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Lia träumte. Lia träumte einen schönen Traum.
Sie schwebte über eine bunt blühende, wilde Wiese. Die Sonne schien hell, die Luft war klar. Wunderschöne Schmetterlinge flatterten um sie herum und die Vögel sangen nur für sie mit ihren herrlichsten Stimmen. In der Ferne glitzerte ein ein herrlicher See, in dem sich viele Fische tummelten. Lia fühlte sich so leicht, so frei... Sie hätte ewig so schweben können.
In der Nähe des See's, stand eine alte Weide, deren Äste und Zweige den Boden berührten und sich sanft im leisen Wind hin und her bewegten. Stolz stand da die Weide, ringsherum sammelten sich Tiere von jeglicher Art und neigten tief ihr Haupt vor dem majestätischen Baum. Neugierig liess Lia sich an der Weide nieder.
"Warum verneigt ihr euch vor diesem Baum?"
"Dieser Baum ist unsere Königin", sangen die Vögel.
"Sie ist die Weisheit", summten die Bienen.
"Sie ist die Älteste von uns allen", blubberten die Fische.
"Sie hat auf alle Fragen eine Antwort", riefen die anderen Tiere.
Ungläubig schüttelte Lia den Kopf. "Das gibt es nur im Märchen!"
Ein langer Zweig schlang sich sanft um ihren Arm und zog sie näher Richtung Stamm.
"Komm näher mein Kind", sagte eine rauchige Frauenstimme.
"Wer... wer bist du", fragte Lia ängstlich.
"Ich? Ich bin Grossmutter Weide. Und du bist Lia."
Erstaunt konnte Lia nur nicken. Träumte sie noch? Bestimmt... Sicher lag sie noch im Bett und träumte.
"Ich habe einen Rat für dich...", raunte der Baum. "Willst du ihn hören?"
Die Weide wartete Lias Antwort gar nicht ab, sonder fuhr fort: "Suche nicht die Liebe, sie wird dich finden. Sogar sehr bald. Du musst nur hinsehen!"

Als Lia wach wurde, fühlte sie sich sehr gut. Ausgeruht und ausgeglichen. Nach den letzten Tagen, die doch an ihr gezerrt hatten, fiel der Ballast von ihr ab. Auch in ihrem Traum hatte sie sich leicht gefühlt, endlich kein Alptraum.
Klara hatte, wie immer, schon das Frühstück fertig, als Lia sich dazu setzte.
"Hat doch gestern alles super geklappt", meine Klara.
Lia stimmte ihr zu und grinste. "Ja, das ist wohl so. Hat echt Spass gemacht und ich mag Helena, Sydney und Eriks Mutter. Bin echt gespannt, was sie daraus machen."
"Und was machst du heute so", wollte Klara wissen.
"Ich weiss nicht, mal wieder lesen?"
"Ach, du und deine Bücher... Komm mit, ich wollte mit Nadine mal ein Eis essen gehen. Natürlich bei unserem guten Italiener."
"Hmmm, ein Eis von Toni? Hört sich gut an..."
Also verliesen die zwei nach dem Frühstück die Wohnung und gingen noch etwas spazieren, bevor sie sich mit Nadine trafen.
Es war wieder ein herrlicher, milder Tag, passend für ein schönes grosses Eis.
"Sag mal Lia, hast du Erik eigentlich sehr gern?"
"Ja, von Anfang an irgendwie."
"Liebst du ihn?"
"Was", fragte Lia nun geschockt. "Nein, obwohl er dem Mann aus meinen Träumen ziemlich ähnlich sah, war er eher für mich wie ein Bruder oder so. Warum fragst du?"
"Naja, nachdem ich gestern gesehen habe, wie glücklich Erik und Helena waren...? Na, ich mach mir halt Sorgen."
"Um mich? Warum?"
"Ach, ich weiss doch, wie sehr du dich nach jemanden sehnst, an den du dich anlehnen kannst."
Lia lächelte leicht und sagte:" Klara, mach dir keine Gedanken. Er wird kommen, das weiss ich."
Erstaunt drehte sich Klara zu Lia und blickte sie fragend an.
"Ich weiss es einfach." Lia grinste.
"Wenn du das sagst..."
Sie gingen weiter und jeder hing seinen Gedanken nach.
Als sie das Eiscafé erreichten wurden sie wieder lebendig. Sie suchten sich einen Tisch an der Sonne und gaben dann ihre Bestellung auf. Nadine stieß dazu, auch sie eine Freundin von Klara. Knuddel hier, knuddel da. Allerdings wählte sie dann nur einen großen Kaffee.
Hmmmmm... Lia genoss das erste Eis des Jahres. Geniesserisch schleckte sie ihren Löffel ab und seufzte.
"Wie gut das tut..."
Klara gab ihr vollkommen recht.
"Klara, Lia", ertönte plötzlich eine Stimme neben ihnen. Als sie aufsahen, stand Matthias am Tisch.
"Hallo die Damen", grüßte er freundlich.
"Hey Matthias", erwiderten die Mädchen unisono.
"Setz dich doch", bat Klara. "Das Eis schmeckt schon, versprochen", scherzte sie. Also setzte er sich.
"War ein schöner Abend gestern, ich danke euch, dass ich dabei sein durfte. Schon was von Erik gehört?"
Sie schüttelten die Köpfe.
"Sie werden sich sicher jede Menge zu erzählen haben. Möchte da jetzt nicht stören."
Matthias gab Lia recht.
Die Bedienung kam und er bestellte sich einen Schokobecher. Dann wollte er wissen:" Wie hast du Erik eigentlich kennengelernt?"
Und so erzählte Lia. Matthias hörte zu und fing an, Lia zu bewundern. Sie hatte so ein grosses Herz, dass ihm warm wurde und er sich immer mehr zu ihr hingezogen fühlte.
Klara bemerkte Matthias Blick und und schmunzelte vor sich hin. Lia, die das bemerkte, unterbrach ihre Erzählung.
"Was", fragte sie Klara.
"Nichts," kam zurück. "Warum", fragte Klara mit unschuldigem Augenaufschlag. Plötzlich sprang sie auf, so das fast ihr Stuhl umgekippt wäre.
"Mist...", stöhnte sie laut auf. "Mist, Mist, Mist...."
"Was hast du, Klara?"
"Ich hab meine Mutter vergessen, verdammt...", fluchte Klara. "Sind doch bei ihr eingeladen, zum Kaffee... Fuck, schon ne halbe Stunde zu spät, sorry Lia. Bis später!" Sie zog die erstaunte Nadine vom Platz und weg waren sie.
"Ähm, ja..." Lia war sprachlos. Verwirrt sah sie Matthias an, doch er zuckte nur ahnungslos die Schultern.
Sie schwiegen einen Augenblick, dann bat er, dass sie weiter erzählen möge. Und sie tat es. Hingerissen lauschte er ihren Erzählungen.
Als sie geendet hatte, legte er eine Hand auf ihre.
"Du bist einzigartig Lia."
Lias Wangen zierten eine sanfte Röte.
"So ein Quatsch..."
"Nein, das ist kein Quatsch, ich meine es Ernst. Jeder andere hätte sich abgewendet. Du hast ihm eine Chance gegeben, und nicht nur das. Du hast ihm das Leben gerettet..."
"Bitte hör auf, du warst auch für ihn da. Du hast ihm unentgeltlich geholfen. Wir alle haben Gutes getan."
"Aber ohne dich hätten wir nicht die Möglichkeit gehabt, was zu tun. Du bist einfach toll..."
Schüchtern senkte Lia den Kopf. Natürlich freute sie sich, so etwas zu hören, dennoch war es ihr irgendwie unangenehm. Für sie war es doch selbstverständlich so zu handeln.
Er drückte noch einmal ihre Hand. Dann liess er los.
"Hast du noch Lust auf einen Spaziergang", fragte er heiser.
Als sie nickte winkte er der Bedienung zu und bezahlte die Rechnung.

Im Park gingen sie schweigend nebeneinander her. Automatisch führte Lia Matthias zur Brücke und beschrieb ihm, wie Erik hier gelebt hatte. Er konnte nur staunen, unter welchen Umständen Erik hier sein Dasein gefristet hatte. Er war überwältigt, wurde ihm doch wieder einmal klar, wie gut er es hatte. Klar, er hatte einen anstrengenden Job, war immer im Einsatz, so, dass ihm manchmal kaum Zeit blieb durchzuatmen. Aber mit Erik hätte er gewiss nicht tauschen wollen.

Die Beiden schlenderten zu der Bank, wo Lia auf Erik gewartet hatte und setzten sich.
"Erzähl mir von dir", bat Matthias.
"Ach, da gibt es nicht viel. Meine Eltern sind schon lange weg, ein Verkehrsunfall hat sie mir genommen", sagte sie mit Tränen in den Augen. "Ich vermisse sie unglaublich. Ein betrunkener Jugendlicher hat ihnen die Vorfahrt genommen, sie waren sofort tot. Es war nicht einfach ohne sie weiter zu machen, aber ich hab es geschafft. Damals hatte ich Literatur studiert und auf der Uni Klara kennen gelernt. Sie war immer für mich da. Aber an Tagen wie heute, wenn Klara bei ihrer Familie ist, fehlen mir die Beiden so sehr, dass es weh tut."
Tröstend legte er ihr einen Arm um die Schultern, als sich langsam eine Träne aus Lias Auge löste.
Und obwohl sie Matthias nicht wirklich lange kannte, spürte sie, dass sie ihm vertrauen konnte. Er strahlte eine so menschliche Wärme aus, dass sie sich in seine Arme schmiegte und ihre Trauer raus lies. Sie liess sich einfach fallen und schluchzte traurig in seine Jacke. Beruhigend strich er ihren Rücken auf und ab.
"Oh Lia", murmelte er. "Es tut mir so unendlich leid."
Mit tränennassen Augen sah sie ihn an. "Danke", hauchte sie, befreite sich und floh.

Sie rannte, und rannte, und rannte, um Trauer und Wut auf das Schicksal hinter sich zu lassen. Als sie zu Hause ankam, brannte ihre Lunge, kam kaum zu Atem, fühlte sich aber unendlich erleichtert.
Matthias hatte ihr wirklich gut getan. Er hatte zugehört und sie hatte Halt bei ihm gefunden. Ein kleines Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. Wie schön war es, wie er ihre Hand hielt.
Verträumt und verschwitzt verschwand sie unter die Dusche und spürte, wie das warme Wasser ihren Rücken runter rann. Langsam entspannte sie sich und als sie fertig war, schlüpfte sie in einen bequemen Jogger, machte sich ein Brot und ging ins Bett. Sie nahm sich ein Buch hervor, aber noch bevor sie eine Seite gelesen hatte, schlief sie schon tief und fest.

Im Traum ging sie einen endlosen Strand entlang. Sie sah ihre Eltern und lief ihnen voller Freude entgegen.
Sie hatten ein mildes Lächeln um ihre Lippen und nahmen Lia fest in den Arm.
"Du musst jetzt loslassen mein Kind!"
Lia nickte tapfer. "Ich weiss, doch ihr werdet mir immer fehlen. Ich liebe euch!"

Einsames Herz Where stories live. Discover now