Zwölf - Fey

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Levi hatte mir tatsächlich geholfen. Er hatte es geschafft, mich aus meinem Flashback zu holen. Und vorallem hatte er diesem gruseligem Versinken in der Vergangenheit einen Namen gegeben. Ich war zwar immer noch kein Vampir-Fan, aber Levi ging in Ordnung. Außerdem war Levi selber offenbar auch kein Vampir-Fan.. Trotzdem war ich froh, wieder unter der Sonne zu stehen. "Also gut, warten wir, bis es dunkel wird und besuchen wir dann diesen Vampir", schlug Silas vor. "Ja, oder wir gehen jetzt hin. Solange es hell ist, sind wir im Vorteil", gab ich zu bedenken. "Aber wäre das nicht unfair?", wollte Silas wissen. "Wir sind hier nicht beim Sport, das Leben ist nicht fair", widersprach ich. Silas zuckte die Schultern. "Also gut, fahren wir zu diesem Vampir. Und wollen wir hoffen, dass Levi sich nicht irrt", lenkte er ein. Ich genoss die Fahrt nach São Paulo. Auf den Straßen war es ruhig und im Auto war es vergleichsweise sicher. Silas saß am Steuer und für den Moment war er keine Bedrohung. In Radio dudelte ein lokaler Sender. "Schreib mal Lucia, das wir keine Ausweise mehr brauchen", forderte er mich auf und reichte mir sein Handy. Es war noch gesperrt. "Pin ist 3571. Ich lese nachher deinen Fingerabdruck ein", erklärte er. Ich wunderte mich über soviel Vertrauen und suchte nach Lucias Kontakt. "Wir haben mit dem Clan gesprochen und brauchen keine Ausweise mehr. Trotzdem danke", las ich vor, was ich abschicken wollte. "Senden", bekräftigte Silas. Ich tat wie geheißen. Lucia verbrachte ihre Zeit offenbar vor Ihrem Handy, denn die Antwort kam fast sofort. "Ja,okay", las ich vor. "Keine Emojs", ergänzte ich. "Wenn ich hier so durch scrolle, nutzt sie normalerweise ziemlich viele davon" stellte ich fest. "Die ist angepisst. Wenn sie mir keinen Gefallen tut, kann sie von uns auch keinen einfordern", erklärte er.

Wir parkten etwas abseits von der Adresse, die Levi uns gegeben hatte. Ich machte mir einen festen Pferdeschwanz und verstaute alle meine Waffen, inklusive eines Holzpfahles, in und an meiner Kleidung. Silas tat es mir gleich und voll bewaffnet machten wir uns auf den Weg zum Versteck des Vampires. Die Vordertür war zwar zu, aber die Hintertür war schon vor langer Zeit aufgebrochen worden. Ich merkte, wie die Anspannung nach jeder Faser meines Körpers griff. Wir schlichen wie zwei Ninjas duch das dunkle Haus. "Sollten wir uns aufteilen?", schlug er vor. Ich blieb abrupt stehen. "Hast du noch nie einen Horrorfilm gesehen?", wollte ich wissen. "Am besten schreien wir auch noch die ganze Zeit, damit das Monster auch ja weiß, wo wir sind, wenn es uns töten will", ergänzte ich. "Hast ja Recht", flüsterte Silas zurück und wir schlichen weiter durchs Haus. Der Vampir hockte in der dunkelsten Ecke der dunklen Küche. Silas richtete die Taschenlampe auf ihn und er zuckte zusammen. Er hatte Verbrennungen am ganzen Körper und tiefe Augenringe. Ich kannte ihn. Er hatte bei OKÜP in der Nachbarzelle gesessen. "Oskar?", fragte ich leise und versuchte, die aufkommenden Erinnerungen zurückzuhalten. Was auch immer Oskar mal gewesen war: Jetzt war er ein unkontrollierter Vampir. Oskar hob langsam den Kopf und schaute mich mit Schmerz in den Augen an. Langsam wankte er auf mich zu. "Erlöse mich", hauchte er. "Befreie mich von diesem Schmerz", flüsterte er. Er griff nach einem herumliegenden Holzpfahl und hielt ihn mir zitternd entgegen. "Erlöse mich, bitte", wiederholte er. Ich schluckte und griff nach dem Pfahl. Oskar stand jetzt dicht genug vor mir, dass ich ihn ohne weiteres töten konnte. "Ich bin nicht ich... Die Leute von OKÜP... Die haben mich getötet...dann haben sie meinen Sohn genommen und mich mit seinem Blut wieder lebendig gemacht", stammelte er zitternd. Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter. "Oskar, haben sie dir vorher irgendwas gegeben?" wollte ich ruhig wissen. Der Vampir schaute mit tränenüberströmten Augen zu mir auf. "Eine Spritze", wisperte er. "Ich wünsche mir Frieden", beteuerte er. "Ich weiß", stimmte ich ihm leise zu. In einer fließenden Bewegung hob ich die Hand und rammte ihm den Pfahl durchs Herz. Oskar sackte zusammen und mit Tränen in den Augen fing ich ihn auf und ließ ihn langsam zu Boden gleiten. "Ruhe in Frieden, Oskar", flüsterte ich und schloss dem toten Vampir die Augen. Langsam ging ich ein paar Schritte von der Leiche weg und öffnete das Fenster. Sonnenstrahlen strömten in den Raum. Tauchten Oskars Haut in reines Licht und verwandelten ihn in Asche...

Flashback: Ich hockte in meinem Käfig, die Ketten aus Silber verbrannten mir die Haut und die Gitter aus reinem Eisen schmerzten in meinem Kopf. Im Käfig neben mir regte sich etwas. Schwerfällig hob ich den Kopf und entdeckte ein paar warme, braune Augen auf der anderen Seite der Gitter. Ich nahm seinen Geruch war. Er war kein übernatürliches Wesen. Er war ein Mensch. "Du bist ein Mensch... Was machst du hier?", fragte ich kraftlos. Er lächelte freundlich. "Ich bin Oskar. Ich beschütze jemanden. Und du, junge Lycanerin? Was führt dich in diesen menschenunwürdigen OKÜP Knast?", wollte er seinerseits wissen. "Ich bin verraten worden... Wen beschützt du, dass du dir das hier antun lässt?", setzte sich meine Neugier durch. "Ich habe den Platz mit meinem Sohn getauscht... Sie ließen ihn gehen, dafür blieb ich hier. Also bin ich ihr Gefangener, solange sie es wollen. Alles, damit mein Kind sicher ist", antwortete er. Ich lächelte traurig. "Ich habe auch mal jemanden so geliebt... Es gab nichts, dass ich nicht getan hätte, um ihn zu retten. Ich hätte meine Ideale verraten. Ich hätte Unschuldige getötet, wenn ich ihn damit beschützt hätte und jeden Beteiligten sowieso. Ich wäre in das sicherste Gefängnis der Welt eingebrochen, um ihn da rauszuholen", erzählte ich mit trockener Kehle. "Wenn du all das für ihn tun würdest, bin ich sicher, dass er kommen wird, um dich zu retten", stellte mein Zellennachbar zuversichtlich fest. "Nein, das wird er nicht", widersprach ich. "Warum?", wollte Oskar schlicht wissen. "Weil er es ist, der mich verraten hat", antwortete ich knapp.

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