt auf den Boden zu starren?“.

,,Es tut mir leid...“, murmelte ich so leise, dass er mich kaum gehört hat.

,,Wofür entschuldigst du dich?“.

Zum ersten Mal blickte ich hoch und schaute ihn direkt an.

Er sah viel besser aus als gestern. Seine Augenringe waren verschwunden und seine Augen strahlten nicht länger Erschöpfung aus. Seine gesamte Statur kam erholt und ausgeschlafen rüber, was mich sehr beruhigte.

,,Für gestern und für das, was ich gesagt habe. Es war nicht fair von mir, für uns beide zu entscheiden“.

,,Nein, war er nicht“, stimmte er mir zu. ,,Aber das tut gerade nichts zur Sache. In diesem Gespräch geht es nicht um uns sondern allein um dich und deine Karriere. Es sei denn, diese bedeutet dir rein gar nichts mehr“.

Ich schwieg und schaute wieder weg. Natürlich war mir meine Karriere wichtig und das würde sie auch immer sein. Nur gab es momentan auch diese andere Sache, die mir nicht mehr aus dem Kopf ging. Ich wollte eine Familie.

Ganz genau. Ich wollte eine Familie. Ich war mir immer noch nicht sicher, woher dieser Wunsch aufgetaucht war und ob er überhaupt anhalten würde. Womöglich lag es daran, dass ich nie eine richtige Familie hatte. Meine Mutter hatte meinen Vater betrogen als ich gerade mal fünf Jahre alt war, woraufhin er uns verlassen und eine andere Frau geheiratet hat. Soweit ich wusste, hatte ich eine kleine Halbschwester, mit der ich jedoch keinen Kontakt hatte und auch keinen wollte, denn als meine Mutter von seinem neuen Kind erfahren hat, hatte sie einen Zusammenbruch erlitten. Seitdem hatte sie sich noch mehr in ihre Arbeit gestürzt und mich dabei vollkommen ausgelassen. Ich war für sie nur eine Last gewesen, die sie am liebsten so schnell wie möglich losgeworden wäre. Sie hatte sich weder um mich gekümmert noch um mich gesorgt. Ich war ihr einfach nur egal gewesen und erinnerte sie an den Mann, den sie mit ihren Taten aus ihrem Leben verscheucht hatte.

Doch ich würde es besser machen. Wenn ich ein Kind hätte, dann würde ich alles besser machen und meiner Mutter beweisen, dass ich keine Enttäuschung war.

,,Also gut. Ich hab einen Vorschlag für dich“, sagte Namjoon seufzend und erweckte meine Aufmerksamkeit. ,,Du bist eine gute Ärztin und hast Talent, sowie genug Kenntnisse, um eine eigene Solo Operation zu bekommen“.

,,Was?! Wirklich?“, fragte ich begeistert und sprang auf.

,,Wirklich. Ein Patient braucht dringend eine Transplantation. Diese findet in zwei Tagen statt und du wirst sie leiten und durchführen, während ich, die Chefärzte und alle anderen zuschauen werden“, erklärte er ruhig. ,,Vermassle es nicht“.

Überglücklich bedankte ich mich bei ihm und ging zur Tür. Doch anstatt den Raum sofort zu verlassen und Jimin und Taehyung von den guten Neuigkeiten zu berichten, blieb ich stehen.

,,Ich weiß es zu schätzen, dass du mir diese Möglichkeit gibst, Namjoon. Wirklich. Danke“.

,,Schon okay“, erwiderte er. ,,Du solltest an die Arbeit oder willst du etwa, dass ich meine Entscheidung bereue?“.

Auf seinem Gesicht lag ein kleines Lächeln, das meine Schuldgefühle schrumpfen ließ.

Ich hatte ihn so unfair behandelt und war egoistisch gewesen. Trotzdem gab er mir diese große Chance und schien nicht einmal verärgert zu sein. Ich durfte ihn auf keinen Fall enttäuschen.

,,Danke“, sagte ich noch ein letztes Mal und verließ den Raum mit einem breiten Grinsen.

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Versichert ◃▹ Jeon Jungkook x ReaderWhere stories live. Discover now