1. Teil

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Ich blickte mit starrem Blick zu ihrem eingravierten Namen und fühlte wie mehrere, heisse Tränen meine Wange hinunter flossen. Der kalte Wind kratzte an meinem Gesicht und ließ meinen Körper aufzittern.

Auch nach fünf vollen Jahren konnte ich es noch immer nicht realisieren, geschweige akzeptieren. Sie fehlte mir sehr, zu sehr. Bei jeder Vorstellung ihres weichen und zarten Gesichtes packten mich bittere Tränen. Doch für meinen kleinen Engel würde ich das alles verkraften.

,,Ich werde versuchen ihn so zu erziehen, wie Du es gemacht hättest. Das verspreche ich dir."

Mit einer langsamen Bewegung ließ ich mich vor das Grab fallen und legte die Rose vorsichtig auf die feuchte Erde. Rosen mochte sie am meisten, früher standen stets frische auf unserem Esstisch.

,,Am meisten mochtest du weiße. Du hast mir immer erzählt, dass sie wie eine gute Seele seien, rein und unschuldig."

Ich drückte meine brennenden Handflächen gegen mein Gesicht und fühlte die unangenehme nässe. Die fesselnde Trauer und die wild brennende Wut hatte sich erneut in mir drin zusammen gesammelt.

,,In vielen Momenten bin ich einfach zu hilflos, zu naiv. Oft träume ich wie Du mir Mut ein sprichst und sagst, dass irgendwann alles gut sein würde. Doch wann? Ich kann das nicht mehr. Wie konntest du dich für ihn opfern? Er hat dich nie verdient, niemals! Er hat nur an sein Wohl gedacht und an das von ihnen. Wir wurden schon lange von ihm fallen gelassen und trotzdem hast Du das alles weiter ertragen, dich durch den Dreck ziehen lassen. Für was und wen? Damit alle von außen denken, dass wir eine perfekte Familie seien? Damit du es anderen Personen recht machst?! Sag mir, was hat es dir gebracht? Ich verzweifle ohne dich. Ich brauche dich, nein wir brauchen dich!"

Enorme Wut und innerliches Glühen packte mein Leib.

,,Ich komme wieder. Bald.''

Ich verließ den Friedhof wie gewohnt mit einem schweren Gefühl im Herzen. Die selbe, unbeantwortete Frage stellte sich erneut in meinen Kopf - Wieso gerade wir?

Immer wieder stellte ich mir diese absurde Frage. Was hatte ich falsches gemacht? Ich war doch damals grade mal unreife zwölf Jahre alt. Was konnte ich denn schlimmes mit diesen Jahren anstellen? Wieso hatte mich unser allmächtige Schöpfer so bestraft? Es war nicht fair. Niemals.

Das Atmen fiel mir unfassbar schwer und in meinem Hals entstand dieses un ertragbare Würgen. Jedes mal aufs neue. Ich strich mir die kommenden Tränen weg und spürte nach allem doch eine leichte Erleichterung, als ich endlich in die Augen meines Prinzen sah.

,,Hier sind wir!''

Ich lächelte ihm zu und versuchte wie oft schon meine Trauer zu unterdrücken. Er rannte mir entgegen und umarmte mich. Seine umwerfenden, meeresblauen Augen hatte er von ihr vererbt. Ich küsste seine süßen und weichen Wangen. Der unschuldige, himmlische Kindesgeruch stieg mir in die Nase.

,,Ich gehe schnell hoch, okay? Wir gehen gleich nachhause.''

Er nickte brav und eilte wieder zum Spielplatz zurück. Ich betrat das große Hochhaus. Zum Glück wohnte meine Tante im ersten Stock.  Nach kurzem Klingeln öffnete sie die weiße Türe und begrüßte mich, wie immer,  herzlich und freundlich. Wir setzten uns auf den besonnten Balkon. So konnten wir meinen kleinen Cousin und Kaan besser beobachten, da der Spielplatz gleich vor der Hochhaussiedlung war. Die warmen Sonnenstrahlen verwöhnten mein Gesicht.

,,Defne? Du warst wieder am Grab von ihr, nicht wahr?''

Ich nahm ein Schluck vom meinem dampfenden Tee und blickte sie ertappt an.

SchicksalsschlagWo Geschichten leben. Entdecke jetzt