Suizid und Erdbeermarmelade

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Als ich am nächsten Tag aufwachte, kam mir als erstes wieder das Gespräch im Lehrerzimmer in den Sinn.
So langsam begann ich, mich hier wirklich wohl zu fühlen.

Minerva, die sonst immer sehr ernst und streng wirkte, hatte sich, zusammen mit Pomona, ein äußerst unterhaltsames Wortgefecht mit Severus geliefert, und damit den unnahbaren Eindruck, den ich von ihr gehabt hatte, widerlegt.

Ich war in meiner kurzen Zeit in Hogwarts schon öfter Zeuge geworden, wie sich Minerva und Snape gegenseitig aufgezogen hatten, jedoch immer in dem Wissen, dass es der andere nicht so meinte, und ohne die Absicht, den anderen wirklich verletzen zu wollen.

Bei dem Gedanken daran beschlich ein seltsam unangenehmes Gefühl.

War das etwa Eifersucht?

Ich zwang mich weg von dem Gedanken. Schließlich war ich nicht hier, um über die Beziehungen zwischen den Lehrern von Hogwarts zu philosophieren.

Ich stand auf, um mich anzuziehen, und nahm mir ungefähr zum hundertsten Mal vor, mir einmal Zeit zu nehmen, um mein Zimmer einzurichten.

Mein Koffer stand immer noch geöffnet und nur halb ausgepackt in einer Ecke meines Zimmer und meine Bücher lagen kreuz und quer überall verstreut zwischen einigen meiner Umhängen und einer angefangenen Packung Schokofrösche herum, die mir der Schulleiter zur Begrüßung geschenkt hatte.

Als ich auf meinen Schrank zuging, das einzige Möbelstück im Raum, das ich schon wirklich in Benutzung genommen hatte, wäre ich fast auf dem gestrigen Tagespropheten ausgerutscht.

Fluchend und schimpfend zog ich einen Umhang aus dem Schrank, während ich mich gleichzeitig nach meinem Zauberstab umsah.
Nach einigen Suchen fand ich ihn:
Er war vom Nachttisch gefallen und unters Bett gerollt.

Als ich nun endlich bereit für das Frühstück war, war ich schon ziemlich spät dran, sodass ich die Treppe förmlich hinunterflog.

In Rekordzeit erreichte ich die Große Halle und ließ mich mit solcher Wucht auf den Stuhl fallen, dass dieser gefährlich weit nach hinten kippte.

,,Was steht denn heute so Schlimmes an, dass Sie sich vor unseren Augen umbringen wollen?", ertönte eine vertraute Stimme neben mir.

,,Ihnen auch einen guten Morgen.", antwortete ich, ohne auf seinen Sarkasmus einzugehen.

,,Wären Sie so frei und würden mir die Butter reichen?",

fügte ich hinzu während ich mir ein Brötchen schnappte und mit so viel Elan begann, es aufzuschneiden, dass mir das Messer entglitt, mit lautem Scheppern zuerst auf meinen Teller und von dort dann in Severus' Schoß fiel.

,,Wenn Sie mir nicht sagen wollen, warum Sie meinen, hier Suizid begehen zu müssen, dann kann ich das vielleicht noch akzeptieren.
Aber das gibt Ihnen nicht das Recht, mich gleich noch mit umzubringen!",

sagte er in seinem pseudo-ernsten Ton, den ich von ihm so gut kannte, während er ohne mit der Wimper zu zucken, mein Messer aus seinem Schoß fischte, es mir reichte und dann begann, die Krümel von seinem Umhang zu entfernen.

,,Ich werde versuchen, mich zurückzuhalten.", antwortete ich und hackte auf die noch feste Butter ein.

,,So langsam machen Sie mir Angst...", kam es nun von Severus.

,,Lassen Sie mich das machen, oder wir müssen uns bald einen neuen Lehrertisch zulegen... oder einen neuen Lehrer.", fügte er hinzu und nahm mir das Messer aus der Hand.

Mit hochgezogener Augenbraue und einem fragenden Blick begann er, Butter auf mein Brötchen zu schmieren.

Sprachlos sah ich ihm dabei zu.

War das der Lehrer, vor dem sich so viele Schüler fürchteten?

Er musste meinen irritieren Blick bemerkte haben, denn er sah mich an und fragte dann ebenfalls etwas verunsichert:

,,Sie wollten doch Butter, oder?"

,,Ja, nein, das heißt...",
jetzt dachte er wahrscheinlich endgültig, ich wäre verrückt.

,,Ich habe mich nur gefragt", setzte ich nochmal an, ,,wer Sie sind und was Sie mit Severus Snape gemacht haben."

,,Den habe ich unten in den Kerkern eingesperrt, der korrigiert gerade Aufsätze - Was soll auf ihr Brötchen?", kam es in einem Atemzug.

,,Äh, Marmelade, Erdbeer wenn's geht."

Sofort machte er sich auf die Suche nach der Erdbeermarmelade:
Er beugte sich ein Stück vor, und ließ mit den Augen auf Tischhöhe seinen Adlerblick über das reiche Angebot an Toasts, Säften und Brotaufstrichen schweifen.

Als das nicht erfolgreich war, tippte er die in ein Gespräch mit Professor Sprout vertiefte Minerva an, die neben ihm saß, sagte etwas zu ihr und deutete auf ein rotes Glas, das etwa eine Armlänge von ihr entfernt vor Professor Sprout stand.
Sich reichte es ihm und sagte ihrerseits etwas.

Als er sich jetzt wieder zu mir umdrehte machte er ein ernstes Gesicht und verkündete:

,,Ich soll Ihnen von Minerva ausrichten, dass Sie ihnen das Glas schweren Herzens überlässt, allerdings nur unter der Bedingung, dass Sie sich gut darum kümmern
und - ",

er machte eine bedeutungsvolle Pause,

,, - Sie sollen Ihr nicht die ganze Marmelade wegessen, sonst verwandelt sie Sie in eine Erdbeere."

Auf meinen fragenden Blick hin, fügte er noch hinzu:

,,Minerva isst am liebsten Erdbeermarmelade zum Frühstück.
Wenn Sie also demnächst mal nach dem Marmeladenglas suchen, sehen Sie gleich bei Ihr nach."

- sprach er und überreichte mir mein Brötchen, das er währenddessen fertiggeschmiert hatte.

Sorgfältig verschloss er das Glas wieder und gab es Minerva zurück.
Diese nahm es ihm ab und lächelte mich dann freundlich an und zwinkerte mir zu.

Erst jetzt fand ich Zeit, mich meinem Brötchen zuzuwenden.

Normalerweise schmierte ich mir meine Brötchen zum Frühstück immer ohne wirklich bei der Sache zu sein, da ich entweder noch müde oder abgelenkt war.
Dementsprechend unordentlich war dann auch immer das Ergebnis:
Meist war der Aufstrich sehr ungleich verteilt, tropfte an einer Seite herunter, während auf der anderen Seite die Butterstückchen an der Oberfläche lagen - mit Butter war ich noch nie klargekommen, vor allem nicht mit kalter.

Severus hingegen hatte sich offenbar sehr viel Mühe gegeben, die Butter war schön dünn auf das von mir stümperhaft geschnittene Brötchen geschmiert, und darauf gleichmäßig verteilt, nicht zu viel und nicht zu wenig, die leckerste Erdbeermarmelade, die ich je gegessen hatte.
Ich öffnete meinen Mund, um etwas zu sagen, und schloss ihn wieder.
Da meine Stimme aus unerfindlichen Gründen gerade nicht bereit war, zu sprechen, lächelte ich ihn einfach nur an.

Und er lächelte zurück.

Zwar nur kurz und kaum sichtbar, aber er lächelte.

Hogwarts Teacher Life Where stories live. Discover now