Der Erste Feind

950 76 1
                                    

Die folgenden Wochen verliefen anders, als Lilith es sich vorgestellt hatte. Das Leben im Kloster zeigte nun in dieser Zeit seine unterschiedlichen Seiten. Zwar hatte sie noch die meisten Unterrichtszeiten mit Meister Tyvel, doch nahm Meisterin Sisari sie einige Male im Unterricht bei sich auf.

Diese unterrichtete allerdings nichts weiter als Geschichte und andere theoretische Sachen, wenn Lilith da war. Dies schien zwar der Plan zu sein, doch stellte es sich (entgegen ihrer Erwartung) dauerhaft als eintönig dar. Sisari sprach, fragte und die Schüler sollten antworten. Meister Zelarus und Barth begegnete Lilith in der Zeit nur äußerst selten. Sprechen taten sie gar nicht zueinander, zu Liliths Erleichterung. Die beiden Männer hatten durchaus die Fähigkeit, einschüchternd auf andere zu wirken.

Bei Lilith funktionierte dies leider sehr gut.

Fernab davon ging Lilith wie gewohnt zwei weitere Male mittwochs mit Ruby jagen. Diese hielt ihr Versprechen und gab Lilith bei Jagdbeginn einen Bogen, sowie Pfeile, die sie später wieder zurücknahm ("Du kannst dich glücklich schätzen, dass ich so großzügig bin!").

Beide Male waren sie erfolgreich. Lilith hatte auf den Jagden zwar bisher kein Tier erlegt, doch war sie mehr als zweimal nah dran. Ihre Fehler wurden durch Ruby ausgebessert, die natürlich ihr Ziel traf. In diesen zwei Wochen kehrte Coran nicht einmal ins Heilsbringer-Kloster zurück. Vielleicht war er wieder weit weg gereist oder er nahm für ein paar Monate Unterricht im Schloss. Dies waren jedenfalls die Theorien von Pen und Taric. Keine war besonders zufriedenstellend und setzten eine noch längere Abwesenheit von Coran voraus. Etwas, womit Lilith sich ungern anfreunden wollte. Allerdings konnte sie auch nichts weiter tun, außer zu warten.

Die Außenwelt blieb auch nicht untätig. Der Schneefall hatte wieder eingesetzt und es war wieder sehr kalt draußen. So kalt, dass es kaum auszuhalten war. Das war auch der Grund, weshalb Lilith nur noch zum Jagen hinaus ging.
Den geheimen Ort auf dem Berg mied sie aufgrund der Kälte. Dies führte dazu, dass sie in der Zeit kaum Violine spielte. Drinnen wollte Lilith nicht spielen. Die vielen Augen und Ohren die sie begutachteten, wären ihr zu viel, sagte sie. Das verstand Tyvel auch, sodass er vor allem Theoretische Dinge mit ihr besprach.

Mittlerweile normalisierte sich das Leben im Kloster, auch wenn viel Aufregung in den letzten Tagen war. Lilith lernte einen Großteil der anderen Novizen kennen und merkte, dass alle eigentlich ganz normale Menschen waren. Jeder wurde wie Pen und Teddy von irgendeinem Meister irgendwann auf der Straße aufgesammelt. Das unterschied Lilith von den Schülern. Coran auch, er hieß schließlich "Hamsle" mit Nachnahmen und kam aus gutem Hause. Jetzt fiel ihr auf, dass sie noch nie wirklich eindringlich über ihn geredet hatten. Es ging immer nur um sie selbst. Wie selbstsüchtig das wirken musste!
Dies bereitete ihr ein schlechtes Gewissen. Lilith würde das bestimmt nachholen, wenn sie Coran wieder traf.

Das war der erste Gedanke, mit dem sie an diesem frühen Mittwochmorgen aufwachte. Wie gewohnt machte sie sich früher fertig und wartete, dass Ruby auch aufstand und sich für die Jagd bereit machte. Heute waren sie mit dem Abendessen dran. Mürrisch wie immer rüstete sich Ruby aus und reichte Lilith ihren Köcher und den Bogen. Es war ein hölzerner Kurzbogen, schlicht und doch sorgfältig gearbeitet. Wie immer redeten sie kaum, als sie das schlafende Kloster durchquerten und hinaus in die Kälte traten. Es war heute windig und es schneite leicht. Sie erreichten an diesem dunklen Morgen wie gewohnt den Wald und teilten sich auf. Heute gingen sie zum zweiten Mal gemeinsam in den Wald östlich von Karthem. Er unterschied sich vom westlichen Wald, da er viel dichter war. Die Nadelbäume standen viel näher aneinander und boten mehr Schutz vor unerwünschten Blicken.

Durch diesen Wald schlich Lilith nun, auf der Suche nach der Spur, die Ruby ihr gezeigt hatte. Sie verfolgte das Wildschwein schon seit einiger Zeit. Anscheinend war es auf dem Rückweg zu seinem Bau, da der Tag immer näher kam. Wenn Lilith heute Erfolg hatte, würde es Wildschweinbraten zum Abendessen geben! Da würde Sennec dämlich aus der Wäsche gucken!

Melodie des ErwachensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt