Plan B

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Dylan:

Laut Allison sind diejenigen, die zu dieser Uhrzeit noch wach sind, entweder einsam, verknallt oder betrunken. Allerdings glaubt Allison auch, dass ihr morgendliche Fruchtdrinks beim Abnehmen helfen könnten.

Mein Jeep steht jetzt vermutlich in irgendeiner Garage oder auf dem Schrottplatz, auch wenn ich dem Abschleppdienst versucht habe zu erklären, dass eine Reparatur das Einzige ist, was infrage kommt. Irgendwie bin ich ohne Auto nicht mehr in der Lage zu überleben, was vermutlich auch daran liegt, dass ich öffentliche Verkehrsmittel nicht mehr sonderlich gut leiden kann, seit sich eine 120 Kilo schwere Frau direkt neben mich gesetzt und meine eine Gesichtshälfte gegen das Fenster des Busses gedrückt hat.

Ginger hat lediglich die Augen über meine Probleme verdreht, aber das ist in dem Moment so ziemlich das Letzte gewesen, um das ich mich kümmern konnte, was vermutlich auch an dem nicht gerade gut gelaunten Fahrer des Abschleppwagens lag.

Ich starre an meine Zimmerdecke und versuche zu schlafen oder wenigstens meine Gedanken zu verdrängen, aber irgendwie funktioniert beides nicht sonderlich gut. Es ist zu still und selbst Ginger liegt seelenruhig auf der Luftmatratze neben mir, den Kopf auf ihrem Arm und die Beine mitsamt Decke angewinkelt. Ihre Haare sind auf dem halben Kissen verteilt und irgendwie sieht sie geradezu friedlich aus wenn sie schläft.

Es scheint fast so, als würde sie diese Nacht kein Alptraum heimsuchen, auch wenn das keinesfalls bedeutet, dass sie deshalb nicht mit einer Laune wie drei Tage Regenwetter zum Frühstück erscheint.

Nicht dass sie es jemals so offen gezeigt hätte, - Dad gegenüber war sie jedenfalls erschreckend höflich - aber wenn man genauer hinsieht, kann man es durchaus erkennen.

Ihr verkniffener Gesichtsausdruck, der nur selten von einem Lächeln abgelöst wird, - auch wenn es diesen Moment dafür umso besser macht - ihre zerzausten Haare, die in alle Richtungen abstehen, weil sie wahrscheinlich zu faul ist sie schon vor dem Frühstück zusammen zu binden und die Ringe unter den Augen, die so ziemlich jeder zu haben scheint, der schlecht geschlafen hat und dadurch meistens auch schlecht gelaunt ist.

Ich werde sie vermissen. - Und ich kann nicht gerade sagen, dass es mir gefällt. Vor allem nicht, wenn ich jetzt schon damit beschäftigt bin es zu tun.

Die letzte Person, die ich wirklich vermisst habe ist Mum gewesen, doch das mit Mum ist etwas völlig anderes. Ich habe noch Dad und Tyler und Allison und sie alle haben Mum genauso gut gekannt wie ich. Wie Grace ist, wissen hingegen nur die wenigsten, - was vermutlich auch daran liegt, dass sie niemanden hinter ihre Fassade blicken lässt - doch wenn sie geht habe ich niemanden mehr, der weiß wie sie wirklich gewesen ist.

Wenn Ginger weg ist kann ich der Welt vielleicht von ihr erzählen, aber sie werden niemals vollständig verstehen, was ich meine.

Dieses Mal klinge ich wirklich poetisch. Wahrscheinlich wäre es besser sich einfach auf die Seite zu drehen und zu versuchen zu schlafen, doch irgendwie kann ich meinen Blick nicht von ihr abwenden.

Du hast es ihr versprochen.

Ja, das habe ich und ich werde mein Versprechen halten. Weil sie es ist.

Das letzte Versprechen, was ich gegeben habe ging eher an mich selbst, als an irgendwen anderen. Ich habe geschworen alles zu tun, um Dad aus seinen Schulden zu heraus zu helfen, während ich sorgfältig darüber gegrübelt hatte, wie ich am besten Geld beschaffen könnte.

Es ist in der alten Wohnung gewesen, Dad war mit Tyler und Allison bei Tesco einkaufen gewesen und ich hatte nichts Besseres zu tun gehabt, als mich im Schneidersitz auf Dads durchgesessenen Schreibtischstuhl zu hocken und einen Blick auf seine Akten zu werfen.

Damals ist die Wohnung noch ein wenig größer gewesen, was vermutlich auch daran lag, dass wir als wir eingezogen sind, noch ein Familienmitglied mehr gehabt haben. Wir haben uns ein Zimmer geteilt. Allison, Tyler und ich, aber im Gegensatz zu meinem jetzigen, ist es mehr als groß genug gewesen. Dazu noch ein Wohnzimmer, Esszimmer, Küche, Bad, Schlafzimmer und Büro. Das Büro in dem ich damals gehockt habe mit der seltsamen gelben Tapete und den Postern von ehemaligen Fußballspielern an der Wand. Dad hat einst ähnliche Vorlieben wie Tyler gehabt.

Am Ende stand der Plan fest und das ist es dann gewesen. Ich war derjenige, der eingebrochen ist und dann unabsichtlich Feuer gelegt hat. Ich war derjenige, den die halbe Nachbarschaft mit einer Mischung aus Mitleid und Amüsement angestarrt hat und das bin ich manchmal auch noch heute.

Neben mir wälzt Grace sich auf ihrer Matratze, ehe sie eine neue Liegeposition findet. Ihre Decke ist halb herunter gezogen und ihr linker Fuß lugt unter der Bettdecke hervor. Ich muss unweigerlich schmunzeln. Sie trägt einmal mehr Wollsocken, als hätte sie die größte Angst davor kalte Füße zu kriegen. Vielleicht hat sie das sogar, obwohl ich glaube das ihre Antwort auf meine Frage nicht allzu freundlich ausfallen wird. Eher mit dem üblichen Augen rollen und einen passenden Konter.

Ich seufze. Ich brauche einen Plan B. Ich kann sie nicht einfach dem Schicksal - oder ihrem verdammten Plan, der für sie wahrscheinlich Schicksal ist - überlassen.

Während mein Verstand dagegen ist auch nur ansatzweise etwas zu unternehmen, ist da irgendwo noch etwas Anderes, was das Gegenteil behauptet. Vielleicht sind es Gefühle, aber selbst wenn es das ist, macht es das Ganze nur noch noch schwerer.

Kein Date, keine engere Beziehung. Ich darf mich nicht in Grace verlieben, für sie Gefühle haben, denn das würde alles noch viel komplizierter machen, als es sowieso schon ist. Und ich bin nicht sonderlich gut mit komplizierten Situationen. Dafür braucht man sich nur näher mit meinem bisherigen Lebenslauf beschäftigen.

Ich sehe ein weiteres Mal zu Grace herüber. Sie schläft, tut das, was ich auch tun sollte.

Kurzentschlossen drehe ich mich auf die Seite, mit dem Gesicht zu ihr, als hinge die Welt davon ab, dass sie diejenige ist, die ich beim Aufwachen als Erstes sehe, und klemme mein Kopfkissen zwischen meinen rechten Arm und meinen Kopf. Schließlich winkle ich die Beine an, als wäre es wichtig es Ginger gleich zu tun. Es ist wirklich an der Zeit für einen Plan B.

Auf das, was warWhere stories live. Discover now