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So verging die Zeit.
Als Lia an einem Abend, irgendwann ein paar Wochen später, von der Arbeit Heim kam, fand sie im Briefkasten einige Briefe, unter anderem einen, an Erik adressiert. Sofort sprintete Lia in die Wohnung und rief nach Erik und Klara.
Mit zitternden Händen riss Erik den Brief auf, gab den Inhalt jedoch ungelesen Lia zurück.
"Lies du bitte", sagte er atemlos.
Sie räusperte sich und las:"...darum freuen wir uns ihnen mitzuteilen, dass wir sie von allen Bewerbern ausgewählt haben..... Erik, du hast es geschafft", schrie Lia und Klara und Erik stimmten mit ein.
"Morgen früh um acht hast du den Termin zum unterschreiben des Vertrags... in dem kleinen Betrieb 'Hagen'."
"Hagen? Hagen? Ich fasse es nicht...", murmelte Erik vor sich hin. "Die wollen mich? Den Sohn der grössten Reederei, Obdachloser, Arbeitsloser, Penner?"
"Hat sich wohl ausgepennt", jauchzte Klara, die sich genauso wie Lia freute. "Ab morgen gehörst du wieder zum arbeitenden Volk!"
"Ein Bootebauer." Lia lachte Freudentränen.
"Das feiern wir", Klara überschlug sich beinahe. "Am nächsten Samstag! Und ich werde Ben und Christin einladen."
"Und ich Doktor Bittner", schlug Lia vor.
"Mädels?"
Lia und Klara hielten kurz ein und schauten Erik fragend an.
"Ihr seid mir nicht böse, wenn ich für heute verschwinde, ich muss ein wenig allein sein
und alles auf mich wirken lassen. Abschied von meiner Brücke..."
Natürlich hatten die zwei nichts dagegen, warum auch? Währendessen planten die beiden und luden die Gäste telefonisch ein. Vor allem Doktor Bittner freute sich sehr, er mochte diesen netten Kerl, der sich wider Erwarten benommen hat, als gehöre er in eine andere Welt.
Am Abend war Erik noch immer nicht zurück und Karla lag auch schon im Bett.
Lia sass vor dem Computer und starrte blicklos auf den Monitor. Krampfhaft überlegte sie, was sie nun Sydney schreiben würde. Was würde sie denken, wenn sie Nachricht von einer ihr völlig Fremden erhalten würde. Würde sie sich die Zeilen durchlesen, oder alles sofort löschen? Egal, fasste Lia sich neuen Mut. Sie kannte Sydney zwar nicht, hoffte aber, dass alles gut gehen würde. Also begann sie...

"Hallo Sydney 🌺

Ich weiss, du kennst mich nicht, und sicher wirst du nun denken: was will die denn? Bevor du das hier aber löschst, bitte ich dich, diese Zeilen zu lesen.
Ich heisse Lia und vor ein paar Wochen hatte ich ein einschneidendes Erlebnis.
Ich lernte einen jungen Mann kennen, der sich in unserer Bibliothek aufwärmen wollte. Ich mochte ihn auf anhieb, obwohl ich ihn nicht kannte. Er nannte sich 'Penner' und ich lernte ihn nach und nach kennen und schätzen. Ein sehr herzlicher und liebevoller Mensch, der immer gegen Vorurteile kämpfen musste. Wir trafen uns dann regelmässig an einer Bank im Park, wo ich ihm zu Essen und Trinken hin brachte. Er redete nicht viel und hörte dafür um so mehr zu. Er zeigte mir sogar sein Heim.
Dann wurde er schwer krank und er rief im Fieber nach seiner Familie, verzweifelt. Doch mit der Hilfe einiger Freunde und einem Arzt, dem wir unser Vertrauen schenkten, wurde er wieder gesund und entwickelte Kampfgeist, um aus seinem derzeitigen Leben heraus zu kommen.
Und er hatte wohl Glück, er bekam einen Job in einer Miniwerft.
Dennoch gingen mir nie seine Rufe aus dem Kopf, er hat so unsagbar gelitten. Auch hatte er mir seine Geschichte im Krankenbett erzählt.
Von dir, deiner Ma und Helena! Sein Name ist Erik und er vermisst euch so sehr! Ich hoffe, dass ich bald eine positive Antwort erhalte und wir ein Treffen einrichten können. Ich würde mich so für ihn freuen, denn sein Herz hängt sehr an euch und er liebt Helena noch immer.

Ich wünsche derweil alles Gute!

Lia 🌸"

Zufrieden lehnte sie sich zurück und lass sich den Brief noch einmal durch, ergänzte hier, verbesserte dort, dann endlich, klick, schickte sie die Mail ab.
Es war ein schönes Gefühl jemanden zu helfen. Ein befriedigendes Gefühl. Sie überkam eine Ruhe und ging mit der Hoffnung und Zuversicht zu Bett, dass alles gut gehen würde.
Irgendwann in der Nacht hörte sie Erik heim kommen. Beruhigt drehte sie sich um und schlief ein.

Einsames Herz Where stories live. Discover now