Unerkannt

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Die Glocke des Uhrturms schlug zwölf, als Lilith den Flur betrat. Den gesamten Morgen war sie damit beschäftigt gewesen, sich laut Johann "angemessen" zu kleiden. Dementsprechend hatte er, woher auch immer, ein rotes Kleid und eine Angestellte besorgt, die Lilith beim Anziehen von eben Diesem half. Dazu gab es passende Schuhe und entsprechenden Schmuck. Gegen das Korsett hatte Lilith sich gesträubt, sodass die Angestellte irgendwann genervt die Augen verdrehte und es wieder mitnahm, jedoch nicht, ohne vorher die Haare ihres Opfers zu ordnen und sie mit Haarnadeln hochzustecken. Auch wenn sie sich auf keinen Fall wie eine Adelige Kleiden wollte, ließ Lilith es über sich ergehen.

Yuro hatte zu ihr gesagt, dass es keine andere Möglichkeit gab.

"Rabea findet es heraus, wenn ich etwas vor ihr verstecken möchte, also müssen wir ihr die Wahrheit sagen... Die wir ausschmücken werden." Letzteres ergänzte er auf Liliths verwunderten Blick.

Sie kannte diese Frau nicht und würde auf Yuro vertrauen. Wenn er sagte (oder knurrte), es wäre besser, sich zu tarnen, dann würde Lilith dem Folge leisten.

Auf dem Flur war es alles andere, als ruhig. Das schallende Geräusch vieler Stimmen, die sich durcheinander Anweisungen zuriefen, erfüllte den gesamten Gebäudeteil. Auf dem Gang liefen Bedienstete mit Körben in ihren Händen, voll mit Wäsche und Luxusartikeln, hin und her. Sie richteten die Zimmer für die Gäste her und schienen außerordentlich gestresst zu sein.

Die letzten zwei Monate waren schnell vergangen und in dieser Zeit hatte Lilith die Bediensteten nicht einmal ansatzweise so gestresst erlebt. In dieser Zeit probierte sie sich mehrmals mit der Violine, blieb jedoch ohne Erfolg. Jedes Mal, wenn sie versuchte, einen ähnlichen Effekt, wie an jenem besonderen Abend, zu erzeugen, blieb dieser aus.

Die Musik verließ das Instrument zwar, doch erschienen weder goldene Lichtpunkte, noch irgendwelche Pflanzen, was Liliths Erwartungshaltung jedes Mal um ein Neues zerschmetterte. Wenn Yuro nicht dabei gewesen wäre, hätte sie an ihrem Verstand gezweifelt, doch er war da und hatte gesehen, was passiert war. Nun stand Lilith also hier auf der Türschwelle und würde den Besuch einer der angeblich gefährlichsten Menschen der bekannten Welt erleben. Sie schüttelte den Kopf und atmete tief durch, bevor sie den ersten Schritt machte.

Die Menschen drängten sich an ihr vorbei und scherten sich ansonsten kaum um sie. Und selbst, wenn Lilith von allen beobachtet würde, läge es außerhalb ihres Bewusstseins, so groß war die Aufregung um das bevorstehende Treffen. Ob man es ihr ansah, wusste sie nicht, hoffte sie nicht.

Die Töne verschwommen und ihr wurde mit jedem Schritt schwindeliger. Was würde passieren, wenn Königin Rabea erfahre, was es mit Lilith auf sich hatte? Wovor hatte Yuro Angst? Was wollte er unter allen Umständen verhindern? Er hatte auf ihr Fragen keine Antwort gegeben, nicht ein einziges Mal und sie hatte oft gefragt. Es blieb Lilith ein Rätsel und diese Ungewissheit zehrte an ihren Nerven.

Sogar so sehr, dass sie auf halbem Wege ins Hauptgebäude den Weg in den Innenhof zwischen den Gebäuden einschlug, um frische Luft zu schnappen. Die Luft fand ihren Weg in Liliths Körper und schärfte ihre Sinne. Die Panik flaute langsam ab und ihr Herzschlag beruhigte sich wieder. Erst, als Lilith sich lang genug eingeredet hatte, dass sie diesen Tag überleben und nichts passieren würde, nahm sie ihren Weg zum Thronsaal wieder auf, zurück ins Warme.

Die Zahl der Angestellten nahm im Hauptgebäude drastisch zu und Lilith musste sich wirklich durch das Meer an Menschen durchkämpfen, ehe sie die Eingangshalle erreichte. Dort stand nur Johann, herausgeputzt und mit seinem schiefen Lächeln, das ihn eigentlich immer auf Schritt und Tritt begleitete.

Seine langen Haare waren, wie immer, zu einem kurzen Zopf gebunden, er trug einen verzierten Brustpanzer und ein schwarzer Umhang zierte seinen Rücken.

Melodie des ErwachensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt