*2*

42 4 0
                                    

Auf dem Weg zur Arbeit ließ Lia Klara unterwegs aussteigen. Die Strassen waren ziemlich voll, in so einer Stadt fuhren eben viele Menschen zu ihrem Arbeitsplatz. Lia ergatterte einen kleinen Parkplatz, ganz in der Nähe der Bibliothek. Mit ihrem kleinen Ferrariroten Fiat 500 Cabrio passte sie auch rein. Erleichtert atmete sie auf, sie hatte es gerade noch geschafft.

Am liebsten arbeitete Lia zwischen den Bücherregalen. Einräumen, ausräumen, umräumen, sortieren, lesen... Sich in ihre Welt zurück ziehen, ihre Gedanken loslassen. Heute allerdings musste sie André an der Kasse vertreten, der sich schon gestern Abend krank gemeldet hatte. Seine Arbeit hinter dem Tresen war so gar nicht ihr Ding. Kunden bedienen, viele von ihnen schlecht gelaunt und gestresst von der Arbeit. Dennoch musste Lia stets freundlich bleiben und selbstbewusst auftreten. Selbst dann, wenn man den Frust an ihr ausließ.
Morgens, um diese Zeit, war es aber noch sehr ruhig und Lia wurde es beinah langweilig.

"Hier, hab dir n Kaffee mitgebracht." Silke reichte Lia den Becher über die Theke. "Bevor du einpennst," stichelte sie verschmitzt.
"Du bist die Beste!" Dankbar nahm Lia den duftend heissen Kaffee entgegen.
"Bist du okay?" fragte Silke. "Du siehst irgendwie... hmmmm... müde aus?"

Die Eingangstür öffnete sich und ein kalter Windhauch streifte Lia.
"Was wollen sie?", fragte Silke den heruntergekommenen  Mann, der humpelnd den Raum betrat. Ihr Blick war wachsam.
"Entschuldigen sie, darf ich mich einen Moment hinsetzen?", fragte den Mann leise aber höflich.
Als Lia diese tiefe, sanfte Stimme wahrnahm blickte sie auf und sah sich den Mann an und wich erschrocken zurück. Das gab es doch nicht. Der Mann aus ihrem Traum?
Silke schüttelte den Kopf und sagte: "Na, wir sind ja wohl hier nicht die Wohlfahrt!" Ihr angewidertes Gesicht trug dazu bei, daß der Mann den Kopf einzog. Er wollte gerade den Laden wieder verlassen, da mischte Lia sich ein, die ihren Platz hinter der Theke neugierig verlassen hatte.
"Halt, warten sie!", rief sie ihn zurück.
Langsam drehte der Mann sich um und ein trauriger Blick aus seinen blauen Augen traf Lia. Sie war wie paralysiert und starrte zurück, konnte den Blick nicht lösen... Erst das "Ich bin dann mal in der Kinderabteilung" von Silke, die kopfschüttelnd verschwand, lies Lia aus ihrer Erstarrung erwachen.
'Was war das denn', fragte sie sich in Gedanken.
"Kommen sie, setzen sie sich hier hin", bat sie ihm Platz an.
"Ich möchte ihnen keine Schwierigkeiten machen", sagte er. "Es ist nur so kalt draussen und da machen mir meine Füsse sehr zu schaffen." Schwerfällig setzte er sich in einen der bequemen Sessel. Dann sah sie in sein Gesicht, welches schmutzig und unrasiert, aber von klarer, ja, schöner Kontur war.
Sie reichte ihm ihre Tasse Kaffee, die er dankbar lächelnd entgegen nahm. Ihr Herz öffnete sich für ihn, Sympathie auf den ersten Blick. Oder war es Mitleid, fragte sich Lia? Oder, weil er sie an ihre Träume erinnerte? Immer wieder suchte sie seinen Blick, konnte sich kaum los reissen. Gott, das war doch verrückt, sie kannte ihn doch nicht einmal.
Nachdem sie drei Kunden bedient hatte, stellte sie erschrocken fest, dass der Mann gegangen war. Nur ein Zettel mit "danke" ,einer wunderschönen filigran gezeichneten Rose und eine leere Tasse Kaffee erinnerten daran, dass hier jemand gesessen hatte.
Sie steckte den Zettel in ihre Hosentasche und ging zur Tür, schaute draussen nach links und rechts, aber er war verschwunden.

Einsames Herz Tahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon