18. Nico & Ámbar

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15 Monate. Über 450 Tage. Solange hab ich Nico schon nicht mehr gesehen. Unser letztes Gespräch ist auch schon fast zwei Monate her. Keine Ahnung wann wir wieder reden können. 

Die ständige Angst, das es das letzte mal war begleitet mich nach jedem beendeten Telefonat. Nico ist Soldat für die US Army und im Auslandseinsatz. 

Ich lebe mit unseren beiden Kindern in Chicago. Wir kennen uns seit der Schulzeit und sind nach unserem Abschluss hierher gezogen. Das Auswandern ist ein großer Traum von uns gewesen. Ich habe ein Schauspielstudium begonnen während Nico sich für die Army beworben hat. 

Ich musste mein Studium abbrechen da ich Schwanger wurde. Mittlerweile haben wir schon zwei gemeinsame Kinder. Raúl ist bereits Sieben, während die kleine Lucy erst vor kurzem ein Jahr alt wurde. 

Sie kennt Nico nicht und Nico kennt sie nicht. Er hat sie bisher nur auf Bildern gesehen. Bei der Geburt war er nicht dabei, er durfte nicht nach Hause da er an der Front gebraucht wurde. Nichtmal an Weihnachten oder Neujahr konnte er nach Hause, weil er mitten im Krieg war. Ich hoffe ich muss ihr nicht irgendwann mal erklären, warum Daddy nicht nach Hause kommt.

Gemeinsam mit meiner besten Freundin Delfi, die ich während des Studiums kennengelernt habe, ihrem Mann Pedro und meinen beiden Kindern bin ich auf dem Weihnachtsmarkt unterwegs. Ich brauche Ablenkung, vor allem jetzt zu der Zeit, wo es um Familie geht.

Wir sind bestimmt schon zwei Stunden hier, als Onkel Pedro mit Raúl Riesenrad fahren muss. 

Pedro und Delfina sind Patenonkel und Patentante der Kinder. Ich bin froh die beiden zu haben. Ich kann immer auf sie zählen, egal was für ein Problem ich habe. 

Während die beiden also Riesenrad fahren gehen Delfi und ich mit Lucy im Kinderwagen weiter. Wir haben mit den Jungs einen Treffpunkt ausgemacht, damit wir uns auch wiederfinden.

In der Zeit holen wir noch was zu essen und schauen uns ein wenig um. Am vereinbarten Treffpunkt warten wir dann aber auf Pedro und Raúl.

"Darf ich Ihnen sagen, wie wunderschön Sie heute aussehen?" werde ich plötzlich von der Seite angesprochen und sofort dreht sich mein Kopf zur Seite.

"Nein. Nein, nein, nein." wiederhole ich immer wieder und meine Lippen fangen schon an zu zittern, genau wie der Rest meines Körpers.

Jeden Tag hab ich mir das gleiche gewünscht und jetzt ist dieser Wunsch endlich in Erfüllung gegangen! 

Als Nicos Arme sich endlich um meinen Körper schlingen brechen alle Dämme bei mir und ich fange hemmungslos an mit weinen. Mir egal, dass das hier ein öffentlicher Platz ist und wir angestarrt werden. Hauptsache er ist wieder da!

Ich lege meine Hände um seinen Hals und drücke ihn so fest ich kann. Am liebsten würde ich ihn nie mehr loslassen. 

Er entfernt seinen Kopf nur minimal von meinem um mir ins Gesicht blicken zu können. Auch er hat Tränen in den Augen. Nico beugt sich nach vorn und presst schon fast sehnsüchtig seine Lippen auf meine. Viel zu schnell löst er den Kuss und legt seine Hände an meine Wangen, wo er versucht die immer wieder aufsteigenden Tränen mir aus dem Gesicht zu wischen.

"Ich hab dich so vermisst." haucht er dann und küsst mich wieder. Meine Hände vergraben sich in seinen Hosentaschen und ziehen ihn noch näher zu mir, bis ich unseren Sohn "Daddy!" rufen höre. Wir lösen uns voneinander und dann kommt Raúl auch schon angerannt. Nico geht in die Hocke und hebt seinen Sohn dann in einer Umarmung hoch.

"Na kleiner Mann, du bist aber gewachsen." 

Meine beiden Jungs so zu sehen ist wundervoll. Mir geht das Herz auf und die Tränen steigen mir wieder ins Gesicht. Delfi gibt mir gleich ein Taschentuch und ich versuche mich zu beruhigen. Ich atme ein paar mal tief durch und in der Zeit begrüßt Nico noch Pedro und Delfi. Ich hebe Lucy aus dem Kinderwagen und als Nico unseren Sohn wieder auf dem Boden abgestellt hat widmet er sich unserer Tochter.

Er nimmt sie auf den Arm und wiegt sie leicht hin und her.

"Hallo meine Süße, ich bins, dein Daddy." spricht er leise zu ihr und drückt Lucy einen Kuss auf die Stirn. Friedlich schlummert sie in seinen Armen, während er weiter mit ihr redet.

Ich stehe fast regungslos daneben und beobachte rührend das Vater- Tochter- Gespann. Ich kann es immer noch nicht glauben. Nicolás ist hier, direkt vor meinen Augen. 

"Daddy, hebst du mich auf deine Schultern?" fragt Raúl dann Nico, der sofort nickt. Vorsichtig legt er Lucy wieder in den Kinderwagen, ehe er unseren Sohnemann auf die Schultern nimmt.

Ich stehe immer noch teilnahmslos da, als wäre Nico ein Phantom, eine Einbildung, ein Traum. Es fühl sich so unreal an ihn hier vor mir zu haben.

Sein warmes Lächeln trifft auf meines und ich erwache aus meiner Trance. Es ist kein Traum, er ist wirklich zurück. 

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Von Delfi und Pedro haben wir uns auf dem Weihnachtsmarkt verabschiedet. Die Kinder schlafen endlich, zumindest unsere Tochter. Nico ist mit Raúl schon über eine Stunde bei ihm im Zimmer, da unser Sohn bestimmt alles wissen will.

Lucy bekommt das Ganze zum Glück noch nicht so ganz mit. Ich habe den Weihnachtsbaum angemacht und zünde gerade noch ein paar Kerzen an, als Nico endlich das Wohnzimmer betritt.

"Schläft er?"

"Ja, aber er hat schon gesagt morgen früh fragt er weiter." grinst Nico und setzt sich aufs Sofa. Nachdem ich auch die letzte Kerze entzündet habe geselle ich mich zu meinem Freund. 

Sofort spüre ich seine Arme um mich und das erste mal seit Ewigkeiten habe ich keine Angst, denn Nico ist hier bei mir und da kann ihm nichts passieren. 

"Warum hast du dich nicht gemeldet um mir zu sagen das du zurückkommst?" frage ich und streiche durch seine kurzen Haare, an die ich mich vermutlich nie gewöhnen werde, obwohl er sie schon seit Beginn seiner Zeit als Soldat so trägt.

"Ich wollte euch überraschen und habe deswegen Delfi Bescheid gesagt. Die hat mir dann auch verraten wo ihr seid." grinst er küsst mich.

"Die Überraschung ist dir definitiv gelungen." erwidere ich und lasse mich erneut von ihm küssen.

"Ich weiß du bist gerade erst hier, aber wie lange bleibst du?"

Diese Frage zu stellen schmerzt jedes mal aufs neue.

"Für immer."

"Wie für immer?" frage ich nach, da ich seine Antwort nicht verstehe.

"Ich geh nicht mehr, außer ich werde dringend gebraucht. Ansonsten hast du mich jetzt wieder täglich an der Backe." 

"Du verarscht mich, hab ich Recht?"

"Nein, das ist mein voller ernst. Ich will mich um meine Familie kümmern, um dich und die Kinder. Ihr seid das wichtigste für mich und ich will niemals riskieren das ich euch vielleicht nie mehr wiedersehe."

Wie schon so oft an diesem Abend schluchze ich und lege meinen Kopf an Nicos Brust, der mir tröstend über den Rücken streicht. 

Dann erzählt er mir was seine Entscheidung bekräftigt hat. Ein guter Freund von ihm ist gefallen und er war dabei, hat es mit eigenen Augen gesehen. Er war dabei als sie dessen Frau informiert haben. Die beiden hatten auch schon ein Kind. 

"Ich wollte nicht das du auch sowas durchmachen musst. Ich will die Kleinen aufwachsen sehen. Und vor allem will ich jeden Tag bei dir sein und alles nachholen was ich versäumt habe." 

"Ich liebe dich." schniefe ich überwältigt von seinen Worten und der Tatsache das er wirklich hier bleibt.

"Ich liebe dich." wiederholt Nico dann meine Worte und senkt seine Lippen auf meine.


Ámbar ist einfach immer Mutter, fragt mich nicht warum, ich kann es mir auch nicht erklären. :D

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