♕32 • Feuer und Eis♛

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Er steht mit den Armen vor der Brust verschränkt an die Wand direkt neben meiner Tür gelehnt und es scheint ganz so, als hätte er sich die Haare schneiden lassen, denn die Strähnen, die ihm ins Gesicht fallen, sind deutlich kürzer als noch gestern auf der Feier, bei der sie ihm beim Tanzen ständig vor die Augen gefallen sind. Innerhalb eines Tages scheint er sich unglaublich verändert zu haben, was vielleicht auch nur meine Einbildung sein könnte, denn er hat recht mit dem was er sagt, ich bin ihm mit Absicht aus dem Weg gegangen und habe mit Mühe versucht ihn so wenig wie möglich anzusehen. Aber das ist etwas, was ich ihm gegenüber niemals zugeben würde. 

Unbeeindruckt von seinem plötzlichen Auftauchen direkt vor meinem Gemach verdrehe ich die Augen und gehe einfach an ihm vorbei, als wäre er meine Beachtung nicht einmal wert, dabei würde ich am liebsten einfach nur vor ihm stehen und alles an ihm in mich aufsaugen, sein Gesicht, seinen Geruch, seine Stimme, aber es gibt viel zu vieles was daran falsch ist. 

Selbst als er mir hinterher läuft und sich direkt vor mich stellt um mich vom weiter gehen abzuhalten, lasse ich mir meine innerliche Zerrissenheit nicht anmerken. In mir geht gerade viel zu viel vor, so viele Gefühle, so viele Fragen und alles ist Neu für mich. Ich verstehe es nicht und ich habe niemanden, den ich fragen kann, weil ich mich so unglaublich alleine fühle. Mein Körper ist winzig im Vergleich zu der Welt und doch fühlt es sich in meinem inneren gerade so groß an, das ich das Gefühl habe ich hätte mich darin verirrt ohne die Chance jemals wieder zurück zu finden. 

"Willst du das wirklich tun?", fragt er und sieht mich mit großen Augen und gerunzelter Stirn an. 

"Hau ab, Jungkook." Ich trete einen Schritt zur Seite und versuche an ihm vorbei zu kommen, aber er stellt sich wieder genau vor mich. 

Er streckt eine Hand nach mir aus und bevor ich reagieren kann, hat er sie um mein Handgelenk geschlossen. "Erklär es mir." Seine Augen glänzen vor Verzweiflung und sogar seine Stimme zittert als er meine Hand an seine Lippen führt und Küsse darauf verteilt. 

Für einen Moment bin ich wie versteinert, meine Gesichtszüge entspannen sich, meine Schultern sinken und sogar meine Augen fallen beinahe zu weil ich nichts anderes tun will als dieses Gefühl zu genießen, seine Lippen auf meiner Haut und das kribbeln in meinem Bauch und meiner Brust, aber bevor ich dem ganzen nachgeben kann, übernimmt mein Verstand die Kontrolle. Ich entziehe ihm sofort meine Hand und sehe ihn wütend an, wütend darüber mich so durcheinander gebracht zu haben wo ich doch ganz klar auf Abstand gehen wollte. "Es gibt nichts zu erklären", sage ich durch meine zusammengebissenen Zähne und ziehe meine Kapuze tiefer ins Gesicht. 

Jetzt sind es seine Schultern, die sinken, allerdings viel mehr aus Enttäuschung. "Du hasst mich", sagt er leise, beinahe flüsternd, wie etwas, was er erst jetzt richtig realisiert hat und obwohl ich ihn am liebsten packen und ihn anschreien würde, weil das ganz und gar nicht stimmt, schüttle ich nur den Kopf und schnaube verächtlich. 

"Du müsstest mich schon sehr interessieren um mich dich hassen zu lassen."

Verwirrung zeichnet sich auf seinem Gesicht ab. "Du hasst mich also nicht?"

"Nein", sage ich und sehe ihn an wie ein kleines Kind, das zu dumm ist um zu begreifen. "Ich kann dich nur nicht leiden." Mein Gesicht fühlt sich an, als hätte es sich in Eis verwandelt. Ich habe keinerlei Kontrolle mehr über meine Mimik, ich weiß nicht was für eine Grimasse ich gerade ziehe und ob sie zu dem, was ich sage, überhaupt passt. Ich war noch nie ein wirklich guter Lügner und das hier ist wahrscheinlich die größte Lüge meines Lebens. 

Trotz dieser Tatsache und trotz meinen Worten schüttelt er den Kopf und packt mich an den Oberarmen. "Ich mache es wieder gut", sagt er leise, wie ein Versprechen, das nur mir gilt, etwas das nur ich mitbekommen soll. "Ich baue wieder Vertrauen auf."

"Ach ja?", frage ich dieses mal mit wirklicher Verachtung. "Du weißt ja nicht einmal was du falsch gemacht hast."

"Dann sag es mir." Er sieht mich gebannt an, wirklich darauf bedacht sein Versprechen zu erfüllen, was auch immer es ist, das er falsch gemacht hat. 

Ich schüttle fassungslos über so viel Dummheit den Kopf und reiße mich endgültig von ihm los. "Deine Schwester hatte mir bereits gesagt, das du eine Geschichte mit Frauen hast, eine lange Geschichte, aber es zu hören und es zu sehen sind zwei komplett verschiedene Welten." Bevor er mich wieder berühren, bevor er mich wieder packen und mich dieses mal vielleicht sogar endgültig in seinen Bann ziehen kann, rausche ich an ihm vorbei, die Hände zu Fäusten geballt.

"Du bist wütend auf mich, weil ich mit einer Frau geschlafen habe?", frag er als wäre es etwas, was ihm noch nicht wirklich in den Sinn gekommen ist, als hätte er mit allem gerechnet, nur damit nicht und das obwohl es selbst für seine Schwester so offensichtlich war. 

Ich bleibe stehen und drehe mich um, nicht in der Lage zu begreifen wie so viel Blindheit in einem Menschen Platz finden kann. "Ich bin wütend, weil du nicht siehst, was du bereits vor dir hast!"

Was in dem Moment, direkt nachdem diese Worte über meine Lippen gewandert sind, in mir vorgeht, kann ich nicht richtig beschreiben. Es ist ein Gefühl der Taubheit, etwas, was man wohl mit dem Gefühl vergleichen könnte, zu lange in der Kälte gewesen zu sein, aber das Gefühl der Kälte ist mir vollkommen Fremd. Für mich fühlt es sich an wie in einem Raum zu stehen, in dem die Wände immer näher kommen und drohen dich zu erdrücken. 

"Was meinst du damit?", fragt Jungkook leise, scheinbar genau so wenig in der Lage zu begreifen was ich gerade gesagt habe wie ich selber. "Redest du von dir?"

Ich schüttle sofort den Kopf als ich das Gefühl in meinem Körper langsam wieder bekomme. "Vergiss es", sage ich und drehe mich sofort wieder um, dieses mal um tatsächlich zu verschwinden, aber Jungkook reagiert so schnell darauf, das ich zusammen zucke als ich plötzlich seine Arme spüre, die er von hinten um mich schlingt. 

Mein Kapuze fällt herunter und ich spüre wie ich ganz kurz, nur für einen winzigen Bruchteil, die Kontrolle über mich selber und meine Fähigkeiten verliere. Der Boden unter mir gibt ein kratzendes Geräusch von sich, etwas was immer passiert wenn er sich in Eis verwandelt, aber es bleibt bei einem winzigen Fleck und breitet sich nicht aus. In mir selber sieht es dafür ganz anders aus, in mir tobt etwas, was mir noch fremder ist als Kälte, nämlich ein Feuer, von dem ich mir jetzt schon sicher bin, dass es sich nicht löschen lässt. 

Ich möchte mich von ihm los reißen, möchte von diesem Gefühl der Hilflosigkeit los kommen, aber irgendetwas fesselt mich an ihn. Meine Beine fühlen sich schwer an, mein Körper verlangt nach mehr von dieser Wärme, die er mir gibt und sogar mein Verstand hat sich spätestens in dem Moment verabschiedet, als er sein Gesicht in meinem Hals vergräbt und seine Hände mit meinen verschränkt. 

"Niemals", flüstert er leise. "Wie könnte ich das jemals vergessen."

Begin |Vkook|Where stories live. Discover now