13. Wahre Gesichter

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"IST ES DENN ZU FASSEN?! AAARGH!"
Noch total verschlafen, und aufgrund dessen automatisch schlecht gelaunt, ziehe ich mein Kissen unter meinem Kopf hervor. Was geht denn bei Amber ab? Ich will gar nicht wissen wie viel Uhr wir haben, meine Fresse! Ich versuche mithilfe des weichen Polsters die Lautstärke zu dämmen, indem ich mir damit die Ohren zuhalte. Womit habe ich es nur verdient, mir mit ihr das Zimmer teilen zu müssen? Gott ...
"UND WO IST JETZT MEIN HANDY?!"
Genau aufs Stichwort höre ich meins vibrieren. Ich hole es an mich heran und entdecke freudigerweise eine Nachricht von Nathaniel. Ich lasse das Kissen über meinem Kopf, halte mein Handy vor der Nase und stelle die Helligkeit des Displays auf die geringste Stufe. So dürfte ich kein Risiko eingehen, falls Amber interessieren sollte, wer mir geschrieben hat.
Nathaniel 💘: Guten Morgen! Ich hoffe du hast gut schlafen können. Ich persönlich habe so gut geschlafen, wie lange nicht mehr. Lag vermutlich an deinem Besuch gestern Abend. Ich freue mich dich nachher zu sehen ... ❤️
Ich muss kichern. Gerade war meine Stimmung noch im Keller, doch durch diese Nachricht wurde sie in Windeseile in den Himmel geschossen. Vor allem der letzte Satz ist schön.
"Was gibt es denn da zu lachen?", fragt Amber genervt und zieht mir das Kissen vom Kopf weg. Zum Glück reagiere ich schnell genug und sperre mein Handy noch rechtzeitig, ehe ich zurückfauche: "Verdammt, was soll das?!"
"Machst du dich lustig über mich, oder was?"
"Nein!" Ich richte mich in die Sitzposition auf. "Und ich verrate dir auch warum: Weil die Welt sich nicht nur um dich dreht, Amber!"
Sie guckt mich für einen Moment entsetzt an, ehe sie die Augen verdreht und zurück zum Spiegel geht. Ich habe keine Ahnung was ihr Problem ist aber sie ist meins, so viel steht fest!

Als ich den Frühstückssaal betrete stechen mir direkt zwei Personen ins Auge: Nathaniel, dessen blonde Haare so weich aussehen, dass ich am liebsten so lange durchwuscheln würde, bis mir die Hand abfällt, und Melody. Das ist wieder der Moment, in dem ich auf sie zusteuern will, sie vom Stuhl kicken und ihren Platz einnehmen will. Nathaniel hätte an sich bestimmt nichts dagegen, nur wäre meine Vorgehensweise nicht gerade die feine englische Art. Gut, ich bin Mexikanerin, aber die sind auch keine Rüpel. Ich nehme diese Situation hin und schnappe mir einen Teller. Vor den Brötchen sehe ich Lysander stehen. "Guten Morgen", begrüße ich ihn mit ruhiger Stimme. Irritiert schaut er nach links und rechts, bevor er sich zu mir umdreht und lächelt. "Guten Morgen, Lisa."
"Und, was sagst du zu der Frühstücksauswahl?"
"Sie ist spärlich aber ich bin nicht sonderlich zimperlich, wie du weißt."
"Ja, das weiß ich", grinse ich.
"Wie lautet deine Meinung dazu?"
"Das Frühstück von Zuhause ist mir lieber."
"Wem nicht?", fragt er rhetorisch und lacht in sich hinein. Es ist so ein leises Lachen, dass es schon fast in der Geräuschekulisse wieder verschwindet. Ich greife nach einem Körnerbrötchen und da fällt mir erst auf, dass Castiel nicht hier ist. "Schläft Castiel etwa noch?"
Lysander scheint gerade zu überlegen, ob er lieber Marmelade oder Honig auf seinem Brötchen haben will, und nickt nur auf meine Frage zurück. Ich werfe einen Blick auf meine Armbanduhr. Es ist kurz vor Neun. Hoffentlich verschläft er nicht, denn das Frühstück macht in einer halben Stunde dicht. Aus dem Augenwinkel sehe ich wie Lysander gerade gehen will, sich aber dann doch wieder mir zuwendet. Ich sehe ihn an, in der Annahme dass er mir etwas zu sagen hat. "Ich warte auf dich", gibt er schließlich kund. Ich lächle ihm lieblich zu und entscheide mich flott für Erdbeermarmelade. Komischerweise habe ich eine leichte Abneigung zu Wurst und Käse, wenn sie in Jugendherbergen oder Hostelähnlichen Unterkünften, wie dieser hier, angeboten werden. Ansonsten kann ich mir mein Brötchen nicht ohne vorstellen. Ich gehe auf den viktorianisch angezogenen Jungen zu, der voran geht. Mir fallen besonders die Leute auf, die nicht zu unserer Klasse gehören. Wie gut die es haben. Sie haben Urlaub oder manche sind vermutlich bereits in Rente, ihrem Äußeren nach zu urteilen. Während ich mich so umschaue, stoßen meine Augen auf diese unsagbar schönen honiggelben. Nathaniel und meine Blicke treffen sich. Melody folgt seinen Augen und nun hat auch sie mich ins Visier genommen, allerdings beachte ich sie nicht weiter. Nathaniel lächelt mir glücklich zu, woraufhin ich das Selbe zurückgebe. Schnell lächle ich auch noch Melody an, damit sie nicht zu sehr Verdacht schöpft und stattdessen mein Verhalten als bloße Höflichkeit entschuldigt werden kann. Lysander lässt sich zwei Tische weiter von ihnen nieder. Rosalia sitzt dort bereits mit Alexy und Armin. "Guten Morgen, Lisalein!" Alexy springt auf, als er mich sieht, und gibt mir eine kurze aber innige Umarmung. "Wo warst du gestern Abend?"
"Ja, du warst nicht einmal bei uns", schmollt Rosalia.
"Ich bin früh schlafen gegangen, ich war ziemlich müde." Ich werde ihnen wann anders die Wahrheit erzählen. Mit Armin und Lysander am Tisch ist gerade ein ungünstiger Zeitpunkt dafür.
"Aber heute Abend kommst du uns nicht so leicht davon!" Alexy setzt sich hin und auch ich begebe mich auf meinen Platz.
"Renn, solange du noch kannst!", flüstert Armin mir grinsend zu und hält dabei eine Hand als Schutz vor sein Gesicht, als würde diese dagegen wirken, dass sein Zwillingsbruder seine Botschaft an mich mitbekommt. Dieser wirft ihm daraufhin einen genervten Blick zu. "Idiot!"
"Du kennst mich, allerliebster Bruder", grinst der Schwarzhaarige und beißt anschließend in sein belegtes Brot.
"Du warst auch früh weg", spricht Rosalia Lysander an. "Bleib heute Abend auch bei uns!"
"Mal sehen. Ich entscheide das spontan."
"Ach, Lys!"
"Ich habe doch nicht nein gesagt."
"Aber auch nicht ja!"
Seine Mundwinkel zucken daraufhin einen Augenblick. Ich beginne mein Körnerbrötchen aufzuschneiden, als ich Melody laut lachen höre. Automatisch richtet sich mein Blick auf sie aus. Nathaniel lacht ebenfalls, allerdings wesentlich dezenter. Plötzlich spüre ich einen Blick auf mir. Ich sehe zu Lysander, der mich in meiner Handlung offenbar beobachtet hat. Er zieht fragend seine Augenbrauen hoch, worauf ich nur leicht, und möglichst unschuldig, lächle. War meine Beobachtung der beiden schon zu auffällig?

So zu tun, als ob | Sweet Amoris - Nathaniel FFWhere stories live. Discover now