48. Kapitel

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Ein leichter Händedruck reißt mich aus meinen Gedanken, die noch eben in mir übergesprudelt sind, und bringt mich zum stehen. Wir sind angekommen. Hier trennen sich unsere Wege. Isabell ist noch heute Abend bei ihrer Familie zum Essen eingeladen, da ihr Bruder aus Cornwall angereist ist, und ich will Mary noch bei einigen Vorbereitungen für den morgigen Tag zur Hand gehen. So gerne ich heute Nacht also wieder in ihren Armen einschlafen würde, wir wissen beide, dass es nicht geht.

Ich hebe meinen Blick, suche nach Isabells Augen, in denen sich der gleiche zärtliche Ausdruck widerspiegelt, wie ich ihn auch auf meinem Gesicht trage.

>>Es war wunderschön mit dir<<,haucht Isabell in die Stille. Die Worte, die aus ihren Lippen dringen, gehen in nebelartigen Wolken über. Die eisige Luft hüllt uns ein.

>>Ja, dass fand ich auch<<,erwidere ich und gehe einen Schritt auf sie zu, um ihr noch näher sein zu können. Ich lasse meine Fingerspitzen über ihre Wange gleiten, die schon eine leicht rötlich Farbe angenommen hat, und drehe schließlich eine Strähne, die sich aus ihrem Zopf gelöst hat, um meinen Finger ein.

Erst da fällt mir auf, dass es zu schneien begonnen hat. Die Schneeflocken tanzen um unsere Gesichter, verfangen sich in Isabells Haarspitzen und lassen sie für einen Moment wie Kristalle glitzern, ehe sie dahin schmelzen. Das Licht der Straßenlaternen fällt wie ein Heiligenschein auf Isabell herab, und verleiht dem ganzen einen ungewollt romantischen Touch.

Meine Augen gleiten über ihr Gesicht, speichern jede noch so kleine Besonderheit ganz genau ab, bis sie am Schwung ihrer Lippen hängen bleiben. Lippen, von denen ich weiß, dass sie mich um den Verstand küssen können.

Mit meinen Fingerspitzen male ich ihre Linien ganz genau nach, ehe ich mich zu Isabell beuge und meinen Mund mit ihrem verbinde. Minutenlang küssen wir uns, unglaublich zärtlich, als würden wir den Moment nie zu Ende gehen lassen wollen, und unsere Zungen umspielen einander, als hätten sie nie etwas anderes getan. Die Kälte ist verschwunden, mein Körper steht in Flammen.

Ganz vorsichtig lösen wir uns voneinander. Isabells heißer Atem, der aus ihren Lippen dringt, lässt meine Haut wie elektrisiert kitzeln. Ich greife nach ihrer Hand, verschränke unsere Finger miteinander.

>>Vielleicht sollten wir abhauen. Irgendwo hin, wo uns keiner kennt.<<

Isabells Mundwinkel heben sich, sie nickt zaghaft. >>Ja, vielleicht sollten wir das<<,ihre Stimme klingt brüchig, als würde ihr der Gedanke Schmerzen bereiten, >>Aber Abhauen war noch nie eine Lösung, Amelia!<<

Sie hat recht, so schwer es mir auch fällt. Wir könnten jetzt unsere Koffer packen und gehen, und doch wären da immer noch die Probleme mit meinem Vater, da wäre immer noch William, und die Tatsache, dass Isabell meine Lehrerin ist und ich ihre Schutzbefohlen. Und da wären meine Freunde, die ich einfach zurücklassen müsste.

>>Ja, du hast ja recht<<,hauche ich wehmütig, und dränge mich noch enger an sie. Isabell zieht mich an meiner Hüfte fest an sich, presst meinen Kopf gegen ihre Schulter und lässt ihre Hand auf meinem Hinterkopf ruhen. Ich nehme ihren unverkennbaren Duft in mich auf, speicher ihn ab, falls sie irgendwann nicht mehr bei mir sein sollte. Eine kleine Träne kullert über meine Wange. Ich kann sie einfach nicht zurückdrängen.

Mit einem sanften Druck drängt mich Isabell zurück, so dass ich gezwungen bin, ihr in die Augen zu sehen. Mit einem milden Lächeln küsst sie die Tränen weg.

>>Nicht weinen, hm!<< Ich nicke, auch wenn ich gerne weiter heulen würde.

>>Hier, ich hab was für dich.<< Isabell zieht eine kleine, viereckige Schatulle aus ihrer Manteltasche und drückt sie mir in die Hand. Mit einem bestätigte Blick gibt sie mir zu verstehen, das Geschenk zu öffnen. Neugierde wallt in mir auf, als ich die samtige Hülle öffne. Der Inhalt raubt mir den Atem, und lässt jede weitere Träne versiegen.

Captured- Im Netz der GefühleWhere stories live. Discover now