Kapitel 5

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"Roxy und ich haben gerade geplant, das wir alle zusammen in die Mall gehen.", spricht Cindy. Viel zu schnell. Viel zu nervig. Viel zu viel Cindy für diesen Ort. Das wir sie in der Schule nicht los werden können haben wir ja akzeptiert. Aber zuhause? Ich hatte mir eingebildet, dass es Grenzen gibt? Aber vielleicht gelten die für Cindy ja auch einfach nicht. Manche Leute meinen ja, sich alles raus nehmen zu können. Leute schikanieren, Spaß daran haben, dass es anderen schlecht geht und einfach bei ihnen aufkreuzen. Klar wieso denn nicht? Man will ja kein normaler oder gar guter Mensch sein, was? Ich frage mich kurz, ob ich das Cindy jemals ins Gesicht sagen werde? Ich weiß gar nicht, ob ich so viel vor ihr reden könnte. Jedes Mal, wenn ich sie sehe wird in mir alles ganz heiß und mein Herz beginnt zu pochen, als würde es nach Alaska abhauen wollen. Ich fühle mich wie gelähmt und frage mich, was ich tun soll. Dabei weiß ich, dass sie eine Schnecke ist. Das sie feige ist. Niemand, der auch nur ein wenig Mumm hat behandelt andere Menschen so. Jeder, der auch nur einen Funken Mitgefühl hat würde nie die Dinge tun, die Cindy tut. Oder noch leichter! Niemand der auch nur einen Hauch von Seele hat sagt die Dinge, die sie aus dem Mund wirft, als wäre es nichts. Genau diese Gedanken sind es, die mich lähmen. Die mir das Gefühl aus den Beinen nehmen. Ich weiß, dass Cindy nichts besonderes ist und das sie ein feiges verzweifeltes Mädchen sein muss. Aber da ist noch etwas. Ist es Angst? Oder vielleicht Wut? Ich weiß es nicht. Aber es ist diese Eine Sache, die mich vor Cindy klein macht. Die mich ihre Worte fürchten lässt, auch wenn ich weiß, dass ihre Worte sie immer doppelt treffen werden. Mein Bauch sagt mir, dass sie mehr unter dem ganzen leidet als ich. Mein Bauch sagt mir, dass sie ein trauriges Leben haben muss. Wovor ich mich fürchte ist vielleicht einfach, dass sie bereit ist sich selbst zu verletzten, nur um mir weh zu tun. Gedankenversunken stehe ich da. Was um mich rum passiert nehme ich gar nicht wahr. Ich hoffe nur, dass mich niemand anspricht. Dann spüre ich eine Hand unten an meinem Rücken. Henri.

Sieht ganz so aus, als hätte er etwas gesagt. Ich schaue ihn an. Er schaut zurück.

"Magst du in die Mall oder an den Strand, Aurora?", fragt er. Das ist es jetzt also? Es ist alles normal gerade? Wir überlegen nun, wohin wir alle zusammen gehen?

Ich weiß es nicht. Denke ich. Ich schaue ihn an. Er schaut mich an. Ich spüre seine Hand. Ich spüre die Enge in meiner Brust. Ich spüre Cindys Anwesenheit. Ich spüre, wie genervt Roxy ist. Ich spüre, dass ich keine Ahnung hab was das hier für eine Situation ist. Das hat mir niemand beigebracht denke ich und renne so schnell ich kann die Treppe hoch.

Oben schließe ich ab. Mein Herz pocht als wäre es im Entspurt nach Alaska. Meine Beine sind taub, ich spüre sie nicht mehr. Jegliches Gefühl ist in meinem Kopf gelandet. Ich weiß nicht, was los ist. ich weiß nicht was das soll. Ich frage mich, was ich jetzt tun soll. Und wie ich es tun soll. Ich höre nichts. Ich frage mich, was so schlimmes passiert ist. Ich verstehe es nicht. Ich laufe zum Bett. Ich bewege mich dahin. Ich spüre nicht wie genau ich laufe. Dort angekommen lasse ich mich fallen. Ich will niemanden sehen. Nicht einmal Roxy. Wieso sieht niemand, wie schlecht es mir damit geht? Wieso denkt niemand darüber nach, wie sehr mich Cindys Worte verletzt haben. Wieso fragt sich niemand, was das in mir macht? Wieso weiß ich nicht wie man mit so etwas umgeht?

Wieso lernt man das nicht in der Schule? Wieso reden Eltern nicht über solche Dinge. Ich fühle mich alleine, obwohl ich gerade von Leuten weg gerannt bin. Wieso bin ich diejenige, die hier oben weint. Wieso ist es nicht Cindy. Sie hat damit angefangen. Ich hätte kein Problem, wenn sie keins hätte. Ich beschließe Joggen zu gehen. Ich habe meine Sport-Klamotten noch an. Ich stürme aus meinem Zimmer. Schnurstracks an den anderen vorbei. Ich laufe wieder Richtung Pier. Immer schneller. Bis die Funkstille herrscht.

Es gibt Dinge, die man alleine tut. Nicht weil sie mit jemand anderem nicht genau so schön sein könnten. Sondern viel mehr, damit man die Erinnerungen mit sich selbst teilt. Das neue Album deiner Lieblingsband endlich kaufen und zum ersten Mal anhören zum Beispiel. Dinge, die einem Kraft geben. Wenn man diese Erinnerungen mit sich selbst teilen kann. Hat man ein Fundament geschaffen auf dem man stehen kann. Und wenn man mal nicht stehen kann. Kann man auf diesem Fundament auch liegen. So wie ich momentan. Seit Tagen gehe ich allen aus dem Weg. Ich gehe morgens laufen und direkt aus dem Haus in die Stadt. meistens mit dem Bus doer Taxi, damit ich mich nicht mit Roxy über das Auto absprechen muss. In der Stadt laufe ich umher. Ich versuche Stellen zu finden, die ich noch nicht kenne. Dann setze ich mich in Cafes, trinke Kaffee und höre Alben, die ich liebe. Fern von allen anderen fange ich an zu träumen. Und abends fahre ich heim. Nehme ein Bad, lackiere meine Nägel, schaue meine Lieblingsserien und lege mich irgendwann schlafen. Ab und an habe ich die anderen natürlich gesehen. Da habe ich einfach gelächelt und Fragen beantwortet. Es tat weh, die anderen zu sehen. Mein Ausraster vor einigen Tagen ist mir peinlich und ich weiß, dass er jedem auf der Zunge liegt. Nur ich, ich möchte nicht darüber reden. Ich möchte nicht mit irgendjemandem über diese Themen reden. Ganz ehrlich? Wer soll das schon verstehen. Und was soll es schon bringen jemanden zu erzählen wie sehr mich das alles verletzt? Wirklich. Was soll es bringen? Ich lade also meine Batterien wieder auf indem ich mir zeit für mich nehme. Mir ist auch bewusst, dass es übermorgen schon nach Ibiza geht. Aber damit, mit Roxy und Maxwell zusammen weg zu gehen komme ich klar. Eigentlich ist es optimal. So muss ich mich nicht gleich an die Nähe von allen anderen gewöhnen und Maxwell und Roxy scheinen mir ein guter Anfang zu sein. Ich bin gerade in einem Cafe in Down Town. Ein Hipster Laden. Anders kann man das hier nicht beschreiben. Draußen steht dick auf der Scheibe Kohlsalat. Darunter drei verschiedene grüne Smoothies. Überall stehen diese kleinen grünen und violetten Pflanzen. Und wenn ich so darüber nachdenke ist alles total ungemütlich hier. Man sitzt auf alten Holzstühlen und nichts hier drinnen ist gepolstert. Ich bin schon eine ganze Weile hier, deswegen kann ich das mit der Bequemheit des Cafes hier drinnen wirklich gut beurteilen. Years & Years Communion läuft bereits das vierte Mal von vorne.

AURORAWhere stories live. Discover now