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Ich fühle mich, als wäre ich aus Watte. Alles fühlt sich so weich und warm an. In mir herrscht Ruhe.

Ich wusste schon gar nicht mehr, wie es sich anfühlt, Beruhigungsmittel zu bekommen. Aber jetzt weiß ich es wieder. Ich weiß wieder, warum manche Patienten Beruhigungsmittel klauen und andere so lange herumschreien, bis ihnen die Ärzte was geben. Ich war sehr lange selbst eine von ihnen. Wenn man die Wahl hat zwischen immer wiederkehrenden Erinnerungen, die ohne Vorwarnung auf dich hereinbrechen und dafür sorgen, dass du nur noch weinst und schreist und sterben willst und der wundervollen Ruhe des Beruhigungsmittels, würdest du für diese Spritzen töten. Wahrscheinlich ist das schon irgendwann passiert. Ganz sicher sogar.

Mit leisem Quietschen öffnet sich die Tür zu meinem Zimmer. Schritte nähern sich meinem Bett. Ein Teil von mir möchte wissen, wer das ist, aber einem größeren Teil ist es einfach egal. Ich starre weiter geradeaus, an die Decke. Ist doch egal, was um mich herum passiert, in mir ist alles ruhig und solange die Mittel wirken, kann keiner daran was ändern. Die Umrisse eines Mannes schieben sich in mein Blickfeld. Das ist eine der Nebenwirkungen dieser Drogen, ich kann nicht mehr so scharf sehen. Oder vielleicht kann ich scharf sehen und mein Kopf kann das alles einfach nicht richtig verarbeiten.

Der Mann neben meinem Bett steht einfach nur da, komplett bewegungslos. Ich höre sein leises atmen.

Tief in mir läuten Alarmglocken, doch sie sind so leise, dass ich sie ignoriere. Soll der Mann hier herumstehen, wen interessiert das schon? Mich stört es nicht, ich bin in meiner wunderbaren Schutzblase aus Beruhigungsmitteln. Der Mann neben mir seufzt leise. Er hört sich traurig an, verzweifelt, ängstlich. Vorsichtig greift er nach meiner Hand. Er steht einfach nur da und hält meine Hand und starrt mich an. Und ich blicke stur geradeaus, an die Decke.

„Ich habe ein Tochter!", murmelt der Mann neben mir. Jetzt erkenne ich ihn: Es ist Andersson! Die Alarmglocken in meinem Inneren werden lauter, immer lauter. Doch sie sind immer noch nicht laut genug um meine Schutzblase platzen zu lassen.

„Sie ist letzte Woche elf geworden", erzählt Andersson weiter, „Ich mache das alles hier nicht nur wegen meinen Schulden."

Ein trockenes Schluchzen entfährt ihm und er drückt meine Hand fest, so fest, dass es schmerzt.

„Es tut mir leid!", flüstert er, „Aber Emma braucht einen Vater, einen auf den sie zählen kann. Ich darf nicht ins Gefängnis, sie würde es nicht verstehen. Sie glaubt ja immer noch, dass ich ein Held bin. Dass ich jeden Menschen heilen kann. Aber so ist das nicht, das ist einfach nicht so. Vor allem nicht hier, in der Psychiatrie. Aber wenn ich hier Medikamente teste, Medikamente gegen Alzheimer oder für Schlaganfallpatienten oder such nur stinknormale Schmerzmittel – wenn ich sie hier teste, an Leuten wie dir, an Leuten, deren Leben sowieso keinen Zweck mehr hat, dann ist dann kann ich vielleicht anderen helfen...oder?"

Andersson seufzt laut, „Ich muss dich umbringen, ich muss es endlich tun!"

Er lässt meine Hand los. Keine Sekunde später spüre ich sie an meinem Hals. Zuerst liegt sie nur da und ich höre Anderssons hektisches Atmen. Der Alarm in meinem Inneren ist inzwischen so laut, dass ich das Bedürfnis habe meine Ohren zuzuhalten und wegzulaufen. Aber es geht nicht, ich kann es nicht. Ich kann mich nicht rühren!

Andersson beginnt leichten Druck auf meinen Hals auszuüben. Mein Herz schlägt so schnell, dass ich befürchte es könnte explodieren.

Er erhöht den Druck. Seine Nägel bohren sich in meine Haut ich spüre seine Finger an meiner Hauptschlagader. Bei jedem Herzschlaf spüre ich sie, die Schläge folgen immer und immer dichter aufeinander. Ein heiseres Würgen entweicht meinen Lippen, gleich darauf folgt ein trockenes Husten. Mein Körper verkrampft sich, verzweifelt schnappe ich nach Luft. Luft! Ich brauche Luft! Ein weiterer Hustenanfall beutelt meinen Körper. Meine Augen tränen. Ich versuche zu schreien, ich muss schreien. Ich kann das doch, ich hab das schon einmal geschafft. Also schrei! Schrei um dein Leben!

Schrei, den keiner hörtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt