32. Teil

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Geschockt blickte ich abwechselnd von dem zerbrochenen Glastisch zu der blutenden Hand von Davut. Wie er dieses dicke Glas zersplittern lassen konnte, blieb mir weiterhin ein Rätsel.

,,Es blutet-'', stammelte ich von Panik gepackt und erblickte die Küchenrolle. Ich riss mehrere Papiertücher ab und drückte sie zusammen gefaltet auf die Schnittwunde. Er sass regungslos da. Das einzige was ich wahrnahm, war sein schneller Atem. Auf einmal stand er energisch auf und schubste mich leicht zur Seite.

,,Ich brauche keine Hilfe.'', knurrte er und ließ mich verständnislos in seine feuerbraunen Augen blicken. Sein Blick war so, als ob er in die Augen eines unteren Wohlstandes sah. Er sah von der Höhe zu mir runter. Und nun hasste ich mich dafür, einem solchen Ignoranten helfen gewollt zu haben.

,,Oh Gott Davut!'', rief Gizem von weitem, als sie anscheinend von der Haushilfe den Vorfall mitbekam. Davut hatte ihr teils den Rücken zugekehrt und ging mit seiner blutropfenden Wunde um, wie mit einem harmlosen Kratzer.

,,Wie ist das passiert? Geht es dir gut Defne?'', rief Gizem panisch und blickte kurz zu mir. Ich nickte mehrmals und zog Kaan am mich heran.

,,Sollen wir einen Arzt rufen, Davut?'', fragte Gizem ruhig und legte ihre Hand auf seinen Oberarm.

,,Nein.'', antwortete er kühl und zog die Glastür hinter sich laut zu. Was für ein egoistisches Wesen konnte man nur sein? Anhand der gefassten Reaktion seiner älteren Schwester, verstand ich, dass solche Wutausbrüche nicht zu selten vorkamen. Es passte zu dem machthaberischen, egoistischen Bild von Davut. Ich hasste solche Männer. Ich hasste solche Charaktere. Gizem bat mich, mich mit ihr gemeinsam an den langen Esstisch zu sitzen. Ihr war es sichtlich unangenehm.

,,Bitte nimm es ihm nicht übel. Ich will nicht, dass du jetzt ein schlechtes Bild von uns hast.'', rechtfertigte Gizem das absurde Verhalten ihres paar Jahre jüngeren Bruders. Ich hatte mir schon lange ein  klares Bild von Davut in meinem Kopf gezeichnet. Dies verschwieg ich ihr.

,,Mach dir keine Sorge.'', murmelte ich ihr beruhigend zu.

,,Weißt du diese Wutausbrüche hat er seid klein auf. Es hängt mit unserer komplizierten Kindheit zusammen.''

Mein Blick blieb zugegeben doch sehr neugierig an ihren Lippen hängen. Kompliziert schien in meinem Kopf kein Synonym für Davut perfekt-scheinendes Leben zu sein. Während Kaan mit einer Spielkonsole beschäftigt war, schüttete mir die schöne, mitte-dreißigjährige Frau ihr Herz aus.

,,Wir verloren beide sehr jung unsere Eltern bei einem schweren Verkehrsunfall. Später verbrachten wir einige Jahre in einem Waisenhaus in der Türkei. Die Zustände waren miserabel. Man kann von keiner schönen Kindheit sprechen. Dies hat Spuren hinterlassen. Bei Davut werden diese eben durch so etwas ganz oft sichtbar. Als wir im Teenager-Alter waren, schafften wir es durch eine befreundete Gastarbeiterfamilie nach Deutschland zu kommen. Hier erbauten wir uns diesen Wohlstand. Und das von ganz alleine. Wir besaßen lediglich etwas Land und ein kleines, altes Haus in der Türkei. Deutschland hatte uns ganz neue Türen geöffnet. Zugegeben war mein Bruder auch sehr ehrgeizig und zielstrebig. Wir schlugen gute Berufswege ein. Er startete als Start-up-Unternehmer durch und eröffnete mehrere Bars und Clubs nacheinander. So nahm alles seinen Lauf. Dazwischen kam es irgendwann zu meiner Heirat, meinen ständigen Frauenarztbesuchen und schließlich zur bitteren Scheidung von meinem Ehemann.''

Ich sah sie mitfühlend an und bewunderte die Geschwisterliebe, die zwischen den beiden herrschte.

Am nächsten Abend saß ich in meiner kleinen Küche und trank meinen heiß-dampfenden Minzetee. Kaan schlief heute bei meiner Tante. Anscheinend konnte er mehr mit unserem kleinen Cousin und den Spielautos anfangen als mit mir. Ich quälte mich auf meinen Handydisplay zu schauen. Caner und ich hatten kein Wort mehr miteinander geschrieben oder gesprochen, seid ich ihn am vorgestrigen Abend wegschickte. Ich mochte nie die eifersüchtigen Parnter. Ich verachtete diese Persönlichkeiten in all meinen heißgeliebten Filmen und Serien. Und nun war ich eine davon geworden. In meinem Kopf schwirrte pausenlos ein quälendes Kopfkino umher. Nachdem ich von Aylins Begehren nach Caner Wind bekam, schien jede attraktive Frau in seiner Umgebung wie ein lästiges Pflaster auf meiner Seele. Ich wollte und konnte ihm noch keine großen Zärtlichkeiten, geschweige Innigkeiten bieten. Würde ihm das fehlen? Ich konnte ihm in keinster weise solche Sachen anbieten. Nervös lief ich auf dem kalten Fliesenboden hin und her. Ich würde ihn nicht anrufen. Von mir aus sollte er die Sache doch beenden, wenn ihm das alles nicht passte! Ich hatte ihm schon von Anfang an klar gemacht, nicht wie seine sonstigen, weiblichen Bekanntschaften zu sein. Bei diesem Gedanken schien sich mein Herz kurz zusammenzuziehen. Ich schluckte schwer und öffnete meine Kapuzenjacke, damit meine Haut besser atmen konnte. Der Klingelton meines Handys riss mich aus meinen Gedanken. Schnell nahm ich es zu mir und erblickte den Namen meiner Cousine auf dem Display. Was wollte sie bloß? Ich hatte null Nerven für sie! Ich ahnte, dass sie mich auf das gleiche Thema ansprechen wollte.

SchicksalsschlagWo Geschichten leben. Entdecke jetzt