Ohne Worte

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Der Wind zehrte an meinen Haaren, an meiner Jacke. Der Regen hatte aufgehört, stattdessen strahlte mir ein blauer Himmel entgegen. Mein Kopf pochte, mein ganzer Körper fühlte sich schwer an. Ich versuchte aufzustehen. Doch es ging nicht. Meine Hände waren an eine Art Holzpfahl gebunden. Erst jetzt begann ich mich richtig umzusehen und stellte fest, dass ich auf einem Dach war. Ein kleiner Block stand auf der Mitte der rauen Oberfläche. In ihn war eine Tür eingelassen, die wahrscheinlich nach unten führte.
 Ich begann an meinen Fesseln zu ziehen, strampelte mit den Beinen, doch dadurch schnitt der Strick nur noch tiefer in meine Haut ein. Ich stieß einen Schrei aus,der jedoch nur ein Krächzen war und sank dann wieder in mich zusammen, panisch, wütend und ängstlich.
 "Es ist alles gut. Du brauchst keine Angst zu haben." Ich sah auf. Vor mir hatte sich ein Mann niedergekniet. Sein Haar war ordentlich zurückgekämmt und er trug ein schwarz, grauen Anzug. Ich sah in sein Gesicht. Mein Herz setzte aus, ich begann zu zittern.
 "Moriarty! Was haben sie mit mir vor? Wollen sie mich töten?"
 Moriarty schüttelte den Kopf. "Nein. Ich denke nicht. Wenn du Dummheiten machst werde ich dich töten. Aber ich töte nie. Das weißt du vermutlich."
 "Ja, sie machen sich nicht die Hände schmutzig", eriwderte ich abstoßend.
 Moriarty stand auf. "Wir warten auf jemanden. Du kannst dir sicher vorstellen auf wen, wenn du so schlau bist wie deine Brüder."
 "Sie haben meine Mum erpresst", sagte ich. "Sie haben sie erpresst und wissen, dass..."
 "Dass sie nicht deine Brüder sind? Wenn du wüsstest wer ich bin, dann wüsstest du auch den Rest der Wahrheit. Ich habe niemanden erpresst, weil ich es nicht nötig hatte. Du wirst die ganze Wahrheit heute noch erfahren. Wir müssen uns nur einen Augenblick gedulden."
 Ich hörte die Metalltür auf und zugehen. Dann Schritte und plötzlich stand Sherlock vor mir. Sein Mantel flatterte leicht im kalten Wind. An seinem Gesicht erkannte ich, dass er nicht mit mir gerechnet hatte.
 "War das so geplant?", fragte er und trat auf uns beide zu. Sein Gesichtsausdruck blieb ausdruckslos, seine Augen hatten Angst. Angst um mich?
 "Nein", sagte Moriarty gedehnt. "Ich denke nicht."
 "Haben sie es ihr gesagt? Weiß sie es?"
"Nein", antwortete er wieder. "Und sie werden es ihr auch noch nicht sagen. Das ist meine Aufgabe."
 "Ich weiß", nickte Sherlock.
 "Aber nun sind wir hier Sherlock. Mit unserem letzten Problem. Das letzte Problem. Sie wissen was es ist."
 "Tuen sie ihr nichts!"
 Moriarty sah ihn überrascht an.
 "Sie sollen Jules nicht wehtun. Entschuldige, ich habe ihre Siegesrede unterbrochen."
 "Sie geben sich also geschlagen?"
 "Natürlich nicht, aber sie denken sie hätten gewonnen." Er zwinkerte. "Fahren sie fort."
 Moriarty beobachtete ihn kurz misstrauisch. Beide Männer schienen mit einem Schlag vergessen zu haben, dass ich da war. Sie umkreisten sich und sprachen miteinander, jedoch so, dass ich es nicht hören konnte. Ihre Lippen bewegten sich. Für einen Moment ließ ich sie außer Acht und sah mich um. Nachdem ich meinen Kopf ungefähr dreimal so weit gedreht hatte wie es ging, wusste ich, dass wir auf dem Dach des St. Barth Hospitals waren. Warum hier? Warum in so wagemutiger Höhe? Eine plötzliche Bewegung ließ mich zusammenzucken. Sherlock hatte Moriarty gepackt und hielt ihn über die Dachkante. Ich wollte Schreien, doch ich brachte einen Ton heraus. Wie angewurzelt saß ich da und wusste nicht was ich tun sollte. Die Sekunden verstrichen. Was taten sie da? Warum wollten sie nicht, dass ich auch nur ein Wort verstand? Sherlock stellte Moriarty zurück auf seine Füße. Er sah blass aus. Moriarty hingegen zupfte an seinem Hemd, wandte Sherlock den Rücken zu und kam in die Richtung, in der ich saß.
 "Tut mir Leid, Jules. Aber das ist eine Sicherheitsmaßnahme." Aus seiner Tasche zog er ein Taschentuch und hielt es mir unter die Nase. Mein Kopf kippte zur Seite.

Ich wusste nicht wie lange ich Ohnmächtig gewesen war. Ich öffnete meine Augen und erkannte die Umrisse von drei Gestalten. Drei?
 "Was soll das? So war das nie geplant! Du hast es mir versprochen!", schrie eine Stimme.
 Mein Kop schmerzte noch mehr als zuvor. Hatte Moriarty mir verpasst?
 "Es ist nicht so gelaufen wie ich wollte", log Moriarty. Seine Stimme klang angespannt. Was hatte ihn in einen solchen Stimmungswandel versetzt? Ich öffnete die Augen. Der Wind war stärker geworden. Sherlock stand etwas abseits und beobachtete die Szenerie. Moriarty stand nur ein paar Meter von der Dachkante entfernt. Vor ihm zielte Lilith mit einer Waffe auf ihn. Ich wusste nicht, was ich tun sollte.
 "Du hast mir versprochen ihr nichts zu tun. Du hast versprochen niemandem mehr etwas zu tun. Du hast es mir ins Gesicht gesagt und mich dabei angelogen. Ich hasse dich! Du sollst nicht mehr mein Vater sein!" Sie ließ die Waffe sinken und knickte auf dem Boden ein.
 "Lilith!", rief Moriarty und trat neben sie.
 "Fass mich nicht an. Ich will dich nie wieder sehen." Sie riss sich von ihm los, wandte sich zu mir um und torkelte neben mich. Zitternd begann sie meine Fessel zu lösen.
 "Lilith, was ist hier los?", fragte ich sie. "Bist du seine Tochter? Warum bist du hier? Ich verstehe nichts mehr!" Ich spürte, wie sich das Seil um meine Handgelenke löste. Ich betrachtete kurz meine aufgeschürfte Haut und drehte mich dann zu ihr um. Ihr Haar stand struppig in alle Richtungen ab. Ihre Augen waren gerötet und immer noch trieben sie Tränen hervor, die ihr über ihr Gesicht flossen und zu Boden tropften. Sie zitterte unkontrollierbar und wurde durchgängig von Schluchzern geschüttelt.
 "Ist ja gut, ich bin bei dir!" Ich nahm sie in den Arm und Lilith vergrub ihr Gesicht in meiner Schulter. In ruhigen Bewegungen ließ ich meine Hand über ihren Rücken kreisen. Ihr Atem beruigte sich, doch wir lösten uns nicht voneinander. Schließlich begann sie zu flüstern:
 "Er ist mein Vater. Ich habe dir es nie erzählt, weil ich wusste, dass du mich hassen würdest. Ich hatte Angst vor dir, ich dachte du wärst genauso wie dein Bruder, ein Detektivbruder, ein bisschen verrückt und unfassbar schlau. Doch du hast mich angenommen wie ich war, keine Fragen gestellt, mir Sachen anvertraut. Als wir bei deiner Familie waren, habe ich mich so wohl gefühlt. Ich hatte nie eine Familie. Meine Mutter ist bei meiner Geburt gestorben und mein Vater und ich sind so viel gereist. Ich wusste was Dad tat. Er versprach mir immer, es sei zu meinem besten. Ich weiß das er mich geliebt hat. Immer, und immer wieder war er für mich da. Ich habe ihn getroffen. Beim London Eye. Er hat mir versprochen, dir nichts zu tun. Ich habe ihm vetraut, dachte endlich, könnte ich ein normales Leben führen. Doch dann kamst du vorhin auf mich zu und hast mich angeschrien. Welten sind zusammen gebrochen. Und nun hat er dich als Geisel." Ihre Stimme brach ab. Diee ganzen Informationen kamen so plözlich, dass ich sie erst nicht zu verarbeiten wusste.
 "JULES!" Ich zuckte zusammen. Es war Moriarty der schrie. Lilith und ich fuhren panisch herum, bereit uns einem Angriff zu wappnen. Doch niemand machte Anstalten uns anzugreifen. Sherlock und Moriarty waren dichter aneinander heran getreten. Moriarty hatte sich zu uns beiden umgedreht.
 "Hört mir beide, für eine Sekunde zu. Jules, ich bin dein Vater!" Stille. Ich wusste nicht was hier gerade abging? Moriarty war mein Vater? Warum sagte er das?
 "LILITH!" Seine Stimme zitterte ein wenig. Er war den Tränen nah. "Ich habe dich immr geliebt. Ich werde dich nie vergessen! Wir werden uns nicht wiedersehen! Denn du gehörst in den Himmel." Ich starrte ihn einfach nur verdattert an, während Lilith auf seine Bewegung reagierte. Sie sprang auf, als er in seine Tasche griff. Ehe ich begriff was er da tat, ertönte ein Schuss und ein Körper fiel leblos zu Boden. Alle Geräusche der Welt wurden ausgeschalten.
 Da war nur noch dieser Schrei. Dieser schreckliche Schrei den Lilith ausstieß, als Moriarty sich nicht mehr rührte. Sie stürtzte auf die Leiche ihres Vaters zu und warf sich über sie. Ihre Tränen fanden keinen halt mehr. Sie schrie und weinte gleichzeitig. Es war dieser Schrei aus Filmen, den die Hauptpersonen immer ausstießen, wenn ein weiterer Charakter, den man geliebt und geschätzt hatte, sein Ende erreicht hatte. Ein Schrei, der aus der Stimme und den Tränen bestand, die einem dabei über das Gesicht liefen. Ohne zu realiesieren was ich tat, sprang ich auf und zog Lilith von Moriarty weg.
 "Nein, Dad! Dad! Lass mich! Dad, Nein, du darfst nicht gehen! Ich brauche dich! Dad!!!"
 Ich zog sie in meine Arme. Sie musste hier weg. Aus dem Augenwinkel sah ich Sherlock. Sein Blick. Ich hatte ihn noch nie so mitfühlend gesehen.
 "Lass mich los! Er braucht mich! Dad! Ich brauche dich. Bitte lass mich nicht alleine Dad! Bitte! Geh nicht!"
 Ich strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie stürtzte zu Boden und blieb liegen. Ich sah wie Schmerzen ihren Körper durchzuckten.
 "Sherlock! Du musst mir helfen! Bitte. Sherlock?" Ich sah mich um. Sherlock stand an der Dachkante. Er schien zu telefonieren. Ich verstand jedoch kein Wort, der Wind war zu stark.
 "Sherlock, das ist nicht lustig. Komm da runter. Ich weiß, dass du ein Adrenalin Junkie bist, aber das ist jetzt wirklich unpassend. Sherlock wandte sich um. "Egal was gleich passiert. Wenn du auch nur einen Schritt in meine Richtung machst, wirst du sterben. Verstanden?"
 "Nein! Warum sollte ich sterben? Moriarty ist tot!" Ein Schuss erfüllte die Luft.
 "Seine Handlanger!", rief Sherlock gegen den Wind an. "Wenn du auch nur einen Schritt näher kommst, bin ich umsonst gestorben." Er warf sein Handy beiseite. Was tat er da? Sherlock breitete seine Arme aus. Der Wind erfasste seinen Mantel und ehe ich etwas dagegen tun konnte, ließ er sich nach vorne fallen.

"SHERLOCK!"

Jules HolmesWhere stories live. Discover now