Karthem

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Die Freude war groß und die Erleichterung wuchs praktisch mit jedem Schritt, den die Pferde in Richtung Heimat machten. Lilith wurde von diesen Gefühlen nicht ausgelassen. Auch sie war heilfroh, nach wochenlanger Reise endlich am Ziel angelangt zu sein. Jetzt, da sie wieder in höheres Gelände gelangten, wagte sie einen Blick um sich herum. Um den Zug erstreckte sich eine felsige Landschaft, in der sich riesige Berge gen Himmel erstreckten und in den Wolken verschwanden. 

"Eine Aussicht sondergleichen, nicht wahr?", merkte Rabea auf Liliths, vor Erstaunen heruntergeklappte Kinnlade, an.
Ihr blieben die Worte weg, daher nickte Lilith nur und wandte den Blick nicht ab.
Die Königin schmunzelte und ritt an die Spitze des Zugs.
Noch eine Weile näherten sie sich den drei Türmen, ehe die Gruppe auf einer kleinen Anhöhe Halt machte. Was sich ihnen jetzt präsentierte, war ein Bild, von dem Lilith nicht zu träumen gewagt hatte. Natürlich, sie wusste, dass Karthem groß war, Alexa hatte schließlich gefühlt die erste Hälfte der Reise ununterbrochen über die Stadt geredet. Nun ja, Lilith hatte sich etwas verschätzt, was die Größe und Pracht der Stadt betraf.

In einer Hufeisenform waren die Bergformationen angeordnet, sodass die Stadt perfekt dort hineinpasste. Die Hufeisenformation war zwar nicht so gewaltig wie die Berge, welche die restliche Umgebung zierten, jedoch groß genug, um die Stadt zu schützen. Wenn man genau hinsah, konnte man kleine Wachtürme an verschiedenen Punkten auf den gewaltigen Bergen erkennen. Das (unverkennbare) Schloss war an den hintersten Teil der Stadt an den Berg gebaut. 
Die drei Türme schossen an einer jeweils anderen Höhe in Richtung Himmel, einer reichte sogar bis über die Felsen. Was mochte wohl dahinter liegen?

"Worauf warten wir?", fragte Lilith und legte den Kopf schief.
Als niemand antwortete, suchte sie nach der Sache, auf die alle so gebannt warteten. Sie reckte den Kopf und entdeckte erst dann die Schar von Reitern, die auf die Gruppe zu galoppierte.
In weniger, als zwei Minuten näherten sich die Männer auf ihren Pferden. Es waren doch mehr Menschen, als Lilith Auf den ersten Blick gezählt hatte. Eine ganze Hundertschaft von Reitern mit silbernen Rüstungen machte vor ihnen Halt und der augenscheinliche Anführer trat näher, als seine Schar an die Königin heran.

Er klappte sein Visier hoch und entblößte ein langes Gesicht, einen sehr dicken Schnurrbart, gepaart mit sehr dicken Augenbrauen und einen undurchdringlichen, ernsten Blick.
"Eure Majestät."
Rabeas Ausdruck war nicht weniger ernst, als angenommen. Mit einer kühlen und schier unbestrittenen Autorität schaute sie auf den Mann in seiner Rüstung hinunter.
"Wir haben Verletzte, General. Es gab einen Überfall während der Reise."
Es war anscheinend nicht seine Aufgabe, Fragen zu stellen. Daher drehte der Mann sich ohne ein weiteres Wort zu einem seiner Ritter um, dessen Rüstung ihm offenbar viel zu groß war. Leider konnte man durch das Visier nicht erkennen, wer hinter diesem Metall steckte.
"Sie sollen alles vorbereiten", zischte der General und machte eine hektische Kopfbewegung als Zeichen, dass der Ritter sich besser beeilen sollte. Dieser hatte anscheinend die Botschaft verstanden, trat aus der Reihe und ritt im vollen Galopp an der Hundertschaft vorbei und wieder in Richtung der Stadttore.

"Wir geleiten Euch zum Bergfried, Eure Majestät." Die Ritter bildeten eine Kolonne vor und hinter der Gruppe und sie setzten sich in Bewegung.
Lilith fiel mit ihrem Pferd etwas zurück (zum Ärgernis eines Gardisten, der widerwillig Platz machte) in die Reihe, in der Coran ritt. Mit jeder Bewegung des Pferdes schmerzte es irgendwo, das konnte man ihm ansehen.
"Warum mussten wir vorher auf diesen komischen General warten?", fragte sie in der Hoffnung, den Krach des Galopps zu übertönen. 
"Würdest du jeden an deine Stadt heranlassen, bei dem du dir nicht sicher bist, wer es ist?", antwortete er in gleicher Lautstärke.
Wie immer bei solchen Gegenfragen beließ Lilith es dabei, da sie die Antwort wusste. Es war eine nötige Sicherheitsmaßnahme, schon klar.

Melodie des ErwachensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt