0. Tag ~ Partnerarbeit

943 46 9
                                    

 "...und ihre Augen."

Dinah seufzte auf. Sie war still für einen Moment, um Normanis Schönheit wahrhaft wahrzunehmen. 

Camila war mehr als nur dankbar für die Stille. Sie fand es wirklich süß, wie sehr ihre beste Freundin Normani mochte. Aber - innerlich verzog Camila das Gesicht - es war einfach unrealistisch. 

Normani war Cheerleader, beliebt und hetero. 

Dinah war unglaublich. Das war sie wirklich. Camila liebte ihre Intelligenz. Man erwartete es vielleicht wegen ihrer athletischen Statur oder ihrer Schönheit nicht, aber sie war ein Mathegenie. Die Jüngere liebte Gleichungen, Algebra und Formen; so sehr, dass sie oft Extraaufgaben machte. Sie war immer die Kursbeste. 

Das kam nicht gut bei den Mitschülern an. 

Dazu kam noch Dinahs offene Pansexualität, ihre soziale Schicht und Camila. 

Camila war ein Ass in Englisch, lesbisch und Migratin. 

Dinah und Camila, Camila und Dinah - Sie waren Schwestern. Camila liebte Dinah. Sie liebte ihre Freundschaft. Doch die Latina wusste, dass die beiden einzelnd bereits genug uncooles Material hergaben, ihre Freundschaft war die Fusion ihrer Uncoolheit in eine super Uncoolheit. Die beiden spielten ganz unten mit in der Coolheitsklasse. 

"Und sie ist intelligent! Ich mein, was will man mehr?" 

Norminah, wie Dinah es liebevoll getauft hatte, würde niemals real sein. 

"Wie wär's mit Realismus." Camilas Murmeln ging in Dinahs Schwärmerei unter.

"Escucha, Dinah!" 

Hör zu, Dinah! 

Die Augen der Polynesierin huschten schnell genug zu Señora Álvarez, dass niemand ihre Himmelei bemerkte. Die kleine Dame sah sie warnend an. Doch Camila sah Wärme in den hellbraunen Augen. 

"Da jeder jetzt zuhört,", Camila wusste, dass es etwas organisatorisches zu besprechen gab. Señora Álvarez war eine Sólo Español Verfechterin. "Wie ihr wisst, solltet ihr euch in der letzten Woche über die kulturellen Gleichheiten in lateinamerikanischen Ländern informieren. Ich hoffe, ihr habt euch darum gekümmert. Ihr werdet heute einem Partner zugeordnet," Señora Álvarez deutete auf einen Hut, der auf dem Pult lag. Zettelchen rangten aus ihm hervor. "Je einer auf der linken Seite mit einem auf der rechten. Nächste Woche werdet ihr dann ein Referat über die kulturellen Unterschiede in eurem Land zu den anderen Ländern halten."

Camilas Herzschlag beschleunigte sich. Sie hasste Referate. Die ganzen Augen, Aufmerksamkeit, - allein beim Gedanken schwitzten ihre Hände. Die Braunhaarige stieß ihre Brille hoch. 

Eine warme Hand schloss sich um die ihre. Camila sah zu Dinah. Die Jüngere gab ihr ein zärtliches Lächeln, das Camila erwiderte. Mit einem leichtem Kopfnicken deutete Dinah zu Señora Álvarez. 

"...danach kommt die Chile-Gruppe und zuletzt Bolivien."

Damit klaschte sie in ihre Hände, sah zu ihrer Lieblingsschülerin Ally und bedeutete ihr aufzustehen: "Ally, könntest du bitte jedem einen Zettel geben? Du hast mir ja schon so sehr mit der Vorbereitung geholfen." 

Camila biss auf ihrer Lippe herum. Sie mochte es nicht. Sie zog nicht, sondern wurde gezogen. Ihre Augenbrauen zogen sich leicht zusammen, als ihr ihre Hilflosigkeit bewusst wurde. Sie hatte keine Kontrolle. 

Schnell füllten Freudensschreie und Beschwerden den Raum. 

"Es wird schon nicht so schlimm sein." 

Camila lächelte Dinah an, doch diesmal war es schief. Als sie ihren Mund öffnete, um ihre Zweifel zu äußern, erscheinten zwei Schatten vor ihren Tisch. 

Normani und Lauren standen vor ihnen, beide mit je einem Zettel in der Hand. 

Nein, oder? 

"Ich schätze, wir sind dann Partner."

Normani sah Dinah an. Dinah war - Camila dachte ernsthaft, dass sie einen Herzinfarkt kriegt. Die Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen. Sie saß erstarrt da. Dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, lächelte sie Normani an, hielt einen Daumen hoch und sagte: "Bueno!" 

Ein leises Schnauben entkam Camilas Lippen. Sie machte sich nicht über Dinah lustig - sie war sogar stolz darauf, wie gefangen sie reagiert hatte - es war einfach die Situation. Das Schicksal zeigte ihr ganz klar den Mittelfinger. 

"Ich hoffe, das ist okay für dich." 

Camila schaute hoch zu der rauen Stimme. Lauren hielt den dreieckigen Zettel mit Camilas Namen hoch. Innerlich schnaubte die Braunhaarige erneut, aber sie gab ihr bestes falsches Lächeln zum Preis. 

----

"Glaubst du, Mani mag Joel oder Jaden mehr?"

Camila verdrehte die Augen. Das ging seit Stunden so. Stunden voll ausgedachter Babys, fiktiver Hochzeitsmottos und unechtem Glück. Camila wollte sich für Dinah freuen. Sie wünschte, dass sie es könnte. Aber statt Dinahs Lachen zu hören, sah sie die künftigen Tränen, die aus den jetzt mit Lachfältchen umrandeten Augen quellen würden. 

Normani würde Dinah die ganze Arbeit machen lassen. Dinah wäre am Boden zerstört, wenn sie merken würde, warum 'Mani' die Stunde über so nett zu ihr gewesen wahr. Wer müsste dann die Scherben zusammenfügen? Richtig, Camila. Auf wen hörte Dinah nicht? Richtig, Camila. 

"... so toll! Ich freu mich so sehr! Ich sag dir doch, wir sind für einander bestimmt. Das war halt - Oh mein Gott.", wisperte Dinah. 

Sie blieb schlagartig stehen. Dinah packte Camila am Arm und sah ihr in die Augen, als hätte sie ein Meet-and-Greet mit Beyoncé gewonnen. 

Camila hob eine Augenbraue. 

"Das Wichteln."

Die andere Braue folgte. 

"Wir wichteln morgen.", wisperte Dinah noch immer.

"Ja, wir wichteln morgen.", nickte Camila langsam. 

"Verstehst du denn nicht?" Dinahs Augen glitzerten und ihre Lautstärke ging hoch. "Das ist Schicksal, Chancho! Morgen, wenn wir wichteln, werde ich Normanis Namen ziehen und Normani meinen!" 

Oh Gott. 

"CheeChe-"

"Oh, nein!" Dinah sah sie warnend an. "Du wirst nicht mit deinem das-ist-nicht-realistisch,", äffte Dinah Camilas Stimme nach. "das kaputt machen."

Camilas Mund flog offen. Zwischen "So kling ich nicht!" und wilden Gestiken vergaßen sie über die Partnerarbeit. Sie alberten herum wie die Kinder, die sie waren. 

Wichteln - All I Want For Christmas Is YouWhere stories live. Discover now