4. Die blaue Blume

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Auf dem Weg nachhause lässt mich das zweite Geschenk noch immer nicht los. Wie soll ich das nur herausfinden, wenn heute der letzte Schultag war? Zwei Wochen kann ich aber auch nicht warten, das wäre die reinste Folter! Seufzend lege ich den Kopf in den Nacken.
Am liebsten würde ich gerade schreien, zumal ich allmählich in Verzweiflung und Ratlosigkeit gerade. Ich könnte jeden Einzelnen aus der Klasse fragen aber woher will ich wissen, dass man mir auch die Wahrheit sagt?!
Zumindest hat Kentin sich über mein Geschenk gefreut. Ich konnte nicht anders als ihn zu fragen, wie er es findet und da er nicht dumm ist, hat er sofort verstanden, dass es von mir kommt.
"Hey, Kleine."
Ich schrecke leicht auf bei der Begrüßung und richte meine Sicht wieder nach vorne aus, ehe ich Castiel in die Augen schaue.
"Ich habe auf dich gewartet."
"... Ehrlich?"
"Natürlich."
"Ähm ... Danke aber warum?"
"Einfach so. Komm, lass uns zusammen weitergehen."
Sein Gesichtsausdruck bleibt neutral, ich lächle und nicke.
"Was hast du geschenkt bekommen?"
"Ach", antwortet er abwertend, "es interessiert mich gar nicht."
"Du hast es noch nicht geöffnet?!"
"Kluges Mädchen." Er grinst.
"Castiel ..."
"Was?"
"Das kannst du nicht machen. Irgendjemand hat sich den Kopf zerbrochen darüber, was er dir schenken kann!"
"Pff. Ich habe dir bereits gesagt dass es mir egal ist, solange es nicht von dir oder Lysander kommt. Ihr habt aber beide jemand anderes was schenken müssen."
"Komm schon, öffne es sobald du zuhause bist. Vielleicht hat Iris dir etwas besorgen müssen? Sie magst du doch auch!"
"Joa ..."
"Sei nicht so ..."
Eine Weile sagt er nichts mehr, bis er auf einmal auflacht.
"Was ist so komisch?", frage ich, mit einem schiefen Grinsen, nach.
"Es ist immer wieder lustig, wie du versuchst mir etwas vorzuschreiben."
"Tue ich doch gar nicht", schmolle ich. "Nur manchmal muss ich deine Manieren wieder hervorholen."
"Pah."
Ich muss kichern.
"Wie hat dir eigentlich mein Geschenk gefallen?"
Mir stockt der Atem, sobald er diese Frage fertig ausgesprochen hat. Ich kann nicht anders, als stehen zu bleiben. Mit verwundertem Gesichtsausdruck bleibt er das ebenfalls, bis er wieder auf mich zukommt.
Ist die blaue Blume etwa von ihm?
"Was ist los?"
"Ich, ähm ..."
"Hat es dich etwa sprachlos gemacht?"
Er kommt mir mit seinem Gesicht näher, mustert mich dabei und grinst letztlich wieder. Ich weiche seinem Blickkontakt aus, indem ich nach links und rechts abwechselnd schaue.
"Ich fresse dich schon nicht auf, wenn es dir nicht gefallen hat. Keine Angst."
"Ich habe keine Angst ..."
"Dann raus mit der Sprache, Kleine."
"Von ..."
Ich traue mich nicht ihn zu fragen, welches der beiden Geschenke von ihm stammt. Wenn die blaue Blume von ihm ist habe ich keine Ahnung was ich davon halten oder dazu sagen soll ...
Er kommt mir noch ein Stück näher, sodass unsere Nasenspitzen einmal aneinander stupsen.
"Ah", spricht er, "ich verstehe."
"W-Was?"
Vor Nervosität wird mir ganz heiß im Gesicht.
Er greift in eine seiner hinteren Hosentaschen, holt sein Portemonnaie raus und öffnet es. Ich verfolge jede seiner Bewegungen mit meinen Augen. Seine Finger zücken einen kleinen Zettel aus einem der Kreditkartenfächer raus und er faltet diesen anschließend auseinander. Lisa steht drauf, in Mr. Faraizes Handschrift geschrieben. Castiel hat mich also beim Wichteln gezogen!
"Der Spiegel kommt von mir", verdeutlicht er nochmal.
Ich sehe noch einmal auf den Zettel, dann in seine grauen Augen. Er packt den Zettel wieder weg, stellt sich aber nicht wieder aufrecht, sondern verweilt in dieser nahen Position, zu mir.
"Soll ich dir verraten, warum ich dir den geschenkt habe?"
Ich neige den Kopf leicht zur Seite und ziehe die Augenbrauen hoch.
"Weil Mädchen, wie du, erkennen müssen, wie hübsch sie eigentlich sind."
Ich wende meinen Blick von ihm ab, in der Hoffung dass er nicht erkennt, wie meine Wangen sich langsam erröten.
Dennoch wundert es mich, dass er sich das dabei gedacht hat. Er empfindet scheinbar immer noch etwas für mich ...
"Viel mehr kann ich dir auch nicht dazu sagen, ich bin schließlich nicht Lysander, aber ich denke das reicht. Oder?"
Zaghaft nicke ich, als Zustimmung. Er legt eine Hand auf meinen Kopf und wuschelt mir durch die Haare.
"Süß, wie du rot wirst durch sowas. Langsam weiß ich was dir gefällt."
"C-Castiel, hör auf ..."
Ich lache verlegen und schiebe seine Hand wieder weg.
"Trotzdem lässt du mich immer noch nicht weiter ran an dich."
Sein schelmisches Grinsen verschwindet wieder. Er seufzt einmal, zuckt dann mit den Schultern. Ich antworte nichts darauf, da ich keine passenden Worte parat habe.
"Lisa, Lisa, Lisa ...", stöhnt er auf und schüttelt mit dem Kopf.
Ich lächle ihn leicht an, in der Hoffnung dass er zurücklächelt. Schließlich tut er das auch.
Ich will mich verabschieden: "Vielen Dank aber für den Spiegel! Ich gehe dann jetzt von hier aus alleine weiter."
"Gerne ... Bist du dir sicher?"
"Ja, es ist doch auch nicht mehr weit."
"Okay."
Wir umarmen uns zum Abschluss, bis wir in verschiedene Richtungen abbiegen.

Zuhause liege ich in meinem Bett und lasse die blaue Blume, den Verschluss zwischen meinen Fingerspitzen geklemmt, über mir her baumeln.
Vielleicht hätte ich irgendwann vermutet, dass der von Castiel kommt, da er noch Gefühle für mich hegt aber er hat mir bereits den Handtaschenspiegel geschenkt. Und nun?
Es klopft an der Tür.
"Ja?"
"Schätzchen, schau mal, ich habe hier ein paar Kekse gebacken."
"Oh!" Meine Augen leuchten auf, als der Duft sich in meinem Zimmer verteilt.
"Ich stelle sie auf deinem Schreibtisch ab, okay?"
"Danke, Mama!"
"Gerne. Was hast du denn da schönes in der Hand?"
"Oh, das ..."
Meine neugierige Mutter ...
"Das habe ich von irgendjemandem geschenkt bekommen."
"Irgendjemandem?"
"Ja. Ich habe beim Wichteln zwei Geschenke bekommen und darunter das hier."
Ich halte ihr den funkelnden Anhänger hin. Sie nimmt ihn entgegen und betrachtet ihn von jedem Blickwinkel, der möglich ist.
"Mit vergoldetem Verschluss, wow. Der kann nicht billig gewesen sein!"
"Ja ..."
Seltsamerweise bekomme ich durch diese Anmerkung ein schlechtes Gewissen. Dass jemand viel Geld für mich ausgibt und ich mich nicht mal dafür bedanken kann, ist unfair ...
"Und du hast keine Idee, von wem der sein kann?"
"Nein, ich schwöre es dir!"
Sie setzt sich neben mich, die blaue Blume noch immer in der Hand haltend. Ihr Gesichtsausdruck sagt mir, dass sie gerade nachdenkt. Ich tue es ihr gleich, doch komme nicht weit, da meine Mutter mich unterbricht: "Hast du schon überlegt, warum es ausgerechnet eine blaue Blume ist?"
"Nein ..."
Aber das hätte ich vielleicht mal tun sollen.
"Ich denke da hat sich jemand mehr bei gedacht, als nur dass sie hübsch ausschaut."
"Meinst du?"
"Es würde mich wundern, wenn nicht", lacht sie herzhaft aus dem Bauch heraus. Sie reißt mich ein wenig mit, denn ich lächle wieder.
Aber wer würde sich ... Lysander! Lysander, der Poet. Deutsch-Ass. Der wohl nachdenklichste Mensch, den ich kenne. Bestimmt denkt er sogar mehr nach, als ich es schon immer mache. Das ergibt trotzdem irgendwie wenig Sinn ... Er mag mich, ohne jeden Zweifel, aber würde mir mit Sicherheit nicht sowas teures kaufen.
"Ich lasse dich mal weiter grübeln. Erzähl mir aber sofort wenn du näheres weißt!"
Mit diesen Worten gibt meine Mutter mir die blaue Blume zurück, in die Hand, und verlässt mein Zimmer wieder. Ich blicke ihr noch einen Moment nach, ehe ich wieder auf den Anhänger starre. Nach einigen Sekunden kommt mir plötzlich ein Gedankenblitz. Ich springe aus dem Bett auf, schnappe mir meinen Laptop und setze mich wieder auf die Bettkante.
Warum bin ich da nicht direkt drauf gekommen?! Logisches Denken ist bei mir wohl nicht vierundzwanzig Stunden die Woche verfügbar.
Ich tippe nur blaue Blume in der Suchmaschine ein und erhalte bereits mehrere Vorschläge, darunter die Deutung.
Genau das, wonach ich suche!
"Die blaue Blume ist ein zentrales Symbol der Romantik", beginne ich mir leise selbst vorzulesen. "Sie steht für ... Sehnsucht und Liebe ... Streben nach dem Unendlichen ... Erkenntnis des Selbst ..."
Ach, du meine Güte ...
Ich klappe den Laptop wieder zu und will das gerade Gelesene erstmal sacken lassen.
Wow. Mit so etwas tiefgründigem habe ich nun nicht gerechnet ... Das kann nur zu Lysander passen oder aber ... Nein!
Ich greife wieder nach dem Schmuckstück und beachte es genauer, indem ich den Fokus nur auf den Verschluss lege.
Diese Farbe ... Als ob ...
Den Laptop vom Schoß geworfen, laufe ich zu einer der Kommoden in meinem Zimmer und hole eine Schachtel aus dieser raus, in der sich das Armband, das mir Nathaniel zum Geburtstag geschenkt hat, befindet. Ich laufe zum Lichtschalter, um den mittlerweile leicht verdunkelten Raum zu erhellen, danach wieder zurück zur Bettkante, auf der ich zuvor noch saß. Eilig vergleiche ich das Material beider Geschenke miteinander.
Ein und dasselbe Roségold ...
Das kann nicht sein ...
Ich schließe die blaue Blume als weiteren Anhänger an das Armband dran. Es passt wie die Faust aufs Auge.
Nathaniel ...
Schnell lege ich es um mein rechtes Handgelenk an, bevor ich nach meinem Handy, das bislang auf dem Nachttisch lag, greife und nach Nathaniels Kontakt suche. Ohne großartig weiter nachzudenken wähle ich ihn an und der gewöhnliche Hörton erklingt. Mit jedem weiteren steigt mein Blutdruck. Mein Herz rast und mir liegt ein ganzer Felsen im Magen, denn er fühlt sich nur noch schwer an.
Sehnsucht und Liebe ...
Unendlich ...
Erkenntnis des Selbst ...
Sehnsucht ...
Liebe ...
"Lisa?"
"Komm sofort in den Park, ich will dich sofort sehen!"
Ich lasse ihn gar nicht erst weiter zu Wort kommen, lege stattdessen wieder auf, schlüpfe in irgendein Paar Schuhe und greife nach meiner Jacke sowie Tasche.
Ich glaube ich werde verrückt ...

So zu tun, als ob | Sweet Amoris - Nathaniel FFWhere stories live. Discover now