Alienentführung

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Ich sitze gelangweilt an einem wunderschön hergerichteten Tisch für zwei Personen, der sich in einem separaten Nebenzimmer befindet und mich von den nervigen Leuten dort draußen abschirmt. Vor den Fenstern hängen schwere Vorhänge, sodass man ein Gefühl der Abgeschiedenheit bekommt. Die Wände sind mit Holz getäfelt und wirken uralt, jedoch auch auf eine gewisse Weise sehr edel. Das hat durchaus Stil. In die Decke sind kleine Lichter eingelassen, die an tausende, funkelnde Sterne erinnern. Normalerweise wird das Zimmer hier nur für Feiern und Feste zur Verfügung gestellt, aber heute habe ich es für etwas ganz anderes gemietet. Dass ich dafür beinahe dreitausend Euro hinblättern musste, stört mich kein bisschen. Als ob ich mir daraus etwas machen würde.

Der kleine Tisch, der mitten im Raum steht, ist mit einer weißen Tischdecke bedeckt, die kleine Stickereien zieren. Ein Strauß mit tiefblauen Schwertlilien steht dabei in der Mitte von diesem, was eindeutig meine Lieblingsblumen sind und hoffentlich auch dem kleinen Rumpelstilzchen gefallen werden. Außerdem befinden sich noch drei große, weinrote Kerzen vor mir, die langsam und züngelnd vor sich hin brennen. Ich starre abwesend in die Flammen und betrachte den Wachs, der wie flüssige, rote Blutstropfen nach unten fließt und dort schlussendlich erstarrt.

Ich fahre mir mit der Zunge genüsslich über die Lippen. Blut hat mich schon immer fasziniert. Der flüssige Saft des Lebens. Er ist das Elexier, das Sauerstoff durch den Organismus der Menschen pumpt und sie so mit Nährstoffen versorgt. Ich selbst blute zwar auch, heile jedoch sofort wieder. Gut, in dieser Hinsicht steckt in Serien, wie Vampire Diaries, wohl doch ein Funken Wahrheit. Aber dann hört es auch schon wieder auf. Den Rest dieses hirnlosen Schwachsinns kann man gleich wieder vergessen.

Wir verbrennen nicht in der Sonne, uns tötet kein Pfahl, uns verletzt kein Eisenkraut, wir trinken kein Blut und sind auch keine Sklaven unseres Verlangens. Ich muss nicht töten, um zu überleben. Genau so gut könnte ich ein frommes, ewiges Leben als Held und Lebensretter auf der Erde führen. Doch allein bei dem Gedanken daran wird mir schlecht. Diese Vorstellung ist zu grausam.

Seelen schmecken einfach viel zu gut, als dass ich damit aufhören würde. Es bringt so viel Freude diesen Würmern ihr Licht zu rauben und das Böse ist sowieso um einiges cooler, als das Gute. Niemals würde ich auch nur eine Sekunde darüber nachdenken, diese Art meines Lebens aufzugeben. Die Menschen sind an sich doch sowieso nur Dreck und Abschaum. Als ob man da Reue empfinden müsste, wenn es von ihnen einen weniger auf der Erde gibt. Da tue ich ihr eher noch einen Gefallen. Schließlich wissen sie nicht zu schätzen, was sie an ihr haben. Aber das ist deren Problem, nicht meines.

Ein scharfes Einziehen der Luft verrät mir, dass Amely erschienen ist. Schon im nächsten Moment atmet sie hörbar wieder aus und ich schließe daraus, dass sie ehrlich überrascht ist. Gut so. Dann hat das ganze Theater hier wenigstens seinen Zweck erfüllt. Ich löse mich widerwillig von der flackernden Flamme und schaue auf. Mein Blick wandert zu dem kleinen Rumpelstilzchen hinüber. Nun ist es jedoch an mir erstaunt die Augen aufzureißen. Das kann doch wohl nicht wahr sein! Was zur Hölle...? Mein Unterkiefer klappt nach unten.

Mit wirklich vielem habe ich gerechnet, aber nicht damit, dass das kleine Rumpelstilzchen beschließen könnte, sich schick zu machen. Schließlich ist sie diejenige gewesen, die sich gefühlte tausend Mal versichern ließ, dass das hier nichts Besonderes wird. Und trotzdem trägt sie nun ein schwarzes, knielanges Kleid, das ihre nicht so ganz perfekte Figur etwas kaschiert. Ihre feuerrote Mähne hat sie zu einem schönen Zopf geflochten, der zur Abwechslung sogar alle Haare zusammenhält. Das wiederum grenzt beinahe an ein Wunder.

Auf den Wangen trägt sie einen Hauch von Rouge, was ihre Gesichtszüge weicher werden lässt. Sogar etwas Mascara und Lidschatten hat sie aufgelegt. Ihre Augen wirken dadurch um einiges größer und funkeln wie zwei Smaragde im hellsten Sonnenschein. Was ist denn nur los mit ihr? Ich verstehe die Welt nicht mehr. Seit dem Treffen mit ihrem behinderten Freund ist sie plötzlich ganz seltsam. Hat sie ihre Tage oder was wird hier gespielt? Darf ich mich freuen, dass ich im Fernsehen bin? Wo sind die versteckten Kameras? Das kann doch alles nicht wahr sein.

Klar ist es nicht so, dass das kleine Rumpelstilzchen plötzlich über Nacht hübsch geworden wäre. Da hätte ich dann doch wahrscheinlich einen Herzinfarkt erlitten und wäre geschockt vom Stuhl gekippt. Doch das kleine Rumpelstilzchen entspricht nach wie vor einfach keinem Schönheitsideal. Dafür hat sie zu breite Hüften, eine zu schiefe Nase, zu widerspenstiges Haar und einen zu schmalen Mund. Und doch ist da etwas, was ich nicht beschreiben kann. Mir fehlen die Worte dafür. Es ist nichts Greifbares. Aber etwas hat diese Zicke an sich, was mich fasziniert, wenn auch auf eine zwiespältig Art und Weise.

Schnell stehe ich auf und eile zu ihr hinüber:

"Schön, dass du gekommen bist."

Zwar entsprechen diese Worte nicht unbedingt der Wahrheit, aber was soll's. Lügen ist mir noch nie schwer gefallen.

Das kleine Rumpelstilzchen unterbricht die genaue Inspizierung der Umgebung und blickt mich überwältigt an:

"Danke für die Einladung. Aber wie hast du es geschafft diesen Raum hier zu bekommen? Und vor allem, wie hast du es geschafft ihn so herzurichten? Der wird meistens nicht genutzt."

Ich zucke nur mit den Schultern und antworte geheimnisvoll:

"Das war nicht schwer. Und für unsere moderne Friedenspfeife musste ich mir schließlich etwas einfallen lassen."

Amely lacht leise auf und schüttelt den Kopf:

"Wahrscheinlich hast du den Besitzer bedroht und ihn gezwungen dir das hier zu geben."

Ich stocke kurz und mein Lächeln verrutscht etwas. Wenn Amely wüsste, wie nah ihre Aussage an der Wahrheit dran ist, sie wäre garantiert schreiend aus dem Raum gerannt.

"Natürlich. Im Krieg und bei der Beschaffung von modernen Friedenspfeifen ist alles erlaubt", scherze ich.

"Ich finde es auf jeden Fall gar nicht einmal so übel hier. Habe es mir schlimmer vorgestellt", nickt sie und tut, als wäre das Ganze hier nur gewöhnliches Mittelmaß. Dabei verraten sie jedoch ihre glänzenden Augen.

Das kleine Rumpelstilzchen folgt mir zögernd zum Tisch, wo ich den Stuhl zurückziehe, sodass sie sich setzen kann. Amely verzieht verwundert das Gesicht über dieses Verhalten, lässt es jedoch kommentarlos stehen. So kenne ich sie ganz und gar nicht. Die Amely, die ich in der Bar getroffen habe, hätte sofort einen dummen Spruch gebracht.

"Sicher, dass mit dir alles in Ordnung ist? Wurdest du von Aliens entführt und hier sitzt nur ein Doppelgänger von dir?", hake ich vorsichtig nach.

Ich gehe zur anderen Seite des Tisches und setze mich ebenfalls. Irgendetwas stimmt doch nicht mit diesem Mädchen. Ich bezweifle sehr, dass meine neu gewonnene Freundschaft mit Batdog ausreicht, um das kleine Rumpelstilzchen von mir zu überzeugen. Was also wird hier gespielt? Allmählich beginnt Misstrauen in mir aufzukeimen.

"Jana Türlich, Special Agent vom Planeten Mars, freut mich sie kennenzulernen. Ich bin auf geheimer Mission hier. Was kann ich für Sie tun?", raunt Amely mir verschwörerisch zu und schaut sich nach allen Seiten um, als hätte sie die Befürchtung, dass wir beide gerade von irgendjemandem belauscht werden. Ich starre Amely perplex an. Dann muss ich mir ein Lachen verkneifen und grinse in mich hinein. Jana Türlich. Auf so einen Namen kann auch nur sie kommen.

Ich beuge mich etwas nach vorne über den Tisch und flüstere leise:

"Ich bin Peer Fekt und möchte eine gewisse Amely Heiß davon überzeugen, dass ich gar nicht so übel bin, wie sie annimmt. Können Sie mir da vielleicht irgendwie weiter helfen, Jana Türlich?"

Amelys Mundwinkel zucken ebenfalls leicht nach oben, was mich mit Genugtuung erfüllt, bevor sie leise antwortet:

"Das ist ein ziemlich schwerer Fall. Aber ich werde sehen, was sich machen lässt. Hat mich gefreut ihre Bekanntschaft zu machen, Peer Fekt. Ich muss jetzt weiter, bevor man mich entdeckt."

"Ja, natürlich, es war perfekt sie hier zu treffen. Die Freude ist ganz meinerseits. Ich hoffe wir sehen uns bald wieder", erwidere ich kopfschüttelnd. Nun ist es zu viel des Guten. Wir prusten beide gleichzeitig los und können nicht mehr an uns halten. Auf was für einen Schwachsinn man kommen kann, wenn man mit dem kleinen Rumpelstilzchen zusammen ist. Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals so viel gelacht zu haben.

Faceless - Ewige Verdammnis Where stories live. Discover now