1. Kapitel

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Hier stehe ich nun. Vor meinem neuen Leben. Ein Leben, dass ich so gar nicht will. Ich atme die milde und feuchte Luft ein und betrachte das riesige Gebäude vor meinen Augen. Es sieht gruselig aus. Die dunklen Wolken, die noch vom starken Gewitter, das bis eben gewütet hat, übrig geblieben sind, lassen das Schloss in einem dunklen und düsteren Licht erscheinen. Und da soll ich rein gehen? Gar leben? Ohne mich!

Ich drehe mich um, um wieder zum gehen anzusetzen, werde aber prompt von einer starken Hand aufgehalten. Es ist Henry, der Fahrer meines Vaters und so ja auch irgendwie von mir. Ohne ihn und seine Frau Mary wäre ich noch einsamer, als ich es ohnehin schon bin.

>>Ich weiß, dass ist nicht das was du willst, aber denk dran Amelia, noch acht Wochen und du bist über die Ferien schon wieder bei uns Zuhause.<<

Zuhause. Wie das klingt. Eigentlich weiß ich gar nicht, wie sich ein richtiges Zuhause wirklich anfühlt. Wenn mich jemand fragen würde, wo ich mich wirklich Zuhause fühle, müsste ich wohl wirklich sehr lange überlegen.

Ich seufze. >>Acht Wochen in diesem öden Kaff hier. Wie soll ich das überleben Henry?<<

Als Henry mich hier her gebracht hat, sind wir mindestens zwei Stunden über Land und Felder gefahren. Wir müssen uns irgendwo im Norden, weit entfernt von der Zivilisation und einer großen Stadt wie London oder Oxford befinden.

Ich verschränkten die Arme vor meiner Brust und richte mich wieder dem großen Gebäude vor mir zu. Auf einem Schild neben dem eisernen Eingangstor steht in alter, krakeliger Schrift ,,Princess Victoria College,, geschrieben. Die Entscheidung, mich auf ein Mädcheninternat zu schicken, hat mein Vater auf eigene Faust entschieden. Hätte er mich vorher auch nur ein einziges mal nach meine Meinung gefragt, hätte ich wohl Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um niemals in dieses Auto steigen zu müssen. Aber jetzt bin ich hier, machtlos und mit den mahnenden Stimmen meines Vaters im Nacken.

Henry stellt meinen Koffer vor meinen Füßen ab und sieht mich dann mit einem mitleidigem Blick an.

>>Du schaffst das, Amelia<<,versucht er mir Mut zu zusprechen.

>>Hoffen wir's mal<<,murmel ich.

Henry zieht mich zum Abschied in eine feste Umarmung.

>>Mary und ich werden dich vermissen.<<

>>Ich euch auch<<,antworte ich, nachdem wir uns wieder voneinander gelöst haben.

Zögernd setzt er sich wieder in den schwarzen BMW und fährt schließlich aus der Einfahrt.

Mich überkommt das Gefühl von Einsamkeit, als ich Henry's Wagen in der Ferne nicht mehr ausmachen kann. Ich will verdammt nochmal auf kein Mädcheninternat gehen. Kann mein Vater mich nicht auf eine normale Schule schicken, auf der ganz übliche Kinder gehen. Meinetwegen können ruhig ein paar Streber, überschminkte Barbipuppen und angeberische Footballspieler dabei sein, hauptsache so normal wie möglich. Ich seufze erneut. Schluss jetzt mit dem Selbstmitleid. Ich nehem entlich meine Füße in die Hand und gehe die Schritte auf die große Eingangstür zu. Das Schloss scheint wirklich riesig zu ein. Mit seinen alten Steinen und Fenstern hat es genau den Flair, für den so viele alte Gebäude in England berühmt sind. Die Fenster werden von dunkelroten Vorhängen geschmückt und auch die gepflegten Wiesen um mich herum lassen das Ganze hier etwas einladender wirken.

In meinen Gedanken greife ich nach der Türklinke der riesigen Tür, vor der ich mittlerweile angekommen bin. Mit einem gewaltigen Ruck wird diese jedoch plötzlich aufgerissen und knallt gegen mich. Ich schleuder nach hinten und kann mich gerade noch so aufrecht erhalten. Sofort durchfährt ein stechender Schmerz meine Nase, die ich mir mit verzogenem Gesicht halte. Entgeistert starre ich das Mädchen an, dass für meine Schmerzen verantwortlich ist.

Captured- Im Netz der GefühleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt