19. Teil

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Mein Verstand schien einen Moment lang wie ausgeschaltet. Es war als ob ich nicht in dieser Wohnung stand. Nicht in der Türkei war. Nicht auf dieser Erde präsent war.

Meine Hände krallten sich in sein Hemd und drückten so stark dagegen, bis er nach hinten kippte und sich seine Lippen von meinen lösten.

,,Du bist ein dreckiger Mistkerl. Ein widerlich-", ich stoppte und raste an ihm vorbei, zielend auf mein vorübergehendes Schlafzimmer. Dieses verriegelte ich hektisch, als ob er mir folgen würde.

Angelehnt an der Tür, spürte ich meinen beschleunigten Herzschlag, welcher mich eingeengte. Mit meinen Fingerspitzen berührte ich meine Lippen. Sie pochten.

,,Verdammt seist du Caner!", murmelte ich wütend vor mich hin.

Brennender Hass kam in mir auf. Dieser Mistkerl war der erste, der meine Lippen berührte. Was für eine Katastrophe! Was für ein unverschämter, widerlicher Kerl!

Wie konnte ich nur in so einem Moment meine Vernunft verlieren?! Ich war hier um meinen Bruder zu finden, nicht um mit einem Typen wie Caner... Ich hasste seinen Namen. Diese Betonung in meinen Gedanken machte mich verrückt. Diese zwei nervtötenden Silben, welche Funken von Wut in mir auslösten.

Ich legte mich ins Bett und versuchte ein zu schlafen. Mein Bett glich einem Karussell, in dem ich mich in jeder Richtung drehte. Der Schlaf wollte nicht. Ich drehte mich immer wieder um, wechselte die Schlafpositionen duzende Male. Doch sinnlos. Mein Herzschlag normalisierte sich nicht. Ich hasste mich dafür. Wieso blieb dieses Ding in meiner linken Brust nicht ruhig?

Es war alles sein Ziel, es war sein Ziel verdammt! - Mich weich zu krieg, mich als naives, dummes Mädchen abzustempeln! Doch glaube mir Caner, das war ein großer Fehler.

Am morgen weckte mich der frühe Muezzin. Ich stand auf und sah aus dem Fenster zur weißen Moschee, die nicht weit entfernt war. Als ich mich umgezogen hatte, schloss ich langsam die Tür auf. Im Bad machte ich mich frisch und schlich nervös ins Wohnzimmer. Doch Er war nicht da. Besser so. Ich musste nach denken, wohin sollte ich nun? Wie sollte ich vorgehen? Wieder in diese merkwürdige Bar? Dieser aufdringliche Kemal hätte mir vielleicht helfen können, aber auch nur möglicherweise. Auf einmal hörte ich wie jemand die Haustür aufschloss und die trampelnden Schritte, die näher kamen. Ich musste schlucken und verlor mich wieder in meinem schnellen Puls.

,,Morgen.'', kam locker und alltäglich von ihm. Was für ein taktloser Idiot.

Nähe zu zeitgleich wollte ich an ihm vorbei laufen, ohne ihn auch nur ansatzweise zu beachten. Doch plötzlich hielt er meinen linken Oberarm fest in seinen warmen Händen.



,,Schau mich an.''

Auf seine Aufforderung hin lachte ich bloß bitter und riss mich von seinem Griff los. Draußen kam mir die erfrischende Luft entgegen. Ich sah unsere Vermieterin, mit einem Kopftuch in grün und dazu ein passender Rock. Sie sah liebenswert aus. Sie richtete ihrem kleinen Sohn die Tasche.

,,Hast du alles eingepackt?'', fragte sie. Er nickte brav.


,,Und wehe du schlägst dich wieder mit den anderen Jungs!'', rief sie und erhob ihren Zeigefinger.


,,Aber die provozieren mich!'', rechtfertige sich der schätzungsweise sieben Jahre alte Junge. Er fuchtelte dabei hektisch mit seinen Händen rum, ähnlich wie es mein Kaan tat. Ich musste irgendwie lächeln.

Die Frau hielt ihren Kopf hoch und erkannte mich.

,,Schon wach?''


Ich nickte und lief zu den zwei.


,,Los geh.'', rief meine vorübergehende Vermieterin zu ihrem Sohn.

SchicksalsschlagWo Geschichten leben. Entdecke jetzt