one

410 34 23
                                    

‚Guten Tag! Ich bin Kirstin und du musst Joel sein, richtig?' fragt mich die Brünette. Ich nicke stumm und folge ihr durch die schwere Holztür.

Aufgrund meines „kindischen und verantwortungslosen Verhalten", wie meine Mutter es nannte, muss ich nun Sozialstunden absitzen. Und das ausgerechnet bei den abgefuckten Kids im Waisenhaus.
Ann, eine alte Schulfreundin meiner Mutter, die nicht weniger arrogant ist als sie selbst, leitet momentan die Hütte. Und obwohl ihr Portemonnaie zu platzen scheint, sieht es hier echt nicht gut aus. Darum springt der liebe Joel doch mal gerne als Arbeitskraft ein.

Kotz. Als ob.

Die Brünette stöckelt vor mir durch einen schmalen Flur. Die Wände sind mit Kinderzeichnungen und Rotze beschmiert und die Glühbirne an der Decke flackert.

Wir betreten einen hellen Saal, der mit Holztischen und klapprigen Stühlen ausgestattet ist.

Wo sind die Waisen? Verrotten die in ihren Räumen anstatt zu essen oder was?

Die Brünette, deren Namen ich schon wieder vergessen hatte bemerkte anscheinend meinen Blick.

‚Die Kinder sind gerade in ihren Zimmern und machen Schularbeiten.'

Wer zum Teufel machte in den Ferien Hausaufgaben? Die Kids hier haben echt einen an der Waffel.

Die Frau führt mich durch eine weitere Tür, zur Küche. Aus einem Schrank kramt sie einen hässlichen weissen Kittel heraus. Ich stöhne auf. Sind wir hier in einem Krankenhaus oder was?

Kirstin - ihr Name fiel mir wieder ein - erklärte mir wie alles lief und was ich alles machen musste.

Das dreckige Geschirr säubern, den Kids das Essen schöpfen und später die Bettlaken in den Zimmern auswechseln falls jemand sich angeschissen hat. Ich hörte nur mit einem halben Ohr zu.

Meine Mutter ist noch nie so ausgetickt, selbst dann nicht als ich mit einem gestohlenen Auto in einen Baum gefahren bin. Vielleicht war sie dort aber einfach nur heilfroh, dass ich mir nur das Handgelenk verstauchte und eine leichte Gehirnerschütterung zuzog.

Ich quetsche mich in den muffigen Kittel . Als ob dieser nicht schon genug wäre, will Kirstin mir noch so eine hässliche Badehaube aufzwingen, wegen Hygiene und so weiter. Scheiss auf Hygiene, ich will nicht aussehen wie meine dicke Tante Brenda wenn sie gerade ein heilendes Energiebad in ihren Gänseblümchen nimmt.

Sie seufzt als ich mich widersetze. 'Joel, das sind die Regeln hier. Bitte respektier sie.' Augenrollend ziehe ich mir die Haube über. Zeitgleich öffnet sich die Tür und ein kleiner Mann mit derselben albernen Badekappe kommt herein.

'Ciao, ich bin Antonio. Bist du bereit?' fragt er und schüttelt mir die Hand. Zögernd schaue ich zu Kirstin, die sich derweilen wieder dem Schrank zugewandt hatte, aus dem ein paar weitere Hauben fielen. Schliesslich nicke ich. Je schneller ich jetzt arbeite, desto schneller habe ich meine Stunden zusammen.

Mom hat mir einen Plan zusammengestellt, mit zweihundert Sozialstunden. Wenn ich von Montag bis Freitag als voller Arbeitstag arbeite, sind das insgesamt fünf Wochen Arbeit. Ich atme hörbar aus. Fünf Wochen von insgesamt sechs Wochen Sommerferien. Als äusserst strenge Primarschullehrerin ist sie ein echter Kontrollfreak. Schon seit ich klein bin, erstellt sie Menupläne und was ich welchen Tag anziehen sollte. Heute ist das mit dem Anziehen natürlich nicht mehr so. Sonst würde ich immer noch mit Superman- Shirts herumrennen.

Nachdem Antonio mich in die Küche geführt hat, stellt er mich den anderen drei Arbeitern vor. Eine Blonde mit üppiger Oberweite stellt sich als Katy vor. Sie ist etwa in meinem Alter. Ich grinse. Vielleicht wird es hier doch nicht so übel.

matilda Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt