Das Starke und das Schwache

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Es gab mindestens einen weiteren Magier im Kloster!

Lilith war sich absolut sicher. Es müsste auf der Hand liegen, dass Sennec der Magier war. Immerhin war niemand so emotional aufgeladen wie er. Auch, nachdem der Junge verschwunden war, wichen Pen und Taric ihr nicht mehr von der Seite. "Am Ende lauert er dir irgendwo auf!", begründete ihre Freundin es.

Erst, als Coran wie versprochen gegen Abend zurückkam, ließen sie sich dazu überreden, Lilith mit ihm alleine zu lassen. Ihr fiel erneut ein Stein vom Herzen, als der Junge dort in der Türschwelle stand. Das Abendessen war schon seit einer Stunde vergangen und der Hof leerte sich in langsamen Zügen. 

Einige andere Schüler wollten Coran zu sich einladen, er lehnte jedoch ab. Niemand schien ihm wirklich böse zu sein, auch als er sich mit Lilith in eine stille Ecke setzte. Von da an brachte sie den Jungen auf den neuesten Stand. Ihm stand die Verwunderung förmlich ins Gesicht geschrieben, als er die Neuigkeiten über Tyvel und die Magie hörte. Sennec ließ Lilith in ihrer Erzählung bewusst aus. Coran schien nicht alles zu verstehen und sie nahm es ihm kein bisschen übel. Sie hatte es selbst noch nicht ganz realisiert.

"Du bist mir eine", kommentierte er, als Lilith ihre Erzählung abschloss. Sie zuckte nur mit den Schultern. "Du hast nicht auf mich gehört", sagte er auf einmal und klang irgendwie verletzt.

Lilith schaute ihn irritiert an. Er meinte sicher, dass sie sich Tyvel anvertraut hatte, ohne es mit Coran abzusprechen.

"Ich vertraue ihm und er vertraut mir", antwortete sie daher kühl. Immerhin durfte sie doch machen was sie und nicht jemand anderes wollte. Der Junge schüttelte den Kopf und schwieg. Sie hätten es ja absprechen können, aber Coran war ja nie da. "Du bist in den letzten Wochen nie da gewesen."

"Es ist meine Pflicht, Lilith". Daraufhin eröffnete er eine Frage, die ihr schon länger auf dem Herzen lag. Sie war simpel und doch wäre die Antwort bedeutsamer, als es den Anschein hatte.

"Was treibst du eigentlich immer, wenn du weg bist?", fragte sie in beiläufigem Ton. Irgendwie konnte sie diesen nur schlecht als recht rüberbringen, denn Coran lächelte. Er wirkte kurz amüsiert, besann sich seiner dann.

"Weißt du, jeder Novize hat ab dem Alter von Fünfzehn die Wahl, ob er im Kloster bleibt, oder..." Lilith zog eine Augenbraue hoch und lehnte sich vor. "Oder?"

"Oder ob er in die Armee eintritt." Es klang fast so, als würde er sich dafür schämen. Warum machte er das dann? "Du..." wollte Lilith ansetzen, allerdings kam nichts mehr aus ihrem Mund heraus. Der Blick des Jungen machte es nicht besser.

"Du hast deine Wahl also getroffen", murmelte sie enttäuscht. Coran nickte und schaute weg. Noch bevor die schlechte Stimmung richtig einkehren konnte, ergriff Lilith wieder das Wort. "Wie lange bleibst du jetzt?"

Er schien darauf gewartet zu haben und lächelte matt. "Die nächsten paar Wochen werde ich mich wohl wieder von Meister Barth herumkommandieren lassen müssen." Eigentlich machte es die Situation nur geringfügig besser.

Und doch würde er für die nächste Zeit im Kloster bleiben. Besser als nichts. In dem Moment fiel ihr das ein was sie an dem Tag, an dem sie Coran das letzte Mal gesehen hatte gedacht hatte. Sie würde gerne seine Geschichte hören. Eigentlich war Lilith es leid, immer die Erzählerin zu sein.

"Ich möchte, dass du erzählst."

"Was?", fragte er verständlicherweise verwirrt.

"Wir haben bisher nur über mich geredet. Du bist dran." Lilith grinste ihn an.

"Was gibt es da groß zu erzählen?" Coran warf die Hände in die Luft und grinste verlegen zurück. "Alles. Wie du es mir gesagt hast." Es machte Spaß, endlich auch mal am Hebel zu sitzen.

Melodie des ErwachensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt