Gefoltert

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Die Kristallwände zersplitterten. Tausende kleine Splitter zerfetzten meinen ganzen Körper. Es war die schlimmste Folter, die es geben konnte.

Ich schrie. Meine Arme waren voller violettem Blut. Doch schützten sie mich nicht.

Ich stand in einem Regen aus rasiermesserscharfen Kristallen und wurde von jedem ein bisschen weiter an das Ende gebracht.

Ich hatte eine Art Sprung im Blick, als würde ich durch ein gesprungenes Glas schauen.

Ich stand in einer violetten Lache und hielt mir die Ohren zu. Überlaut machten mir Stimmen klar, dass ich nichts war. Dass ich niemals normal werden würde. Das selbst die letzte Person mich verabscheute.

Ich schloss die Augen. Ich wollte das nicht hören. All die Sätze, die ich verdrängt hatte kamen wieder hoch, erstickten mich. Ich konnte sie nicht mehr unterdrücken.

Mein Kopf wurde innerlich von den Stimmen zerrissen.

"Du Abschaum! Warum hab ich dich nicht weggegeben?"

Ich konnte meine Mom immer noch hören. Meine Mom. Warum sagte ich noch Mom? Sie war nicht meine Mom. Nie würde eine Mutter so mit ihrem Kind reden.

Aber ich war wirklich Abschaum. War nichts. Und ich würde auch nie etwas werden.

Die Splitter hatten mittlerweile meinen ganzen Körper zerkratzt, aber es wollte nicht aufhören zu zerbrechen. Ich wurde schwächer.

Die Stimmen wurden lauter, zahlreicher, niederschmetternd.

Warum musste ich das aushalten?

Warum konnte ich nicht einfach daran sterben?

Aber ich musste weiterleben. Für mich. Und für die Jungs.

Ich biss die Zähne zusammen, presste die Faust fest zusammen.

Dann ließ ich einen Wutschrei los.

Er war lauter als die Stimmen, lauter als alles, übertönte sogar mich selbst.

Dann war es still.

Ich nahm die Hände von den Ohren und öffnete die Augen. Die Kristalle standen in der Luft. Als hätte jemand die Zeit angehalten.

Ich hob meine Hand, nahm einen Splitter in die Hand. Er war dunkelviolett und Tropfenförmig. Ich schloss meine Finger darum.

Schloss die Augen.

Eine Träne rollte aus meinem Augenwinkel.

Sie war violett.

Sie tropfte aus meine Hand und berührte den Splitter.

Plötzlich fing der Kristallregen wieder an auf mich niederzuschmettern. Noch schmerzhafter und zerstörender als zuvor.

Ich brach zusammen, hatte gerade noch so mein Bewusstsein.

Die Splitter bohrten sich in meinen Körper. Violettes Blut war über mir, unter mir, überall.

Ich war still. Wollte, dass es aufhörte. Doch die Folter hörte nicht auf.

Wütete über meinen kraftlosen Körper und zerfetzte meine Haut. So fühlte es sich also an, wenn ich zerbrach. Wenn mich jemand zerbrach.

Es würde mein Ende sein. Ich würde den Verstand verlieren, in ein Irren-Haus kommen.

Ein Splitter traf mich in der Hand. Ich wollte vor Schmerz schreien, doch ich konnte nicht. Meine Lippen waren blutig und ich konnte das Blut in meinem Mund schmecken.

Ich wusste, es würde nicht enden.

Ich rollte mich zusammen wie eine kleine Katze, die sich alleine fühlte.

Tränen rannen mir aus den Augenwinkeln. Warum musste ich das alles durchleben? Warum ich?

In diesem Moment hörte der Splitterregen auf.

Die letzten Splitter bohrten sich noch in meinen Körper, dann war endgültige Ruhe.

Meine Lieder waren schwer. Mein ganzer Körper klebte wegen des violetten Blutes.

Ich öffnete die Augen. Es kostete mich mehr als meine ganze Kraft, sie offen zu halten. Aber bevor ich ohnmächtig wurde, konnte ich Mike sehen.

Seine schwarzen Haare waren verstrubbelt, als hätte er sich die Haare gerauft. Sein Gesicht sah müde aus. So erschöpft. Wie ich.

Dann wurde mir schwarz vor Augen...

Zerbrechlich ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt