Erkenntnisse

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Ihr Plan war heikel. Zugegebenermaßen nicht ungefährlich. Doch auch nach Stunden war ihnen keine andere Möglichkeit eingefallen, dem Verließ zu entkommen. Tobias hatte zwar protestiert, aber er hatte einsehen müssen, dass er das Risiko wohl oder übel eingehen musste. Während sich Cara in eine Ecke ihrer Gefängniszelle zurückgezogen hatte, hatte Tobias laut nach dem Wächter gerufen. Zunächst reagierte niemand und der Omega war schon der festen Überzeugung, dass niemand ihn gehört hatte, als plötzlich ein Wächter vor den Verließen erschien.

"Was willst du?", blaffte ihn der Vampir an.

"Ich will mit Sebastian noch einmal reden", log Tobias und beobachtete, wie Zweifel sich in der Miene des Wächters widerspiegelten, "Er sagte, ich solle nach einem Wächter rufen, wenn ich bereit wäre für ein weiteres Gespräch. Das bin ich nun. Ich bin mir sicher, er wäre nicht erfreut, wenn ihr mich nicht sofort zu ihm bringen würdet. Immerhin geht es hier um die Beendigung des Krieges."

Selten war dem Omega eine Lüge derart leicht über die Lippen gekommen und er setzte den Wächter ganz bewusst unter Druck. Es war seit seiner Ankunft ersichtlich geworden, dass Sebastians Anhänger ihm absolut hörig waren. Sobald er etwas von ihnen verlangte, kamen sie diesem umwendend nach und stellten seine Befehle nicht in Frage. Daher konnte es nur förderlich sein ein wenig mit ihrer Angst, Sebastian zu enttäuschen, zu spielen. Die gewünschte Wirkung trat alsbald ein und der Wächter nickte eilig, zog einen Schlüssel hervor und öffnete Tobias Verließ, um es kurz darauf zu betreten, um den Omega zu packen und nach oben zu führen.

Ein törichter Fehler. Mit seiner ganzen Kraft warf sich Tobias gegen den Vampir, der Überraschungseffekt war auf seiner Seite, so dass dieser tatsächlich ins Straucheln geriet und nach hinten stolperte, wo er gegen die Gitterstäbe stieß. Der Omega hatte bei ihren Planungen befürchtet, er wäre für dieses Manöver nicht stark genug, umso zufriedener war er jetzt mit seinem Werk. Bevor sich der Wächter wieder fangen und auf Tobias stürzen konnte, schnellte Cara aus der Dunkelheit hervor. Mit Leichtigkeit schlüpften ihre Hände durch die Gitterstäbe und schlossen sich anschließend um den Hals des Wächters, dieser mühte sich mit Leibeskräften ihrem Griff zu entgehen, doch da hatte sich Tobias bereits die Arme des Vampirs geschnappt und hielt diese festumklammert. Zwar trafen ihn einige Tritte des Wächters, aber es gelang ihnen ihn so lange in Schach zu halten, bis er ohnmächtig zu Boden ging. Erleichtert aufatmend griff sich der Omega den Verließschlüssel und befreite damit auch Cara, die ihm ein Lächeln schenkte, als ihre Tür aufsprang und sie noch einmal zu dem Wächter hinunter blickte.

"Das nenne ich gute Teamarbeit", sagte sie fröhlich und stupste ihn dabei freundlich an der Schulter an.

"Trotzdem hätte dieser Plan genauso leicht scheitern können", warf Tobias ein, der beinahe ein wenig Mitleid mit dem Wächter empfand.

"Ist er aber nicht und das ist alles was zählt", brummte die Vampirin augenverdrehend, "Wir sollten uns beeilen und die Zeit nutzen. Es wird nicht lange dauern, bis Sebastian von dieser Sache erfahren und uns suchen wird. Ich hoffe, dass wir dem Schloss zu diesem Zeitpunkt schon entflohen sind, denn ich habe seine Wutausbrüche und Trotzanfälle mittlerweile satt."

Tobias konnte dem nur zustimmen und so schlichen sie auf leisen Sohlen, die Treppe, die von den Verließen nach oben führte, empor. Es gelang ihnen unentdeckt den großen Flur, an der Empfangshalle vorbei, zu überwinden und schließlich die großen, hölzernen Flügeltüren der Bibliothek zu öffnen, die dabei leise knarzten. Cara fluchte zwar, aber nach einem Moment des Innehaltens wirkte es so, als habe sie niemand gehört. Zielstrebig und ohne Zeit zu verlieren, steuerte Tobias zu jenem Regal, wo er beim ersten Mal das Buch über die Vampire entdeckt hatte und wurde nicht enttäuscht. Vorsichtig zog er das alte Buch heraus und strich über den leicht eingestaubten Einband. Behutsam, um die kostbaren Buchseiten nicht zu zerstören, blätterte er sich durch das Werk, bis er auf ein Kapitel stieß, das sich mit alternativen Ernährungsweisen beschäftigte.

GefangenUnde poveștirile trăiesc. Descoperă acum