Fünfunddreißig - Silas

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"Hasst du den Kontakt zu deinem Vater?", fragte ich. "Meinem biologischen Vater. Ich versuche es zu vermeiden. Ich habe ihn in meiner Kindheit ein paar Mal getroffen, aber immer unter Aufsicht von Ray oder Mike. Ich brauche ihn nicht. Ich habe zwei wundervolle Väter, die diese Bezeichnung auch verdienen", erklärte Fey steif. "Aber du hast keine Mutter. Außer einer handvoll Lehrerinnen hattest du in deiner Kindheit praktisch keine weiblichen Bezugsperonen. Deswegen beschäftigt dich deine Mutter und deswegen solltest du dir vielleicht mal anschauen, wer sie ist", gab Reykja zu bedenken. Fey brummte unzufrieden. "Ich habe Frauen auch nie gebraucht", stellte sie fest. "Nein, hast du nicht. Trotzdem ist es okay, wenn du dich für deine Mutter interessierst", entgegnete die Magierin. "Es sind auch nicht alle Mütter so scheiße wie meine. Trotzdem bin ich froh, dass ich weiß, wer sie ist", mischte ich mich ein. "Und wenn sie scheiße ist?", fragte Fey und hielt einen Moment Blickkontackt. "Dann hast du wenigstens Gewissheit", antwortete ich. Das schien sie zum nachdenken zu bringen. "Ich nehme jetzt meine Beruhigungsdrogen und gehe eine Runde schlafen", entschied sie dann und machte sich auf den Weg nach oben.

"Rede mit Shepherd. Vielleicht könnt ihr nach dem Einsatz mal nach ihrer Mutter suchen. Ich kenne ihren Vater. Sie kommt definitv nicht nach ihm, dementsprechend müsste Cleo ihr ähnlich sehen", schlug Reykja vor. "Wenn er denn damit einverstanden ist. Ich habe irgendwie das Gefühl, dass er ziemlich darauf bedacht ist, sie zu beschützen... Und was ist, wenn ihr das Treffen mit ihrer Mom mehr schadet als nützt?", gab ich zu bedenken. "Fragen schadet ja nicht und ich finde, der Versuch sollte es wert sein. Wir sollten vielleicht auch langsam mal schlafen gehen. Reisen ist anstrengend und das, obwohl man nur rumsitzt", stellte die Magierin fest. Ich nickte zustimmend und ging ebenfalls nach oben. Ich hatte das kleine Zimmer für mich allein. Nach all den Nächten in vollen Hotels und in demselben Zimmer mit der unruhigen Fey, wirkte es hier seltsam still und leer. Fast fehlte mir etwas. Allerdings würde mir eine durchgeschlafene Nacht definitv nicht schaden. Mir fiel ein, dass ich auf einem unserer Flüge mit Fey übers verwandeln gesprochen hatte. Seit ich für Venandi arbeitete, hatte ich meine Fähigkeiten kaum genutzt. Wir arbeiteten überraschend häufig mit nicht-magischen Methoden. Ich verwandelte mich also in meine Wolfsgestalt und rollte mich auf dem Bett zusammen. Obwohl meine Sinne auch in menschlicher Gestalt überdurchschnittlich waren, ließ sich das nicht mit meiner Wahrnehmung als Wolf vergleichen. Ich hörte Reykjas leise Schritte im Untergeschoss. Ich hörte Vinur im Nebenzimmer friedlich schnarchen und ich hörte auch Feys ruighe Atemzüge. Wann hatte sie jemals so ruhig geatmet? Das Zeug, das Shepherd ihr gegeben hatte, war anscheinend wirklich gut. Ich nahm auch die Gerüche des Hauses war. Ich konnte alle Lebewesen wahrnehmen. Zwischen allem lag der Geruch nach Keksen, Papier und Reykjas fruchtigem Duschgel. All diese Eindrücke lullten mich ein, wie sie es in meiner Wolfsgestalt immer taten. Die Gerüche und Geräusche des Hauses mischten sich mit den Erinnerungen an die vergangen Tage. Wie Fey mich in São Paulo ins Meer geworfen hatte. Das teleportieren im Schlepptau von Lillith und Adam. Wie wir durchs nächtliche Max Planck Institut geschlichen waren. Der Besuch bei Krystian im schlechtesten Altenheim in ganz Island. Mir fiel auf, dass Fey seit dem ersten Abend in São Paulo niemanden mehr umgebracht hatte. Ich entschied, das als positives Zeichen zu werten. Mit diesem Gedanken im Kopf schlief ich schließlich ein.

"Aufstehen, Schnarchnase, es gibt Frühstück", holte mich Reykja viel zu früh aus meinen Träumen. Ich hob meinen Wolfskopf und brummte unzufrieden. Die Magierin lachte. "Ihr Lycaner erinnert mich immer so ein bisschen an meine Hunde", stellte sie fest. Wäre es mir als Wolf möglich gewesen, hätte ich vermutlich die Stirn in Falten gelegt. Wölfe allgemein und vorallem die, die diese Gestalt nur in Teilzeit hatten, ließen sich nicht gerne mit Hunden vergleichen. Ich seufzte leise, was auch als Wolf möglich war und verwandelte mich wieder in einen Menschen. "Frühstück klingt immer gut", stellte ich fest. Draußen war es schon hell, was an sich keine großen Kunst war, da es in Island im Sommer fast durchgehend hell war. Allerdings brachte das Ganze den Nachteil mit sich, dass es im Winter fast durchgehend dunkel war. "Wo ist Fey?", fragte ich, als wir in der Küche angekommen waren. "Die schläft noch. Was auch immer sie ihr gegeben haben, scheint ziemlich gut zu wirken. Sie hat durchgeschlafen", erwiderte die Magierin und warf einen Blick auf ihre nicht vorhandene Armbanduhr. "Ich fürchte, ich muss sie trotzdem aus dem Tiefschlaf reißen. Ich will, dass sie was isst, bevor wir losfliegen", seufzte sie und verschwand nach oben. Wenig später tauchte sie mit Fey im Schlepptau wieder auf. Sie war der reinste Zombie: ihre dunklen Haare standen in alle Richtungen ab und sie wirkte definitv nicht ausgeschlafen. "Du kannst im Flugzeug schlafen", tröstete Reykja sie, was ihr einen finsteren Blick einbrachte. "Gott, was hat er dir gegeben?", wollte ich wissen. "Das Zeug wirkt einfach nur lange", murmelte Fey.

Nachdem Fey zu Reykjas Zufriedenheit gegessen hatte, fuhren wir zum Flughafen. Wieder mal war ich erleichtert, dass Avis die Sache mit der Sicherheit bei übernatürlichen Spezies nicht so genau nahm. Fey war so offensichtlich zugedröhnt, dass uns keine andere Airline hätte fliegen lassen. Wir bezogen unsere Plätze in der Business Class: ich am Gang, Fey in der Mitte und Vinur, der Vorschriften wegen, am Fenster. Reykja saß auf der anderen Seite des Ganges. Außer uns und einem der typischen Anzugträger war die Business Class leer. "Schlaf ruhig, Fey. Vinur, Silas und ich passen auf dich auf", versprach ihr Reykja. Fey wirkte, als wollte sie widersprechen, allerdings fiel sie vor Müdigkeit fast um. Trotzdem war ich mir nicht sicher, ob sie tatsächlich schlafen würde. Das hier war nicht wirklich ein sicherer Ort, andererseits war sie auch am Flughafen völlig ruhig gewesen. Diese Medikamente hatten es wirklich in sich. Kaum hatten wir Reisehöhe erreicht, dämmerte sie tatsächlich weg. Im Nachhinein war es wohl ziemlich unpraktisch, sie auf den mittleren Sitz zu setzen. Da Vinur das Fenster blockierte, rutschte ihr Kopf an meine Schulter. Ich gab mein bestes, still genug zu sitzen, um sie nicht zu wecken. Ich hatte sie noch nie so friedlich gesehen. Trotzdem war das hier Körperkontakt und damit etwas weit außerhalb ihrer Comfort Zone. Deswegen hoffte ich, dass sie mir kein Messer in den Bauch rammte, wenn sie aufwachte.

--- und es gibt ein neuses Kapitel... Auf nach Oslo. Ich bin aktuell zimlich gut dabei mir der Schreiberei. Solange meine Beta hinterher kommt werde ich versuchen jeden Freitag ein Kapitel zu Posten. Was haltet ihr eigentlich von Reykja? ---

FearlessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt