nine

119 8 0
                                    

So schnell wie möglich versuche ich mich von Creepy Clara zu entfernen. Die Alte hat echt nicht alle Tassen im Schrank. Labert von Schicksal und dem ganzen Zeug. Ich persönlich denke, dass Schicksal einen feuchten Dreck ist.

Ich schleppe den Staubsauger einen Stock nach unten, und mache mich ran, ein Mädchenzimmer zu staubsaugen. Die älteren Kinder machen das natürlich selbst, aber bei den Kleinen muss man jede Woche einmal mit dem Staubsauger rein. Das verstehe ich absolut gar nicht, wer staubsaugt schon jede Woche sein Zimmer? Ich kann mich auf jeden Fall nicht mehr an mein letztes Mal erinnern. Vielleicht ist das nicht gerade etwas gutes, aber ich habe momentan wirklich grössere Probleme, als die Staubflocken auf meinem Zimmerboden.

Als ich einen schwarzen Plüschhund vom Boden aufsammle und aufs Bett lege, bemerke ich, dass eine Person im Türrahmen steht. Ich schalte den Staubsauger mit dem Fuss aus und schaue in das grinsende Gesicht von Liam.

'Was suchst du denn hier? Hast du deine Barbiepuppe verloren?' sage ich und schmeisse ihm eine Puppe zu, die er für seinen schwächlichen Körperbau erstaunlich gut fängt.

'Zimmer meiner Schwester' meint er nur, kommt rein und lässt sich auf die rosa Betwäsche fallen.

'Sag mal, hast du eigentlich schon deine zukünftige Ehefrau getroffen?' schmunzelt er und ich muss kurz überlegen, bis die Gllühbirne über meinem Kopf schliesslich aufleuchtet.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass Creepy Pluderhose nicht alleine auf die Idee von Schicksal gekommen ist und lasse wieder mal meine Handfläche gegen meine Stirn prallen.

'Nach der Durchfall-Sache mit Katy denkst du ernsthaft ich mache nichts dagegen?' fragt er und inspiziert denselben Plüschhund, den ich gerade aufs Bett geworfen habe.

'Du hast Katy gesagt ich bin schwul' grinse ich nur und kann seinen Rachefeldzug ein wenig verstehen. Aber ich werde das natürlich nicht lange auf mir sitzen lassen.

'Whatever' sagt er in einem akzentfreien Englisch und verlässt den Raum, nicht ohne natürlich mir noch ein Herz mit der Hand zu formen und den Namen Clara mit den Lippen zu formen.

Ich ignoriere ihn und überlege schon mal, wie ich es ihm mit Katy verleiden kann. Vielleicht sind wir zwei Kindsköpfe, aber ich werde sicher nicht derjenige sein, der damit aufhört.

Der Rest des Tages verbringe ich hauptsächlich damit, Zimmer zu staubsaugen und in der Küche mit dem Mittagessen zu helfen. Ehrlich gesagt, ohne Katy ist es ganz schön langweilig, vor allem weil Andrew der einzige ist mit dem ich richtig sprechen kann. Antonio und Isabel haben mir ihre Ärscher zugedreht, aber ich kann es ihnen auch nicht übelnehmen. Was mir aber an den beiden aufgefallen ist, ist, dass sie seit meiner letzten Konversation mit ihnen fast kein Wort miteinander gesprochen haben, oder zumindest nur das nötigste. Tja, wer Scheisse baut muss mit den Konsequenzen leben, wie ich es gerade am eigenen Leib erfahre.

Ann lässt mich schon wieder früher raus, worauf sie gleich ein paar Sympathiepunkte bei mir erntet. Ohne es zu beabsichtigen, bin ich wohl ihr kleiner Goldjunge geworden, und da die ganze Sache mit der Schule gut geklappt hat, ist sie sowieso bei bester Laune. Ich hoffe ich vergeige es nicht wenn sie herausfindet, dass ich nicht nur aus Gutwill hier bin. Ehrlichgesagt ist mir es so ziemlich egal, denn obwohl sie eigentlich meine direkte Vorgesetzte ist, bekomme sie sowieso nicht so oft zu sehen. Leider. Denn je weniger Zeit ich mit ihr verbringen kann, desto mehr muss ich in der Küche arbeiten. Zum Glück brauchen die Putzleute viele Hilfe, da sie ganz schön unterbesetzt sind. Aber auch wenn ich es die meiste Zeit überspiele, in der Küche wird mir die Arbeit immer unangenehmer. Insbesondere jetzt wo Katy nicht mehr da ist. Und in ein paar Wochen werde ich hier alle sowieso nie mehr sehen.

Und da wird es mir bewusst, ich werde nicht immer hier arbeiten können mit Liam und seinen scheiternden Anmachen, mit dem bösen aber ziemlich sportlichen Chipmunk und auch die übersoziale Katy werde ich nicht mehr sehen. Auf viele kann ich verzichten, aber ich hätte wirklich nichts dagegen wenn plötzlich Liam oder Matilda in meinem Klassenzimmer auftaucht. Wenn aber Creepy Clara auf einmal vor mir steht, nehme ich wahrscheinlich schon lieber die Beine in die Hand und verschwinde mit dem nächsten Flug auf Honolulu. Bei aller Liebe oder auch nicht, die Olle macht mir langsam echt Angst, und das ist wirklich sehr schwer zu erreichen. Da muss ich mir schon alle Ghostbusters reinziehen, um nachts ins Bett zu machen und dann in das meiner Mutter zu hüpfen. So denkt aufjedenfall meine Familie von mir. Apropos Familie, meine Mutter hat mir in meiner Mittagspause eine Nachricht geschrieben, dass ich mir diesen Sonntag lieber freihalten soll. Die gute alte Tante Mandy, die ältere Schwester meiner Mutter und die kleinere von Brenda, wird fünfzig, und wenn ich nicht einen Kopf kürzer durchs Leben stolzieren will, sollte ich mal lieber aufkreuzen.

Ich sehe meine Verwandten wirklich nicht oft, aber das hat auch damit zu tun, dass wir die einzigen Familienmitglieder sind, die in dieser Kleinstadt wohnen. Die anderen wohnen alle in grösseren Städten, und diese findet man erst knapp eine Stunde entfernt von hier. Und ich kann mir wieder von allen meinen Cousins und Cousinen anhören, wie toll das Leben in der "City" doch ist. Sie haben als waschechte Stadtkinder natürlich einen richtigen Slang drauf, den ich wie so oft nicht verstehe und einfach nur nicke. Und die meisten meiner jüngeren Verwandtschaft hat es sich auch noch zur Aufgabe gemacht, in die Hipstermode der ganz krassen Paris-Laufstegmodels einzutreten. Das widerfährt wenigstens den meisten Alten in meiner Familie, worauf ich mit meinen einfachen Klamotten ein paar Sympathiepunkte für mich und meine Mutter einbringen kann, die wir wirklich gut gebrauchen können. Eine Scheidung oder schlechte Schulbildung wird bei uns Heiligen nicht gerne gesehen, und auch wird mir und meiner Mutter ständig gepredigt, dass wir anfangen sollen, jeden Sonntag in die Kirche zu gehen. Ich kann mich wirklich glücklich schätzen, dass ich eine ziemlich offene Frau als Mutter habe, denn sie ist nicht mal gläubig und nur an Weihnachten und am Todestag meines Grossvaters schauen wir kurz in die Kirche.

Wie auch immer, wir halten zusammen und haben der geliebten Verwandschaft schon die ein oder andere Lüge im Bezug auf Schulnoten und Kirche erzählt.

Heute ist es ziemlich heiss als ich das Haus verlasse, der Himmel strahlt in einem hellen Blau, und vom Regens sind nur noch ein paar flache Pfützen auf der Strasse übrig. Da ich wiedermal auf den Bus warten muss, entscheide ich mich in das gleiche Café wie gestern zu gehen. Der Weg ist nicht besonders lang, er führt an einer Strasse entlang und es befindet sich gleich an einer Abzweigung zu einer Nebengasse.

Ich muss zwar immer noch fast zehn Minuten auf der Bank warten, deren rote Farbe kläglich abblättert, aber wenigstens habe ich einen Eiskaffee, der mir im Bus drin ein paar neidische Blicke einbringt. Ich habe das Gefühl, in diesem ist die Klimaanlage irgendwie kaputt oder erst gar nicht vorhanden. Der Busfahrer schwitzt aufjedenfall wie ein Schimpanse in der Sauna, und durch die vielen Leute mildert sich das Klima drin auch nicht gerade.

Als ich zuhause ankomme, bemerke ich bereits die vielen gefüllten Kartonschachteln auf dem feuchten Rasen. Die Tür steht offen, und drinnen treffe ich auf meine Mutter, die gerade ihre gefühlten hundert Kochbücher in die braunen Schachteln füllt.

Und nicht nur draussen herrscht Chaos, drin sieht es nach einer kompletten Explosion aus.

Mom freut sich, als ich eintreffe und weist mich gleich an, mein Zimmer in Schachteln zu verpacken und das Wichtigste für das Hotel in den grossen Koffer im Keller.

Ein Umzug dauert meist viel länger, aber unsere Habseligkeiten sind durch das ewige herumziehen ziemlich aufs Nötigste beschränkt. Meine Mutter versucht trotzdem immer, es gemütlich einzurichten, schliesslich haben wir einen Ruf zu verlieren wie sie immer sagt. Bei wem wir unseren Ruf verlieren sollen ist mir bis heute unklar, aber es ist mir recht. So wohne ich immer in einem gemütlichen Umfeld. Ich kann mich wirklich nicht beklagen.

Beim Abendessen, welches wir wieder mal beim Couchtisch veranstalten, da unser eigentlicher Tisch voll mit Kartonschachteln ist, erzähle ich ihr von der Exkursion morgen und sie findet es eine tolle Idee.

'Diese Arbeit dort tut dir wirklich gut denke ich. Du kannst viel von dort mitnehmen.' sagt sie und blickt auf den Fernseher, der im Hintergrund läuft.

Ich nicke nur stumm und stochere in den bereits kaltgewordenen Nudeln herum.

Auf der einen Seite stimme ich ihr zu, auf der anderen möchte ich einfach nur dass diese Ferien vorbei sind, so ungläubig das jetzt auch klingen mag.

matilda Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt