Die inoffizielle Untermieterin

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„Und dennoch verwendest du seit Neusten so etwas wie Wimperntusche und Lippenstift", erwidert Dylan neckend.

„Ich wusste gar nicht, dass ausgerechnet du Ahnung von Kosmetikartikeln hast", spotte ich.

„Hab ich auch nicht", entgegnet er seufzend. „Aber irgendjemand muss sich schließlich all die Jahre Allisons neusten Stylingtipps anhören, wenn Dad arbeiten ist und Tyler sich bei der nächsten Gelegenheit in sein Zimmer eingeschlossen hat."

Das Bild von Allison und Dylan, wie sie ihm versucht den Sinn von Wimperntusche oder Mascara zu erklären schiebt sich unweigerlich in meine Gedanken, ehe ich es zwei Sekunden später auch schon wieder bereue.

Er schweigt und ich kann nicht anders, als seinen Blick einfach nur zu erwidern. Wieso hat ausgerechnet er es geschafft mich von diesem verdammten Dach herunter zu holen? Warum ist es ausgerechnet er, der mich mit jedem weiteren Tag mehr davon abhält, mich von dieser Welt zu verabschieden, indem er mir von Stunde zu Stunde wichtiger wird?

Verflucht, ich hasse diese Gefühle!

„Du hast mich gefragt, was ich mache, wenn du nicht da bist", fange ich nach einer Weile noch einmal an. Meine Worte klingen mehr wie eine Feststellung, als eine Aussage. „Warum?"

Dylan zuckt mit den Schultern. „Na ja", Er klingt fast schon verlegen. „Ich dachte du willst vielleicht hier raus und da ich heute ein paar Stunden weniger Dienst habe..."

Er beendet seinen Satz nicht, aber ich weiß auch so, worauf er hinaus will.

Ich bringe mich doch tatsächlich dazu zu lächeln. „Ob du es glaubst oder nicht, aber hier weg zu kommen ist so ziemlich das Einzige, was ich zurzeit will. Egal wohin, einfach nur weg."

Einfach nur weg von dieser engen Wohnung, wo ich wegen Dylan meine letzten Tage absitze.

„Ich überleg mir etwas, okay?" Auf seinem Gesicht spiegelt sich einmal mehr dieses verschmitzte Grinsen, mit das er mich wie so oft gekonnt in den Wahnsinn treibt. „Vorausgesetzt du hast nicht noch irgendwelche Extrawünsche."

„Und was ist, wenn es so wäre?"

Meine Hand wandert zu meinem Glas, nur um festzustellen, dass es leer ist. Vielleicht ist das der Moment in dem ich ganz beiläufig Orangensaft nachschütten sollte.

Er seufzt, doch das gewohnten Augen verdrehen bleibt aus. „Das kommt auf den Extrawunsch an."

„Also gut", antworte ich dieses Mal leiser als zuvor und schaffe es seinen Blick zu erwidern. „Es ist mir egal wo wir am Ende landen, solange du dabei bist."

Ich kann nicht fassen, dass ich das gerade wirklich gesagt habe. Es ist fast schon auffällig wie sorgsam ich versuche den Orangensaft in mein Glas zu schütten, nur um von meinen Worten abzulenken.

„Heißt das, du vermisst mich?", entgegnet er neckend.

Ich stöhne genervt. Manche Menschen sind einfach zu sehr von sich überzeugt. - Auch wenn Dylan mit seinen Überzeugungen in letzter Zeit immer häufiger richtig liegt.

„Sollte ich das?", fragend hebe ich die Augenbrauen. „Schließlich bist du gerade anwesend."

Irgendwie macht es mir Spaß ihn zu provozieren. Vielleicht sollte ich eine Art Sport daraus machen.

„Ich meine, wenn ich nicht da bin." Dylan verdreht die Augen.

Vor einer Woche ist auch nicht da gewesen, wenn ich jemanden wie ihn gebraucht hätte. Und dennoch weiß ich, dass es nicht seine Schuld ist. Eigentlich sollte er nicht einmal jetzt hier sein, doch insgeheim weiß ich, dass ich ihn nicht einfach wieder gehen lassen kann. Ich kann nicht zu dem Zeitpunkt zurückkehren, als ich noch auf dem Dach stand ohne nicht mindestens einen Gedanken an Dylan verschwendet zu haben.

„Wenn du da bist, ist die Welt irgendwie nicht ganz so deprimierend", gestehe ich ihm schließlich und kann nicht anders, als meinen Blick für wenige Sekunden von ihm abzuwenden und stattdessen auf die Tischplatte zu starren, in der Hoffnung, dass er mich nicht für den erstbesten verliebten Teenager hält.

„Degradierst", beginnt Dylan. „Degradierst du mich gerade zu deinem Psychotherapeuten?"

„Wolltest du das nicht ursprünglich sein?" Der alte Spott ist zurück, doch ich irgendwie bin ich mir nicht einmal mehr sicher, was ich davon halten soll.

„Definitiv nicht", antwortet er und auf seinem Gesicht spiegelt sich wenigstens für einen kurzen Moment ein Ausdruck, der einem Lächeln gleichkommt. „Eher derjenige, der dein Leben nur halb so deprimierend macht, wie es laut dir ist."

Ich rümpfe die Nase.

„Was ich scheinbar geschafft habe."

Wenn er nur wüsste, wie sehr.

„Woher weißt du, dass ich nicht bluffe?" Ich sehe ihn an, hoffend, dass er mir die Lüge wenigstens dieses Mal abkauft und ich es schaffe meine Fassade aufrecht zu erhalten.

„Weil du solche Tatsachen für gewöhnlich leugnest, wenn du sie nicht ausstehen kannst." Jetzt lächelt Dylan doch.

„Kann schon sein", gebe ich schließlich zu. Ich kann es nicht leiden, wenn er mich durchschaut, ebenso wenig wie den triumphierenden Blick, den er mir gerade zuwirft.

„Stimmst du mir gerade zu?", will er wissen.

„Ich hasse es, wenn du versuchst mich zu durchschauen und dann auch noch richtig liegst", spreche ich meine Gedanken schließlich laut aus.

„Und da war die Bestätigung."

Auf das, was warWo Geschichten leben. Entdecke jetzt