46. Teil

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,,Er ist Tod."

Ich atmete tief ein und spürte wie einzelne Regentropfen mein Gesicht entlang strichen. Mit zittrigen Händen zog ich das Kopftuch halbwegs über meine Haare. Heute - Ungewöhnlich kühler Augusttag. Regnerisch. Trübe. Leer.

Die kleine Gruppe versammelter Menschen beim Friedhof zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Mit langsamen Schritten öffnete ich das altscheinende, silberne Tor. Der Anblick an diesem Tag war schlimm, widerlich und grausam zugleich. Ich konnte es bis heute nicht beschreiben oder in Worte fassen. Magensäure stieg hoch, bis zur Kehle, und gerade wo man dachte, dass man es erbrechen würde, brannte es erneut und stieg zurück in den Magen.

Tod. Weg. Für immer.
Bulut - Mein Halbbruder - welcher mich einige Minuten davor selber beabsichtigte zu töten. Gemeinsam mit Caner. Meine Zähne bissen in das trockene Fleisch meiner Lippen. Meine Augen trafen Davuts, als ich mich zum Auto umdrehte. Er lehnte an seinem Jeep und hatte wie sonst auch dieses undefinierbare in seinem Blick. Genauso wie damals, als er die Pistole langsam senkte und Bulut den letzten Atemzug nahm. Mein Blick glitt erneut zur Gruppe Menschen, welchen ich nun schon viel näher war. Umso näher ich kam, umso lauter schallte das Schluchzen, das leise Flüstern von Gebeten und auch die Leere, die durch die Luft strömte und als unangenehmer Windstoß auf der Haut kratze. Ich würde diesen Moment nie vergessen. Nie. Das Blut. Meine Tränen. Der Knall. Ihn. Davut. Einfach alles. Wie es mir die darauf folgenden Tage ergangen war? Schlecht. Sehr schlecht. Miserabel. Abends, im Bett, fanden mich Albträume oder Angstzustände. Nächtelang erwachte ich Schweiß gebadet aufgrund der blutenden Leiche Buluts, welche sich permanent in meine Träume schlich.

Mit einem unangenehmen Gefühl näherte ich mich noch ein Stück mehr an. Ich war spät dran. Sie waren schon dabei Erde über den Sarg zu streuen. Meine Augen fanden die von meinem Vater. Er sah müde und erschöpft aus. Ich flüchtete seinem Blick und blickte zu den Männern, welche mit den Schaufeln Erde ins grausam wirkende Loch warfen. Ohne jegliche Emotion im Gesicht geschrieben. Mein Herz schlug ungewöhnlich langsam. Meine Augen brannten. Es erinnerte mich an diesen schockierenden Tag. Den Tag als sie ging - Meine Mutter.

Schluchzen. Leises Schluchzen piepste in meinen Ohren. Ich wanderte mit meinem Blick zur verursachenden Person. Sie kniete sich zu Boden. Ihr Körper zitterte stark. Mein Vater stützte sie. Ihr Blick war leer auf das Grab fixiert. Unglaublich - nach all dem, was diese Frau mir angetan hatte, tat sie mir nun doch leid. Meine Augen fanden Arsims. Er hatte die Hände vor seinem Bauch aufeinander gelegt. Einst war er auch Buluts Verbündeter - bis er seinem wahren Ich auf die Schliche kam. Irgendwann ging sein Kopf hoch. Die Augenlieder wurden für einen kurzen Moment groß. Anschließend nickte er mir leicht zu. Ich zurück. Es waren wenige Leute anwesend. Zehn. Mehr nicht.

Bulut Vural - 1991-2013

Das war's. Das Verbliebene von ihm. Dem Tyrannen, welcher selbes Blut wie ich in sich trug.

,,Das ist dein großer Bruder. Bulut. "

Mein elfjährigen Augen blickten in unbekannte, braune Augen, welche keinesfalls familiär wirkten. Sie starrten mich komisch an. Aggressiv und befremdlich.

,,Seid wann hast du einen Sohn, und ich einen großen Bruder, Papa?"

,,Pff, na immer schon kleines. Gewöhne dich lieber dran.''

Ein zweites unbekanntes Gesicht - genauso unsympathisch wie das erste.
Dieses blickte sich in meinen vier Wänden um. Meinem kleinen, mädchenhaften Reich.

,,Muss ich noch streichen. Diese Lila Barbie Scheisse kommt weg."

Damals verspürte ich Wut. Meine Wangen glühten wie Feuer. Diese Lila Scheisse war genau gesagt Herzen, welche meine Mutter mit mir auf die Wand gemalt hatte.

SchicksalsschlagWo Geschichten leben. Entdecke jetzt