Die Sache mit der Raucherlunge

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Grace:

„Deal", höre ich Dylans Stimme neben mir, was mich allerdings dazu bringt mein Angebot sofort wieder zu bereuen. Weshalb sollte ich ausgerechnet ihm von meinem mehr oder weniger bescheidenen Lebenslauf berichten, der in wenigen Minuten sowieso enden wird? Und ist es mir wirklich so wichtig, dass er mich nicht andauernd Ginger nennt?

Dann dämmert es mir: Er will den Grund wissen. Den Grund, weshalb ich vorhabe zu springen und irgendetwas sagt mir, dass er dieses nicht nur aus bloßer Neugier tut.

Ich kann nicht anders als ihn beiläufig zu mustern, was vor allem daran liegt, dass ausgerechnet dieser seltsame Typ in seinen Krankenhausklamotten mein letzter sozialer Kontakt in diesem Leben sein soll. Ein Typ, dessen dunklen Haare gerade lang genug sind, um bei der nächstbesten Gelegenheit hindurchzufahren und ihm die sorgsam hoch gegeelte Frisur zu ruinieren und damit einer dieser Menschen von denen ich bisher für gewöhnlich Abstand gehalten habe, um ihrer aufgesetzten Coolness zu entfliehen. Dylan scheint sich im Gegensatz zu ihnen allerdings aufs Kontern verlegt zu haben.

Ich beobachte wie er mit seinen langen Fingern eine Packung Zigaretten aus der Jackentasche zieht und frage mich gleichzeitig, ob seine Taschen von Innen womöglich größer als von Außen sind.

„Du willst jetzt nicht allen Ernstes anfangen zu rauchen, oder?", spotte ich schließlich, während Dylan Anstalten macht die Packung zu öffnen.

„Stört es dich etwa?" Dieses Mal ist er es, der mich anstarrt, um mir erneut eine Antwort abzuverlangen. Als ob ich es ihm so leicht machen würde. In dieser Hinsicht ist er definitiv nicht anders als der Rest seiner Sorte.

„Das geht dich nichts an", murmele ich nach einer Weile, um wenigstens etwas zu sagen. Ist mir egal, ob ich damit seine Abmachung breche. Es geht schließlich nur darum ihm zu antworten und genau das habe ich - wenn auch nicht sehr höflich, wie ich mir eingestehen muss - getan.

„Was ist mit Cora?"

Verdammt! Kann dieser Typ nicht wenigstens einmal aufhören diesen Satz zu wiederholen?

Ich werfe Dylan einen warnenden Blick zu, der ihn jedoch nur dazu bringt sich seine Zigarette anzuzünden. Als er das dafür benötigte Feuerzeug wieder in seiner Tasche verschwinden lässt, bin ich mir endgültig sicher, dass sie von Innen größer sind.

„Sie ist meine Schwester."

„Erzählst du mir auch mal etwas, dass ich noch nicht weiß?" Ich hasse es, wie er es immer wieder schafft meinen Spott und Sarkasmus zu kopieren. Es ist beinahe so, als würde er versuchen mich mit meinen eigenen Waffen zu schlagen.

„Rauchen verursacht Lungenkrebs", antworte ich stattdessen in der Hoffnung, dass er aufhört meine Atemluft mit seinem Qualm zu verpesten. Als ob ich jemals vorgehabt hätte mit einer Raucherlunge zu sterben.

Dylan verdreht die Augen und scheint sogar zu überlegen, ob er es riskieren soll, mir ebenfalls eine Zigarette anzubieten.

„Sie lebt in einer Pflegefamilie und ich hoffe es geht ihr gut", bringe ich es dann doch noch auf den Punkt und wundere mich gleichzeitig, weshalb ich ihm das erzähle.

Ich habe Cora seit Wochen nicht mehr gesehen, lediglich jedes Wochenende mit ihr telefoniert und ehrlich gesagt ist sie die Einzige, die mir nicht ganz so egal zu sein scheint, wie der Rest dieser Welt, was mich jedoch nicht von meinem geplanten Suizid abhält. Sie hat mir von ihren Fortschritten im Matheunterricht, von ihrer anstehenden Ballettaufführung und ihrem neuen großen Bruder berichtet. Das Einzige was ich will, ist, dass sie es im Gegensatz zu mir schafft in dieser Welt glücklich zu werden.

„Und du?", fragt Dylan, während er einen weiteren Zug von seiner Zigarette nimmt.

„Ich nicht."

Er sieht mich an, mustert mich beinahe neugierig, als ahne er bereits, was wirklich los ist. Ehe er dieses allerdings erraten kann, drehe ich kurzentschlossen den Spieß um.

„Was machst du eigentlich hier?", bringe ich schließlich mit gespielter Unschuld hervor, wobei ich mir Einerseits ein Grinsen verkneifen muss und mich Andererseits darüber ärgere, dass von meinem anfänglichen Sarkasmus nichts mehr übrig geblieben ist, das mir hätte helfen können ihn los zu werden.

„Ich arbeite." Zu meinem Leidwesen scheint Dylan nicht einmal ansatzweise erstaunt zu sein.

„Und zwar nicht freiwillig", ergänze ich und bemerke schon beinahe freudig, dass zumindest der unfreundliche Unterton in meiner Stimme zurückkommt. „Man hat dich als männliche Krankenschwester engagiert, hab ich Recht?"

„No shit, Sherlock."

Ich schweige, weil ich Dylans Antwort ausnahmsweise nichts hinzuzufügen habe und ich es ehrlich gesagt sogar ziemlich lustig finde, dass er sich als Krankenschwester versucht, während ich vor habe vom Dach seines Krankenhauses zu springen.

„Du bist eine ziemlich miserable Krankenschwester, weißt du das eigentlich?" Ich hasse es die Stille zu unterbrechen, aber diesen Kommentar kann ich mir einfach nicht verkneifen. „Für gewöhnlich müsstest du mich nämlich daran hindern zu springen."

Er scheint nicht einmal darauf zu reagieren, ehe er anfängt loszulachen. Ich weiß, dass er nicht über mich lacht, aber trotzdem kann ich es nicht leiden den eigentlichen Grund nicht zu kennen. Früher kannte ich den Grund für das Gelächter in meiner Umgebung auch nie, bis er mir später Tag für Tag auf jede erdenkliche Weise unter die Nase gerieben wurde.
Als ob die Menschheit nichts Besseres zu tun hätte.

Ich kann nicht anders als schmollend daneben zu hocken, obwohl er der Erste ist, dessen Lachen mir nicht gleich den Tag ruiniert.

„Ich bin nicht freiwillig hier", murmelt Dylan, als er sich endlich beruhigt hat, wobei er den Rauch seiner Zigarette absichtlich in meine Richtung pustet, sodass ich nur angewidert das Gesicht verziehen kann.

Sein Lachen ist dieser plötzlich auftauchenden Ernsthaftigkeit gewichen, die bei anderen Menschen immer nur dann zum Vorschein kommt, wenn sie denjenigen, denen sie am meisten vertrauen, irgendwelche privaten Probleme beichten wollen.

„Ich leiste meine Sozialstunden ab."

Wusste ich's doch!

Insgeheim triumphiere ich, doch gleichzeitig kann ich nicht anders als ihn beinahe skeptisch von der Seite anzusehen. Dylan scheint nicht der Typ dafür zu sein, auch wenn ich seine Art, ständig eine Antwort auf meine bissigen Bemerkungen zu finden, nicht ausstehen kann. Denn obwohl er sich bemüht geradezu gleichgültig aufzutreten, scheint er nicht weniger Probleme zu haben, als ich. - Die Frage ist nur, ob ich es schaffe ihn zu durchschauen, bevor er mich vom Springen abhält.

Auf das, was warWo Geschichten leben. Entdecke jetzt