XIV🌸

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Jungkook

Ich schreckte zusammen, als ich meine schrille Türklingel hörte. Mein Blick schweifte zum Eigangsflur und ich spürte, wie mein Herz an Fahrt aufnahm.

Wieso nochmal hatte ich mich gestern fürs Busfahren beschwert? Ich war doch ein vollkommener Idiot. "Eine Sekunde!", rief ich laut in Richtung der Tür und fuhr mir in einer hastigen Bewegung durch die Haare, während ich mir meinen Rucksack schnappte und dann zur Tür eilte.

Ich schlüpfte in meine Schuhe, riss meine Lederjacke vom Haken und öffnete dann mit einem gestressten Seufzen die Tür. Vor mir stand Taehyung, ein fröhliches Lächeln auf den Lippen tragend und die Hände in seinen Hosentaschen vergraben.

"Hey", begrüsste ich ihn leise und kratzte mich unsicher am Hinterkopf. Er lachte sanft und legte den Kopf schief. "Das hat aber länger als eine Sekunde gedauert", bemerkte er halblaut.

Erst zog ich irritiert die Augenbrauen zusammen, ehe ich die Augen verdrehte und schnaubte. "Können wir dann los?", fragte ich genervt, trat hinaus in den Flur, zog die Tür hinter mir zu und kramte den Schlüssel hervor, um abzuschliessen.

Wieder lachte er nur und ich seufzte abermals gestresst auf. Ich würde mich nie wieder über einen vollen Bus beschweren. Nie. Wieder.

Gemeinsam gingen wir die Treppen hinunter und verliessen den Wohnblock. "Hast du eine schicke Sportkarre, wie alle Typen in den Filmen immer?", wollte ich wissen, als wir ins Freie traten. Taehyung schnaubte und sah mich mit einem amüsierten Glitzern in den Augen an. "Was denkst du denn?", erwiderte er.

Ich blieb stehen und liess meinen Blick über die geparkten Autos wandern. "Das ist deins, oder?", fragte ich und zeigte auf den Sportwagen, der unweit von uns entfernt war.
Der Braunhaarige lachte auf und schüttelte den Kopf. "Schön wär's", meinte er belustigt. Ich schob die Unterlippe vor und liess meine Schultern absacken.

"Und welche Blechbüchse nennst du dann dein Eigen?"

"Blechbüchse?!", wiederholte Taehyung sichtlich empört und ich zuckte unschuldig mit den Schultern. Der Ältere nickte mit einem kleinen Lachen zu einem gewöhnlichen, weissen VW. Ich runzelte die Stirn und sah dann wieder zu Taehyung. "Das ist echt ein unspektakuläres Auto", urteilte ich.

Er ging in Richtung des Wagens und warf mir einen Blick über die Schulter zu, gemeinsam mit einem süffisanten Grinsen.

"Immerhin habe ich ein Auto, Jungkook, und bin nicht gezwungen, in einen überfüllten Bus zu steigen."

Hastig eilte ich ihm nach. "Willst du mir gerade was unterstellen?!", hakte ich nach, während er das Auto umrundete, um auf die Fahrerseite zu gelangen. Sein Grinsen wurde nur noch breiter, als er mich anschaute. "Klar; ich bin ehrlich gesagt überrascht, dass du dir überhaupt eine Wohnung leisten kannst."

Ich schnaubte und öffnete die Tür zur Beifahrerseite, ehe ich einstieg und er es mir gleichtat. "Ich arbeite dafür, Vollidiot", informierte ich ihn spitz. "Offenbar ist es ein scheiss Job, wenn du dir kein Auto damit leisten kannst. Lass mich raten: Du kellnerst."

Woher wusste er das?! Wie hatte er das rausgefunden?! Langsam wurde dieses Ding mit der Menschenkenntnis echt unheimlich, verdammt nochmals.
Taehyung schnallte sich an und lachte zufrieden, als er mich wieder ansah. "Ich scheine richtig zu liegen", bemerkte er gut gelaunt.

Ich verdrehte die Augen, schnallte mich ebenfalls an und sah dann zum Fenster raus. "Die Karre ist trotzdem eine unspektakuläre Blechbüchse."

"Noch ein Wort gegen mein Auto und du wirst zur Uni laufen", konterte er nonchalant. Ich schob die Unterlippe vor und seufzte tief, als plötzlich Musik erklang, die ich kannte. Überrascht wandte ich meine Aufmerksamkeit von der Landschaft zum Player des Wagens, an welchem ein Kabel angeschlossen war, dass zu einem Handy führte.

Taehyung summte die Melodie leise mit, während ich erst das Handy und dann ihn anstarrte. "Das ist Chase Atlantic", meinte ich verdutzt. Er nickte mit einem Lächeln, sah aber nicht von der Strasse ab. "Das hast du mir gezeigt, weisst du noch?"

Ich konnte nicht anders, als anfangen zu lächeln. "Ich hätte nicht erwartet, dass es dir tatsächlich gefällt", bemerkte ich leise. Er schnaubte belustigt. "Darum frage ich nach Namen und Interpreten, Jungkook. Du hast nicht nur einen beschissenen Job, sondern auch eine grauenvolle Menschenkenntnis."

Ich sank zurück und seufzte leise. Damit hatte er wohl Recht, wenn man bedachte, wie naiv ich mal gewesen war und wie sehr ich verletzt worden war, bloss weil ich nicht bemerkt hatte, wie falsch der Mensch an meiner Seite war.
Meine Menschenkenntnis war tatsächlich grauenhaft.

"Deine ist dafür umso unheimlicher", murmelte ich und erntete ein sanftes Lachen seinerseits. Der tiefe, angenehme Klang löste einen Schauer in mir aus und ich merkte, wie ich daraufhin rot wurde vor Verlegenheit.

"Langes Beobachten, Jungkook. Wir Menschen sind so sehr damit beschäftigt, uns bloss um uns selbst zu kümmern, dass wir andere nicht sehen. Wir klammern uns an die Vergangenheit und sorgen uns zeitgleich um die Zukunft, sodass wir die Gegenwart nicht wahrnehmen oder geniessen. Wir sind so darauf fixiert auf das, was sich vor unseren Augen abspielt, dass wir das hinter uns verpassen."

Leer schluckend sah ich ihn an. "Du lässt Vergangenes also einfach hinter dir, kümmerst dich nicht um das was kommt und siehst alles, was um dich herum geschieht?", fragte ich ihn. Ein Grinsen umspielte seine Lippen. "Sag mir, was soll ich sonst tun?", gab er zurück und ich registrierte, wie er auf den Parkplatz der Uni fuhr, "Vergangenes ist ohnehin schon geschehen, sich darum zu kümmern ist verschwendetes Gedankengut. Also lasse ich es einfach hinter mir. Die Zukunft kann ich nicht ändern, sie geschieht einfach. Nenn es Zufall, Schicksal, Fügung, mir egal, aber es geschieht, ohne, dass wir etwas daran verändern könnten. Wieso sich also darum sorgen? Das ist nutzlos. Ich lebe jetzt, dieser Moment gerade, das ist mein Leben. Wie lange habe ich das noch? Ich weiss es nicht, niemand weiss das. Also will ich all die Zeit, die mir zur Verfügung gestellt wurde, nutzen und ihn vollen Zügen geniessen. Für Reue und Zweifel, Sorgen oder Ängste ist das Leben zu kurz, denke ich. Es gelingt mir nicht immer, auch ich sorge mich, aber ich gebe mein Bestes, es so wenig wie möglich zu tun."

"Was ist mit den Menschen?", wollte ich neugierig wissen und sah ihn von der Seite an, während der Braunhaarige konzentriert parkte, "Achtest du nur auf dich selbst oder nicht?"

Er sah zu mir, kaum stand das Auto still und er schenkte mir ein kleines, belustigtes Grinsen. "Wäre ich so egoistisch und täte Dinge nur zu meinem Wohl, würde ich nicht zu deiner Uni fahren, denn das hat keinen Nutzen für mich", antwortete er. 

Ich nickte langsam. Da hatte er wohl Recht. Ich musste mir eingestehen, dass ich mochte, wie Taehyung dachte. Ich selbst hielt die Menschen für gemein und egoistische, pragmatische Monster, doch ich hatte gedacht, mit dieser Meinung immer allein zu sein.

"Danke fürs Fahren", murmelte ich leise und zog meinen Rucksack zwischen meinen Beinen hervor, während ich die Tür des Autos öffnete und mich dann abschnallte. "Kein Ding, Jungkook, hab ich gern gemacht", erwiderte er mit einem sanften Lächeln. Ich stieg aus und schlug die Tür zu, ehe ich mich ein paar Schritte von dem Wagen entfernte und mich zur Uni aufmachte, als ich hörte, wie der Wagen wieder losfuhr.

Allerdings schien er nicht bereits weggefahren zu sein, denn wieder erklang Taehyungs Stimme hinter mir: "Bis heute Abend, Jungkook!"

"Bis heute Abend", erwiderte ich abwesend, bis mir die Bedeutung seiner Worte ins Bewusstsein sickerte. Auf der Stelle wirbelte ich herum. "Moment, was?!", rief ich überrascht, doch da war der weisse VW bereits vom Platz gefahren und liess mich verdattert zurück. 

Cherry Blossoms [Vkook]Where stories live. Discover now