Kapitel 3: Vision

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Kapitel 3: Vision

Erin schlug mit einem lauten Knall auf dem Boden in ihrem Zimmer. Ihre Mutter sprang vom Bett auf und umarmte sie fest. „Du bist wieder da. Hast du Mairtin getroffen? Geht es ihm gut?“, fragte sie.

Erin erwiderte die Umarmung und antwortete: „Ja es geht ihm gut. Ich soll dir ausrichten, dass er dich liebt.“

Ihre Mutter seufzte und wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel. „Ich wusste es. Was hat er dir erzählt?“

„Ich soll nicht mehr wiederkommen.“, sagte Erin emotionslos.

Isabella strich über das Gesicht. „Er wird bestimmt seine Gründe haben. Jetzt schlaf erstmal, es ist schon spät abends.“

 Erin blickte zum Fenster, es dämmerte schon draußen. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie solange in Junis gewesen war. Sie ging ins Bett und hoffte auf eine ruhige Nacht. Bevor sie einschlief warf sie zufällig einen Blick auf ihr Handgelenk, wo sie beim Übergang das Brennen gespürt hatte und erschrak. Auf ihrem Unterarm hatte sich ein Zeichen in ihre Haut gebrannt, ein goldener Kreis in zwei Hälften geteilt durch ein Schwert. Sie erkannte das Symbol wieder, es war ihr beim Lesen der Chronik begegnet. Angeblich war es das Zeichen aller Weltenwanderer. Sie fand es wunderschön, aber auch irgendwie verstörend.  In der Nacht träumte sie wieder. Sie warf sich im Bett hin und her, die Augen bewegten sich rasend schnell unter den geschlossenen Lidern. Diesmal zeigten die Träume ihr keinen Krieg, sondern zeigten ihr die Älteren von Junis.

 Ein kleiner, dunkler Raum nur von ein paar Kerzen erhellt. Es gab keinerlei Fenster, denn alle Wände waren mit Regalen voller Schriftrollen bedeckt. In der Mitte standen eine alte Frau mit gebeugten Rücken und ein noch älterer Mann mit einem schlohweißen Bart. Sie murmelten etwas in einer fremdartigen Sprache und schrieben auf eine der Schriftrollen.

„Weltenwandererin, jung und stark; aus Ardea; wird kommen in Dunkelheit; einen die Völker; aber wird sie retten können oder wird sie Verderben bringen.“

 Dann sprang das Bild vor ihren Augen plötzlich zu einer anderen Szene: eine große Halle, feierlich geschmückt. Die Halle war gefüllt mit prächtig gekleideten Menschen die plaudernd herumstanden oder tanzten. Mit einem Mal hallte ein markerschütternder Schrei durch die Halle und alle Köpfe fuhren herum. Eine junge Frau fiel zu Boden, ihre grünen Augen starrten weit aufgerissen an die Decke. Aus ihrem Mund kamen plötzlich rätselhafte Worte:

„ Dunkelheit wird über Junis kommen, schrecklicher als je zuvor. Magie aus der Wüste wird erstarken und alle Völker knechten. Doch ein Mädchen wird aufsteigen, begleitet von den Völkern. Wasser, Erde, Feuer, Luft. Ihre Bestimmung wird sich sichtbar zeigen, Zeichen auf der Haut. Schwarzes Haar wie die Nacht, doch in ihrem Herzen strahlt die Sonne. Sein wird sie Wasser. Doch Dunkelheit lauert auf all den Wegen.“ Die Augen fielen zu und der Körper sackte zusammen.

 Erin setzte sich im Bett auf und keuchte um wieder zu Atem zu kommen. Die Träume erschienen ihr ohne Sinn. Ihr war schwindlig und alles drehte sich. Sie ließ sich wieder zurück fallen und begann nachzudenken. Die Träume zeigten ihr Szenen aus Junis, da war sie sich sicher. Sie gaben ihr Hinweise, aber sie verstand sie nicht. Beides schienen aber Prophezeiungen eines Orakels zu sein. Es erinnerte sie an die Prophezeiung von der ihr Vater gesprochen hatte. Auch er sprach von einer Dunkelheit über Junis und dass die Weltenwanderer etwas damit zu tun hatten. Sie musste noch mal zurück, koste es was es wolle. Sie brauchte die Antworten, sonst würde sie noch verrückt.

 Nach einer weiteren Nacht mit zu wenig Schlaf, wachte sie erst mittags wieder auf. Trotzdem fühlte sie sich erschöpft. Momentan schien alles auf einmal zu passieren. Erin rieb sich die Schläfen, Kopfschmerzen kündigten sich an. Sie beschloss das Wochenende zu nutzen und Schwimmen zu gehen. Schon seit sie ein kleines Kind war, liebte sie das Wasser. Es half ihr sich zu beruhigen, im Wasser fühlte sie sich geborgen. Da sie nicht am Meer lebte, musste sie mit dem Schwimmbad vorlieb nehmen. Sie nahm ihr Fahrrad und fuhr in die Stadt zum Schwimmbad.

 Erleichtert sprang sie kurze Zeit später in das kühle Nass. Es fühlte sich erfrischend an und die Kopfschmerzen schwanden. Nach einem tiefen Atemzug, tauchte sie unter und genoss die Ruhe. Sie zog Bahn um Bahn, versunken in ihre Gedanken. Sie begann die Prophezeiungen durchzugehen: alle hatten gemeinsam, dass jemand von den Weltenwanderern Junis aus der Dunkelheit befreien würde, doch aber auch Junis tiefer hineinstürzen lassen konnte. Es war ein Mädchen mit schwarzem Haar und sie war wie Wasser und trug das Zeichen auf der Haut. Der letzte Teil irritierte sie, wie sollte jemand wie Wasser sein und trug die Person ein Tattoo? Sie kam zu keinem Ergebnis und so verließ sie das Wasser um zu duschen und sich anzuziehen.

 In der Umkleidekabine trocknete sie sich hastig ab und schlüpfte in ihre Kleidung. Als sie ihre Jeans hochzog und zuknöpfen wollte, stutzte sie plötzlich. Ihr Muttermal! Auf der linken Hüfte prangte ein Muttermal in Form eines Wassertropfens. Sie hatte immer gedacht es wäre Zufall gewesen und dem nie richtig Beachtung geschenkt. Aber plötzlich machte es Klick und alle Informationen schoben sich an den richtigen Platz. Sie war es! Die Prophezeiungen sprachen von ihr! Es passte alles zusammen: sie hatte schwarzes Haar, sie war eine der Lyriden und sie war nicht in Junis aufgewachsen. Auch die Umstände passten, wie ihr Vater ihr erklärt war mit Veara einer der dunkelsten und grausamsten Königinnen an der Macht. Aber plötzlich kamen ihr Zweifel. Wie sollte sie ein Land retten, das sie nicht einmal kannte? Sie zweifelte, dass sie fähig wäre jemals so etwas Heldenhaftes zu tun.

 Der einzige der ihr die Antworten geben könnte, war eine Welt weit weg. Also beschloss sie, dass sie schon bald wieder nach Junis zurückkehren würde, trotz der Schule. Es waren sowieso bald Ferien, da zählte es eh nicht mehr. Erin freute sich ihren Vater wieder zu sehen, auch wenn er es ihr verboten hatte. Ihr waren die Antworten wichtiger und hatte sie nicht auch eine Verpflichtung gegenüber Junis und seinen Bewohnern?

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