three

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Ich schlucke und blicke meiner Mutter in ihre braunen Augen. Wir müssen eintreten, Nachbarn sind fast einen Kilometer entfernt und der Regen möchte nicht aufhören. Es ist unser Zuhause, wir haben keine Wahl.

Wir betreten das Haus. Der Fernseher im Wohnzimmer läuft, und ein fast kahler Haarschopf ragt über die Sessellehne heraus.
Der Wind klatscht die Tür unsanft zu, was die Person im Sessel zum aufzucken bringt. Er steht auf, und ich sehe ihn zum ersten Mal seit einigen Jahren wieder.
Er hat mehr Haare verloren und einen leichten Buckel gekriegt, und trotzdem sieht er immernoch fit aus. Vielleicht zu fit.

‚Wisst ihr, das ist wirklich ein schönes Haus.' sagt er und erst jetzt bemerke ich die Tequilaflasche in seiner Hand.
‚Unser altes Haus war auch schön, ach ja, aber dieses gefällt mir wirklich.' Er macht ein paar Schritte auf meine Mutter zu, die wie versteinert neben mir steht und meine Hand hält. Ich spüre seine Blicke auf ihrem Körper. Es ist schwer zu deuten. In seinen Augen sehe ich ein ekelhafte Blicke, die den Körper meiner Mutter mustern, in ihren dagegen blitzt Angst auf, und noch das kleine Fünkchen Liebe die sie einmal so sehr spürte.
‚Vielleicht ziehe ich hier sogar ein, was denkst du Linda?' Stephen hebt seine Hand an die Wange meiner Mutter, aber bevor er sie nur berührt, ramme ich ihm meine Faust mit voller Wucht ins Gesicht.
Kurzschluss. Reflex.

Ich schüttle die Hand aus, als ob ich sie mir dreckig gemacht habe. Im gewissen Sinne habe ich das ja auch.

Mom schreit erschreckt auf, er grinst mich nur vom Boden mit blutigen Zähnen an, worauf ich noch einmal zuschlage.
und noch einmal.

Meine Mutter stoppt mich schliesslich, und nimmt mich in den Arm. Stephen liegt auf dem Boden und regt sich nicht mehr.

Und als ich in die Arme meiner Mutter gleite, ist das kurze Gefühl von Macht über Stephen sofort verflogen.
Ich bin wieder der verängstigte kleine Junge auf dem Trampolin.

-

Ich schlage die Tür hinter mir zu und fange an zu rennen. Das Handy und der Schlüssel in der Tasche meiner Lederjacke klappern bei jedem Schritt gegeneinander, was die hässlichen Pixelfehler auf dem Display erzeugt. Ich würde es später bereuen, in diesem Moment ist es mir aber gerade herzlich egal, denn ich habe einen Bus zu erwischen.

Ich jogge an den Häuserblöcken vorbei und mir fährt langsam aber sicher ein Seitenstechen ein. Verdammt. Ich hätte dieses Jahr vielleicht doch als Freifach Sport wählen sollen.

Keuchend erreiche ich schliesslich die Bushaltestelle, zeitgleich mit dem gelben Bus.

Bevor ich in das überfüllte Gefährt einsteige , versuche ich noch meine Atmung unter Kontrolle zu kriegen. Was mir allerdings nicht gelingt.

Ich schaue mich um. Zwei Frauen in den Mittvierzigern; eine schwanger, die andere mit Riesenhupen, unterhalten sich direkt neben mir. Ausserdem telefoniert auf der anderen Seite ein Geschäftsmann, der gerade dabei ist einer seiner Mitarbeiter zu feuern. Der wird mich sowieso nicht hören.

Bis auf zwei dreizehnjährige Mädchen die mich belustigt anschauen, ziehe ich keine Aufmerksamkeit auf mich. Und wenn die mich als schnaufender Wasserbüffel abstempeln ist das mir ziemlich gleichgültig.

Nach der dritten Station steige ich aus und marschiere in die entgegengesetzte Richtung der Hauptstrasse. Vielleicht hätte ich doch mit meiner Mutter mitfahren sollen, der Weg ist länger als gedacht.

Es ist egal. Ich bin sowieso etwa eine Stunde zu früh. Nach dem ganzen Drama mit Stephen muss ich jetzt meinen Kopf durchlüften. Ich möchte nicht mehr an ihn denken.

Mom hat ihn gestern Abend noch im Kofferraum weggefahren, zwei Stunden entfernt von hier. Er wird ihn nicht davon abhalten, wieder zu kommen, aber wir konnten ihn nicht einfach so vor die Tür stellen. Insgeheim hoffe ich, dass er denkt er hatte einen wirren Traum im Suff, und das er uns nicht mehr wiederfindet. Auch wenn man diese Möglichkeit mit einem Sechser im Lotto gleichstellen könnte, hoffe ich das Beste.

matilda Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt