Kapitel 3 - Der Hass in Person

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„Ihr seid zu spät", tadelte Mrs. Finch, als wir um drei Minuten nach drei die Bibliothek betraten.

„Aber", setzte ich an, doch die Bibliothekarin brachte mich mit einem Wink zum Schweigen.

„Pünktlichkeit ist eine Tugend. Wie oft habe ich euch das schon gesagt?" Ihre dunklen Augen blitzten vorwurfsvoll und ich seufzte.

„Es tut uns leid", entschuldigte ich unsere Verspätung, die eigentlich gar nicht der Rede wert war, während Elara nur leise schnaubte.

„Nun, kommt mit. Die Bücher warten." Mrs. Finch drehte sich herum und wir folgten ihr. Wenn man sich eine Bibliothekarin vorstellte, dann wohl eher eine alte Dame, die eine Schachtel Bonbons auf dem Ausleihtresen zu stehen hatte. Mrs. Finch war das absolute Gegenteil dessen. Sie war Anfang vierzig, ein Stück größer als ich und hütete ihre Bücher mit Adleraugen. Wenn sie las, trug sie eine schmale Brille auf der Nase, die ihrem Gesicht Strenge verlieh und ihre schlanken Finger huschten mit geübten Handgriffen durch Bücherregale, brauchte man Hilfe oder fand ein bestimmtes Werk nicht. Ich mochte sie, auch wenn sie unglaublich perfektionistisch veranlagt war und kein einziges ihrer Bücher auch nur einen Knick haben durfte. Nicht wenige meiner Mitschüler waren deswegen schon Opfer ihres strafenden Blickes geworden.

Während ich neben Elara der Bibliothekarin folgte, sog ich die beruhigende Atmosphäre des Raumes in mich auf. Der Geruch von altem Papier, Druckertinte und Staub lag in der Luft, hier und da ertönte leises Geflüster. Seiten raschelten. Viele Schüler kamen am Nachmittag in die Bibliothek, um für ihre Hausaufgaben zu recherchieren oder einfach nur ihre Ruhe zu haben. Etwas anderes duldete Mrs. Finch nicht. Kein lautes Gekicher, kein Gerenne zwischen den Bücherregalen und schon überhaupt kein Geknutsche oder gar mehr als das.

„So, die Schätze hier müssen beschriftet und einsortiert werden", meinte die Bibliothekarin und deutete auf fünf Kartons voller neuer Bücher. Das klang nach Arbeit. Ich nickte und Elara griff bereits nach dem ersten Buch.

„Die Neuerfindung der Natur", las sie den Titel vor und hielt das Werk in die Höhe. Ich schürzte die Lippen. Das klang interessant.

Mrs. Finch verschränkte die Arme vor der Brust und ein kleines Lächeln stahl sich auf ihre Lippen.

„Lasst euch nicht allzu viel Zeit", mahnte sie. „Immerhin sind es fünf Kartons, die bis heute Abend ausgepackt sein müssen. Pünktlichkeit ..."

„ ... ist ein Tugend", vollendete ich ihren Satz und die schlanke Frau hob die Augenbrauen. „ ... ist nicht alles im Leben. Organisation gehört auch dazu."

Ich verdrehte die Augen und hörte Elara leise lachen.

„Wir sind schon so gut wie fertig", meinte meine Freundin und Mrs. Finch schmunzelte.

„Ich bin am Tresen, falls ihr mich braucht."

Damit drehte sie sich um und verschwand vollkommen lautlos zwischen den Regalen.

„Uff", machte ich und begutachtete die Kartons. „Dass das so viele Bücher sind, hatte ich nicht auf dem Schirm. Und wir müssen noch Mathe machen, sonst bringt Mrs. Williams uns um."

„Dann lass uns endlich anfangen", meinte meine Freundin und ich nickte.

Es dauerte trotz aller Mühen fast vier Stunden, bis wir alle Bücher beschriftet und durch die riesige Bibliothek an ihren Platz gestellt hatten. Meine Füße taten vom vielen Hin-und Hergelaufe weh, meine Finger schmerzten vom vielen Schreiben und meine Kehle war völlig ausgetrocknet durch die staubige Luft.

Müde ließ ich den Arm fallen und legte den Kopf in den Nacken.

„Das war das letzte Buch", sagte Elara und mein Blick wanderte zu den leeren Kartons.

Academy for Elementarys - Wasser und LuftWhere stories live. Discover now