Kapitel 12

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Das was ich hätte wahrscheinlich gleich tun sollten, passierte erst gefühlte Stunden später oder doch nicht? Zumindest brüllte mir regelrecht die Seele aus dem Leib. Jemand musste in meinem Zimmer gewesen sein und das ziemlich schnell. Ich war, wenn es hochkam, gerade einmal fünf Minuten drüben bei den anderen beiden gewesen. Wenn allerdings nur jemand das Licht ausgemacht hätte, wäre wahrscheinlich alles noch okay, aber so? Fuck. Dann hätte ich mein Fenster wieder zugemacht und wäre in mein Bett gekrochen, um zu schlafen, aber das würde ich wohl nach dieser Nacht nicht mehr können.

Schon immer war ich eine, der ein bisschen Blut nicht wirklich Probleme bereitete, doch das vor mir, war zu viel. Schlagartig drang mir Säure in den Hals und mir wurde schlecht. Am liebsten hätte ich den Boden unter den Füßen verloren. Ich wollte doch einfach bloß meine Ruhe haben, mein Studium machen und mich nicht in Ärger stürzen. Wie schön, wenn das mein einziges Problem gewesen wäre. Nun hatte ich viel mehr am Arsch kleben.

Leicht taumelte ich nach hinten, wobei ich Thomas unverhofft in meinem Rücken spürte. Er war schneller da, als Melanie. Womöglich war er es gewohnt, oder erkannte gleich an der Tonlage meiner Stimme, dass etwas passiert sein musste. Ohne Weiteres zu sagen, umklammerte er auf der Stelle meine Oberarme und knurrte Mel an: »Verschwinde sofort ins Wohnzimmer und seid ruhig.« Unsanft wurde ich meiner Mitbewohnerin in die Hände gedrückt und ließ mich ohne Widerworte mitschleifen. Auch Mel war blass. Ihre sonst so rötlichen Wangen komplett verschwunden. Verständlich. Sicherlich sah ich auch nicht wirklich besser aus.

Mein Blick fing kurz darauf irgend so ein hässliches Bild an der Wand ein, als wir wieder ins Wohnzimmer geschoben wurden. Das es überhaupt noch dort hing, war mir ein Rätsel. Es war von den Bewohnern vor uns und wir hatten es irgendwie nie abgehängt, obwohl diese bunten ineinander verschlungenen Farben nicht einmal annähernd zu diesem Raum passten. Ich starrte weiterhin darauf. Ohne zu blinzeln. Als würde sich alles vermischen, ließ es mich irgendwie vergessen. Vielleicht auch ganz gut so. Ich konnte einfach nicht mehr klar denken und war komplett überfordert. Mit allem, zu diesem Zeitpunkt. Aber erst recht damit, was ich da in meinem Zimmer vorfand.

Ich wusste nicht, ob er noch lebte. Um ehrlich zu sein, wusste ich gar nichts mehr. Als es dann binnen weniger Minuten laut an der Wohnungstür klopfte, zuckte ich stark zusammen. Thomas musste telefoniert haben, denn es dauerte nur einen kurzen Augenblick, da eilte auch schon Damian mit verbissenem Gesichtsausdruck durch den Flur, in den Raum meines persönlichen Schreckens. Ich konnte weiteres nicht sehen, aber nahm das Fluchen nur ganz nebenbei wahr; verstand es jedoch nicht.

»Wer ist das?«, hörte ich Melanie neben mir. Ihre Stimme klang monoton, aber sie wollte es natürlich wissen. Schließlich lag in meinem Zimmer irgendein junger Typ. Einfach so auf dem Boden. Komplett mit Blut beschmiert. Ob er überhaupt noch lebt? Diese Frage stellte ich mir nur so ganz nebenbei. Immerhin erkannte ich nicht viel von dieser Person. Dass es allerdings keine Frau sein konnte, wusste ich auf Anhieb und das ihn jemand durch mein Fenster gewuchtet hatte ebenso. Zudem hätte er das in diesem Zustand sicherlich nicht mehr geschafft und dann war da überall dieses Blut an den Wänden. So, als hätte mit Absicht jemand meine Tapete damit beschmiert. Es war nicht nur widerlich, sondern auch unfassbar krank. Ich war mir sicher, dass der junge Mann definitiv tot sein musste. Zumindest erblickte ich sein geschundenes Gesicht und die starrenden Augen. Anders war es nicht zu deuten. Außerdem war da das ganze Rot überall.

Kurz schaute ich in den Flur hinein, dachte noch nebenbei darüber nach, dass Thomas Damian anrief und nicht die Bullen, aber irgendwie wunderte es mich auf der anderen Seite gar nicht mehr. Überhaupt nichts mehr. War es auch anders zu erwarten? Trotz alledem ging es nun nicht mehr um McCain. Da lag irgendwer. Also mussten wir definitiv die Polizei anrufen. Anders ging es nicht. Auf jeden Fall wäre ein Krankenwagen angebracht oder gleich ein Leichenwagen. Ich würgte den Kloß in meinem Hals herunter, stand automatisch auf und meine Beine trugen mich, ohne dass ich es ändern konnte, wieder zu den anderen beiden, die zwischen Flur und meinem Zimmer standen und sofort das Gespräch beendeten, als sie mich sahen. 

Bad Temptation I - DesireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt