Siehst du nicht, dass ich dich brauchte?

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Ich stand am Fenster.

Ein Tee wärmte meinen kalten Finger. Ich hatte den ganzen Nachmittag mit meiner Rache verbracht. 

Ich sah hinaus.

Ein Junge und ein Mädchen spielten draußen miteinander. Fröhlich lachend tollten sie durch die Gärten und malten kleine Kunstwerke mit Kreide auf die Straßen.

Die beiden winkten mir zu, als sie in meine Richtung blickten. Ich lächelte und winkte zurück. Als ich sie so dort sah, dachte ich an meine Vergangenheit zurück.

Ich hatte auch so mit meinen Freunden gespielt. Immer, bevor ich das gesehen hatte, als ich dreizehn war. Was wir alles für verrückte Spiele gespielt hatten.

Ein grauer Jaguar bog in die Sackgasse ein. Die Kinder hörten auf zu lachen und tuschelten miteinander. Als das Auto vorbei war, spielten sie weiter.

Das taten sie immer, wenn Mom kam. Diese parkte ihr Fahrzeug in der Garage und schloss die Tür auf.

Ich stellte meinen Tee auf dem Tisch ab und lächelte. So wie sie die Tür zuschmiss konnte ich hören, dass sie meine Änderung nicht so toll fand.

Einen Augenblick später stöckelte sie mit ihren High-Heels durch die Tür.

"Was zum Teufel fällt dir ein, die Bäume und Sträucher abzuschneiden? Die ganzen Blumen, alle hast du abgeschnitten! Der arme Garten, du hast ihn vollkommen verunstalten! Was sagst du zu deiner Verteidigung?"

Ich sah von dem Fenster wieder zu Mom rüber. Ich lehnte mich von dem Sims ab und kam einen Schritt auf Mom zu. Beruhigend nahm ich den vorbereiteten Kaffee und meinte ich zu ihr:

"Mom, nimm den Kaffee und beruhig dich erst einmal. Dann komm zu mir rüber. Schau aus dem Fenster. Siehst du die beiden kleinen Kinder? Die zwei, die da so fröhlich miteinander spielen? Die zwei, die so glücklich auf der Wiese herumtollen? Siehst du die? Ja, jetzt kannst du sie sehen.

Schau dahinter. Über den Baumwipfeln geht gerade die Sonne unter. Siehst du die Vögel, die ihr entgegen fliegen? Diese magischen Farben, die den Himmel dunkelblau bis hellgelb färben? Und die kleinen Wolkenfetzten dazwischen? Ja, jetzt siehst du sie.

Und siehst du endlich ein, dass ich mich geändert habe? Ich bin glücklich geworden. Ich habe neulich das erste Mal seit sechs Jahren gelacht. Und ich fühle mich besser als je zuvor.

Damals habe ich auch mit meinen Freunden spielen können. Seit ich dreizehn geworden bin hab ich aber nie wieder etwas mit ihnen gemacht, hast du dass gesehen? Ich war immer unglücklich, hast du dass gesehen? Ich wollte dir klar machen, wie sehr ich deine Hilfe brauchte, aber hast du dass gesehen? Nein, du hast nichts gesehen. Du hast nichts gehört, nichts gefühlt. Du warst mir keine Mutter.

Vielleicht ein schlechter Vormund, aber keine Mutter.

Denn mit seiner Mutter soll man lachen und reden können. Man sollte sich geborgen und willkommen fühlen.

Aber bin ich je einmal zu dir gekommen? Nein, nie. Und warum? Weil ich dich nicht als Mutter hatte.

In der Zeit, in der ich dich am meisten brauche, warst du nie für mich da. Aber jetzt, jetzt hab ich mir selbst geholfen. Und dafür bin ich glücklich. Glücklicher als je zuvor!"

Mom hatte sich weinend auf dem Stuhl niedergelassen.

War ich vielleicht doch zu hart und direkt gewesen?

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