Kapitel 2

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Es war dunkel. Nur der Mond schien durch das kleine Fenster und Brianna traute sich nicht, eine Kerze anzuzünden. Sie wollte nicht riskieren, dass William oder seine Frau wach wurden. Also musste sie ihre Habseligkeiten im Dunkeln finden und in den Rucksack packen, doch zum Glück waren es nicht viele. Als sie fertig war, setzte sie sich den Rucksack auf und nahm behutsam ihren Sohn, der sich schwitzend auf den Laken hin und her wälzte. Was hatte William ihm nur angetan?

Sie drückte ihm einen Kuss auf die heiße Stirn und schlich mit ihm im Arm durch die Wohnstube. Als sie an der Tür zum Schlafzimmer von William und Theodora vorbeiging, knarrte plötzlich unter ihren Füßen eine Diele. Sie fuhr zusammen, betend, dass sie niemand gehört hatte. William würde sie bestimmt wieder nicht gehen lassen. Wie kommt es, dass ich ihm in den letzten Monaten so wichtig geworden bin?, dachte sie zynisch. Er hat sich doch sonst nie um mich geschert. Doch sie hatte keine Zeit, sich darüber jetzt weiter Gedanken zu machen.

Sie verharrte noch eine Weile und lauschte, ob jemand kam, dann schlich sie auf Zehenspitzen zum Regal, nahm einen Tonkrug hinaus und öffnete ihn. Wie erwartet war er voller Münzen. Williams Geheimversteck. Hier bewahrte er all sein Geld auf. Sie nahm sich eine Hand voll heraus und steckte es in ihre Rocktasche. Sie würde es später zurücklegen. Vielleicht. Jetzt brauchte sie das Geld für die Heilerin des Dorfes. Wenn ihr Bruder glaubte, er könnte sie durch einen Fluch abhalten, dann hatte er sich mächtig getäuscht. Sie konnte nicht nur hier rumsitzen und darauf hoffen, dass William es sich anders überlegte und ihn wieder heilte. Sie würde alles für Alexanders Heilung und für ihre Freiheit tun.

Sie stellte den Krug zurück und trat aus der Tür. William will mir meinen Sohn nehmen, da ist es doch nur richtig, dass ich ihm auch etwas nehme, versuchte sie sich ihr schlechtes Gewissen wegzureden. Ihr war nicht wohl dabei, etwas zu stehlen.

Sie ging durch die dunklen Gassen des Dorfes, die nur von dem spärlichen Licht der Häuser beleuchtet wurden. Schließlich stand sie vor der kleinen Hütte der Heilerin, die durch hohe Büsche vom Rest der Häuser getrennt wurde. Zaghaft klopfte Brianna an die Tür. Stille. Dann hörte sie Schritte näher kommen und eine heisere Stimme fragte: „Wer ist da?"

„Brianna. Die Schwester des Schmieds."

„Was wollt Ihr noch zu so später Stunde hier?", ertönte wieder die Stimme, doch die Tür blieb verschlossen.

„Es geht um meinen Sohn, er ist krank."

Warum können wir das nicht einfach morgen besprechen? Ich bin müde."

„Nein! Das geht nicht, meine ich... Aber kann ich Euch das nicht drinnen erzählen?"

„Na gut. Na gut." Die alte Frau machte mit grimmigem Gesicht auf und ließ sie hinein. „Ich habe noch eine andere Kundin hier, aber die wird es wohl auch fünf Minuten ohne mich aushalten können. Hier entlang." Die Frau führte sie unter an der Decke hängenden Kräuterbündeln hindurch, vorbei an Kesseln mit wabernden Flüssigkeiten, die unangenehm nach Schwefel rochen. In der Küche wies sie Brianna an, ihren Sohn auf den Holztisch zu legen, um ihn in Augenschein nehmen zu können. Ihr Gesicht war voller Falten und Brianna sah, wie es ihr trotz des Gehstocks schwer fiel, auf den Beinen zu bleiben. Immer wieder schwankte die Heilerin und musste sich am Tisch festhalten, um nicht umzukippen.

Als plötzlich unter Alexanders Haut ein schwarzer Wirbel auftauchte, bildete sich eine senkrechte Falte zwischen den Augen der Frau. „Er wurde verflucht", stellte sie nüchtern fest.

Brianna nickte und strich ihrem Sohn behutsam über den Kopf. „Tut mir leid, aber dann kann ich Euch nicht helfen. Ich will mit Magie nichts zutun haben", sagte die Frau abwehrend. Doch als sie Briannas niedergeschlagenen Blick sah fügte sie hinzu: "Meine andere Kundin, die könntet Ihr mal fragen. Ich glaube, sie kennt sich mit so etwas aus."

Sie gingen in eine Wohnstube. Erst sah Brianna niemanden in dem Chaos, doch dann entdeckte sie, dass eine Gestalt im hinteren Teil des Zimmers auf einem Stuhl niedergelassen hatte, vor sich eine Kerze. Zuerst erkannte Brianna nicht wer dort saß, doch als sie langsam näher kam blieb sie wie versteinert stehen. „Morgana", hauchte sie erstaunt. Diese erhob sich und kam nun zögernd auf sie zu.

„Brianna?"

„Was machst du hier? Warum hast du dich nicht einmal bei mir gemeldet? Geht es dir gut? Weshalb-"

„Es tut mir leid", unterbrach sie sie.

Als sie nicht antwortete, setzte Morgana nochmal an: "Du weißt nicht, wie leid es mir tut, dass ich Eric in den Tod geschickt habe. Und dass ich mich zu sehr geschämt habe, um dich zu besuchen und es dir persönlich zu sagen."

Brianna ignorierte den in ihr aufsteigenden Ärger und murmelte: "Es freut mich, dass wenigstens du noch lebst. Ich muss dich um etwas bitten."

"Alles was du willst", erwiderte Morgana.

"Alexander. William hat ihn verflucht. Ich weiß nicht was ich machen soll, kannst du vielleicht irgendetwas dagegen tun?"

Ihre Freundin kam näher und begutachtete den Jungen mit sorgenvollem Blick. Dann sagte sie mit finsterer Miene: „Das ist Magie von der dunkelsten Sorte. Er scheint es ernst zu meinen."

„Kannst du den Bann nicht aufheben? Du bist doch eine mächtige Hexe." Es musste doch eine Lösung geben. Sie verbat sich den Gedanken, dass sie ihren Sohn verlieren würde. Das würde sie nicht zulassen.

„Das einzige was ich tun kann, ist, das Fieber zu lindern und ihm sein Sterben zu erleichtern. Für den Zauber, mit dem man so dunkle Flüche aufheben kann, braucht man zwei Zauberer mit sehr viel Macht." Sie machte eine bedeutende Pause. „Es gibt nicht viele, die dafür infrage kommen, aber du bist meine beste und einzige noch gebliebene Freundin. Deshalb werde ich folgendes vorschlagen: Bei meinem Einmarsch in Camelot ist mir jemand in die Quere gekommen. Wegen ihm sitzt immer noch mein ach so toller Halbbruder Arthur auf dem Thron und nicht ich. Er wird mit mir zusammen deinen Sohn retten können. Sein Name ist Emrys. Aber ihn zu finden wird nicht einfach sein. Das Einzige, was ich über ihn weiß, ist, dass er in Camelot wohnt. Die Leute dort werden ihn also kennen."

„Danke! Ich werde sofort aufbrechen. Wir dürfen keine Zeit verlieren." Dann zögerte sie. „Was wird solange aus Alexander? Ich kann ihn unmöglich mitnehmen. Den Ritt würde er nicht überstehen."

„Er kann solange hierbleiben", sagte die Heilerin.

„Und wo finde ich dich, wenn sich Emrys bereit erklärt hat, mir zu helfen?", fragte sie an Morgana gewandt.

„Nimm meinen Ring. Wenn du mich brauchst, drehe ihn dreimal, dann werde ich kommen", antwortete diese. „Du kannst mein Pferd nehmen. Es steht vor der Tür."

„Danke", sagte Brianna von ganzem Herzen zu den beiden Frauen. Sie küsste ihren Sohn und trat aus der Tür. Sie stieg auf Morganas rabenschwarzes Pferd und winkte ihnen zum Abschied. Dann trieb sie das Pferd an und verschwand in der Dunkelheit. Würde sie es rechtzeitig schaffen?

Merlin und das verfluchte KindWhere stories live. Discover now