4. andere Seiten

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Ich drückte die Türklinke nach unten und schon öffnete sich ein immer größer werdender Spalt.
Ich hatte mich nicht getäuscht. Die Tür war nicht abgeschlossen.
Gerade als die Erleichterung mein Herz um einiges schneller schlagen ließ, wagte ich ein paar Schritte in den Gang.
Abgesehen von der minimalistischen Dekoration in meinem Zimmer, kamen hier gerade ganz andere Seiten des Gebäudes zum Vorschein.

Es war ein langer Flur und mein Zimmer lag genau am Ende davon. Jeweils zwei weitere Türen pro Wand befanden sich in diesem Stockwerk, bevor eine steile Treppe nach oben führte.
Ich wusste nicht wohin ich gehen sollte. Vielleicht war eine der Türen ein Ausgang.
Oder aber ich war im Keller des Hauses und musste zuerst nach Oben um überhaupt ein Fenster zu sehen.

Ich entschied mich dafür, zu den Treppen zu gehen, denn hinter jeder Tür könnten sich Gabriel oder Jason befinden. Einer der zusätzlichen Räume war bereits offen, doch ich erspähte nur ein kleines Badezimmer mit einer alten Badewanne, einer Toilette und einer Waschmaschine inklusive Wäscheleine, die von einer Wand zur Anderen gespannt wurde.
Aber kein Fenster.

Die restlichen Zimmer waren alle verschlossen, weswegen ich schon nach wenigen Schritten direkt vor den Stiegen stand. Als ich einen Schritt auf die erste Stufe machte, überkam mich sofort der Drang loszulaufen.

"Hey!", hörte ich jemanden hinter mir rufen. Mein Kopf fuhr nach oben und suchte den Raum nach einer Person ab. Darauf eingestellt jeden Moment von jemandem grob gepackt zu werden, stolperte ich dabei mehrere Schritte nach hinten.

Doch im ganzen Gang war weit und breit niemand zu entdecken.

"Ich hab gehört was du getan hast. Hör mit diesem Mist lieber schnell auf. Sie ist hier um uns zu helfen und nicht um dein Betthäschen zu werden."

Dieses Mal waren die Worte etwas leiser und abgedämpft. Jemand musste sich in einem der Räume befinden. Jemand, dessen Stimme mir noch unbekannt war.

In mir herrschte ein kurzer Kampf zwischen Neugier und Vernunft.

Sprach dieser Typ gerade über mich? Wofür brauchten sie mich?
Allerdings sollte ich nicht mit solch willkürlichen Fragen meine Zeit verschwenden, sonder endlich versuchen zu verschwinden.

Schlussendlich gewann doch die Vernunft und ich lief die Treppe hoch. Gerade als mir ein kühler Luftzug entgegen kam und ich um die Ecke biegen wollte, stieß ich gegen einen großen, kalten Körper.
Mein ganzes Gewicht verlagerte sich instinktiv nach hinten und bevor ich die Stufen runter fallen konnte, packte mich jemand an den Schultern und zog mich an sich.

Erst als ich mein Gleichgewicht wieder unter Kontrolle gebracht hatte, erkannte ich wer mich gerade auf frischer Tat ertappt hatte.
Verwirrt blickte er auf mich hinab und schob mich dann sofort den ganzen Weg zurück zu meinem Zimmer.

"Sam, das war eine dumme Idee.", flüsterte Gabriel und brachte mich, ohne dass ich mich währte, durch den Türramen. Er trug eine weite Winterjacke, die mit einzelnen Tröpfchen und Schneeflocken übersehen war.
"Ich kann mir nur denken wie schrecklich das hier für dich sein muss. Aber bitte. Lauf nicht weg. Wir brauchen dich und ich verspreche dir, dass dir niemand weh tun wird. Vor allem nicht Jason."

Jason
Wie konnte Aimee nur mit jemandem wie ihm zusammen gewesen sein? Auch wenn ihre Beziehung erst frisch war, wirkte sie äusserst glücklich und schien ihm zu vertrauen.
Um ehrlich zu sein, wirkte Jason ebenfalls nett und passend für Aimee. Auch wenn sie sich höchst wahrscheinlich nur für ihn interessiert hatte, weil er ihrem ersten richtigen Freund so ähnlich war.

Blondes Haar. Blaue Augen. Gutaussehend. Selbstbewusst.

Ob Aimee überhaupt schon bemerkt hatte, dass ich weg war? Ich hatte zwar nicht den Hauch einer Ahnung wie spät es gerade war, jedoch musste sie bestimmt schon versucht haben mich zu erreichen.
Vielleicht suchten sie mich gerade?
Vielleicht brauchte ich garnicht versuchen zu fliehen, da die Polizei jeden Moment hier reingestürmt kommen könnte um mich von hier wegzubringen.

Ich fing langsam an Aimee zu vermissen und es schmerzte tief in meiner Brust, wenn ich an unser letztes Gespräch im Auto dachte.

"Wenn ich könnte, würde ich sofort bei dir einziehen und die ganze Miete alleine zahlen."

Die Vorstellung sie so lange nicht oder gar nie wieder zu sehen, brachte mich fast dazu wahnsinnig zu werden.

Aimee war meine beste Freundin. Meine Familie.
Sie war immer für mich da.
Vor und nach Coles Tod.
Bevor und nachdem ich endlich den Mut dazu hatte, von Onkel Jonah wegzuziehen.

Sie half mir dabei meine Sorgen und all den Schmerz hinter mir zu lassen.
Und jetzt war alles umsonst.
Alte Wunden wurden in den letzten Stunden aufgerissen.
Diese unangebrachten Berührungen von Jason.
Die Information, dass mein Bruder angeblich noch lebte.
Eigentlich wollte ich Gabriel diese Behauptung nicht glauben. Ich konnte sie ihm nicht glauben.

Schließlich war ich diejenige, die seinen Abschiedsbrief aufgefunden hatte.

Gabriel merkte wie sehr ich innerlich mit meinen Gedanken zu kämpfen hatte, weswegen er einfach nur dastand und darauf wartete, dass ich endlich bereit dazu war mit ihm zu reden.

Nicht zum ersten Mal heute setzt ich mich auf die breite Matratze und sah ihn ebenfalls einfach nur an, während sich seine Worte wie ein Tonband in meinem Kopf abspielten.

Lauf nicht weg

Wir brauchen dich

Sein Blick senkte sich und als er akzeptiert hatte, dass ich ihm nicht vertrauen wollte, glitt ich so weit über die Matratze, dass Platz für uns beide war.

"Erzähl mir alles, was ihr glaubt über des Tod meines Bruders zu wissen."

Die Erleichterung war ihm anzumerken, als er immer weiter auf mich zukam und sich schlussendlich genau aufs andere Ende des Bettes setzte.

"Cole ist nicht tot", sagte er mit einer Mischung aus Freude und Verzweiflung in der Stimme.
"Wirklich. Er ist wirklich nicht-"

"Bitte. Erzähl mir einfach was du weißt, Gabriel."

Ich bildete mir ein, ihn dabei erwischt zu haben wie er versuchte ein Lächeln zu vertuschen, als mir sein Name über die Lippen kam.
Mir selbst wurde dadurch ein wenig leichter. Ich fing an zu merken, dass Gabriel sich genauso unwohl in dieser ganzen Situation fühlte wie ich und er es dadurch schaffte ein winziges Stück meines Vertrauens für sich zu gewinnen.

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Feedback, Kritik, andere Kommentare und Votes freuen mich natürlich immer :)

Ich hatte mir übrigens auch überlegt, vielleicht ein kleines Adventspecial zu machen, was die Kapitel angeht. Aber das muss ich mir noch überlegen, da ich dafür ziemlich viel vorschreiben muss ^^

lg ines

Finding Truth Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt