Verfolgt

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Nadir rannte. Die Äste des Waldes peitschten ihm ins Gesicht, als er sich durch das dichte Unterholz kämpfte, in der Hoffnung, seine Verfolger würden ihn verlieren. Diese warf er jedoch binnen Sekunden wieder weg, als die Schreie der Soldaten und das Bellen der Hunde nicht nachließ, sondern an Nähe gewann.

Der Rest seiner Gruppe war auf dem Weg zum Hain des Anbeginns und er hoffte, dass er seinen Freunden genug Zeit verschaffen konnte. Ohne einmal anzuhalten, rannte er weiter durch den Wald in die Richtung, in der er den Hain vermutete. Dort könnten sie sich Zeit verschaffen und einen Plan schmieden. Vor ungefähr dreißig Minuten musste Nadir sich von seinen Gefährten Radas, Shira und Lilith trennen, da sie langsamer waren, als die Soldaten. So hatte er die Männer ablenken müssen um seinen Gefährten einen Vorsprung zu verschaffen. Nun waren die Soldaten allerdings scharf auf seinen Kopf, was nicht besonders vorteilhaft war.

Die Sommernacht war kühl und es fröstelte Nadir, obwohl er schon seit einigen Stunden auf der Flucht war und ihm eigentlich warm sein müsste. Ihr einziges Pferd hatte er seiner Freundin Shira überlassen, damit sie mit dem Rest der Gruppe fliehen konnte.

Während er also um sein Leben rannte, kamen die Schreie der Soldaten näher, zusammen mit dem Geräusch von Pferdegalopp. Als er zurückblickte, blieb ihm fast das Herz stehen, als er den nahen Reiter mit eingelegter Lanze erblickte. Doch anstelle von Angst ergriff ihn auf einmal eine wilde Entschlossenheit.
So wurde er langsamer und drehte seinen Kopf zu dem Reiter um. Er rannte weiter und löste im Lauf einen Paukenschläger von seinem Gürtel. Ja, er hielt einen Paukenschläger in der Hand, zu seiner Verteidigung. Er hörte, wie der Galopp gefährlich nahe kam und blieb trotzdem konzentriert, als könne ihn kein Wässerchen trüben, abgesehen davon, dass Nadir seine Lungen gerade bis ins Äußerste ausschöpfte. Er wartete auf den richtigen Moment und drehte sich um, kam schlitternd zum stehen. Der Reiter war nur noch wenige Fuß vor ihm und schien sich über die vermeintliche Resignation seines Opfers zu freuen. Seine Lanze war bereits Blutverschmiert und hungerte danach, auch Nadirs Eingeweide aufzuspießen.

Dieser jedoch holte kräftig aus und schlug mit dem Paukenschläger in die Luft, in Richtung des Reiters. Der Schläger prallte von einer blau leuchtenden, in der Luft schwebenden Scheibe ab, welche die Luft zum Flimmern brachte, als sie getroffen wurde. Ein dumpfer Ton erklang und Nadir konnte wie in Zeitlupe, dabei zusehen, wie eine blau leuchtende Kugel sich aus der schwebenden Abbildung löste und auf den Reiter zu raste. Dieser wurde in der Brust getroffen und weit vom Pferd gestoßen. Das Pferd rannte weiter, Nadir packte es im richtigen Moment an den Zügeln und schwang sich hoch, noch während es weiter galoppierte. Als er fest im Sattel saß, steuerte er das Ende des Walds an, welches schon in Sicht war.

Er hatte einen Menschen getötet. Sein lebloser Körper würde hier im Gebüsch liegen bleiben, in Vergessenheit geraten und niemand würde ihn begraben oder ehren. Es war fast schon traurig, wenn man darüber nachdachte, dass ein Leben so schnell beendet und auch vergessen werden könnte. Er hatte jemanden getötet, mit der Magie, weshalb sie alle verfolgt wurden. Er hatte das getan, was die Soldaten verhindern sollten. Das, weshalb die Königin sie verfolgen ließ.

***

Nach einigen Minuten des Reitens im vollen Galopp erreichte er den Hain des Anbeginns. Er ritt in das Waldstück hinein und kam vor dem gigantischen Baum im Gras zum stehen, stieg von seinem Pferd ab und sah sich suchend um. Der kühle Nachtwind bog das Gras leicht und es roch nach Lavendel. Er lief einige Meter über die Lichtung und rief nach seinen Freunden. Gerade, als er wieder aufsteigen und draußen nach den anderen Suchen wollte, brach seine Freundin Shira auf ihrem Pferd durchs Gebüsch und kam auf der Lichtung zum stehen. Ihre schwarzen Haare fielen ihr ins Gesicht, als sie von ihrem Pferd sprang. Sie machte sich nie die Mühe, ihre Haare zu kämmen. Das war es, was Shira so wunderschön machte. Sie war perfekt, obwohl sie es nichteinmal anstrebte, ganz zu schweigen von ihrer einzigartigen und nicht verwechselbaren Persönlichkeit, die er so liebte. Nadir kam zu ihr gelaufen und sie umarmten sich fest. Sie roch nach verschiedensten Blumen und ihr Hände schlossen sich um seinen Körper, als sie Nadir einen Kuss auf die Lippen drückte. Er schloss in diesem Moment die Augen und dankte allem, was ihm hoch und heilig war, dass seine Freundin lebte und unverletzt war.
"Wir haben sie abgehängt", sagte sie, während sie von ihrem Freund zurücktrat, sich um Fassung bemühend. Und wieder trennten sie sich voneinander, lösten die Umarmung für seinen Geschmack viel zu früh.

Melodie des ErwachensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt