Ablenkungen

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Trotz meinem Erfolg bin ich irgendwie sauer und habe schlechte Laune. Und mit sauer meine ich nicht nur ein kleines Bisschen angepisst, sondern absolut stinksauer. Ich musste mich gerade tatsächlich von einem kleinen, zickigen Mädchen herumkommandieren lassen und habe einen gewaltigen Hunger, der von innen an mir nagt. Und das ist keine allzu gute Kombination, das kann ich euch versichern. Am liebsten würde ich zurück zum Haus rennen und diese kleine Bitch quälen, bis sie schließlich elendig verreckt. Verdient hätte sie es auf jeden Fall. So eine rotzfreche Göre ist mir bisher noch nie untergekommen. Irgendetwas kann nicht mit ihr stimmen, da bin ich mir absolut sicher. Sie ist total bekloppt.

Zornig reiße ich die Tür meines Wagens auf und springe ins Innere. Ich hole aus und donnere meine Faust gegen das Armaturenbrett. Scheiß Tag!

In mir kocht es gewaltig und ich trete fest auf's Gaspedal, sodass der Motor heftig protestiert. Dann schieße ich auf die Straße hinaus und rase los, als wäre der Teufel hinter mir her. Nicht, dass ich vor dem Teufel irgendwie Angst hätte. Er ist sowieso nur eine Erfindung der Kirche, um die Menschen klein zu halten. Und wie man unschwer erkennen kann, funktionierte es selbst heute noch.

Das Gefühl der Angst ist mir zudem sowieso fremd. So etwas kenne ich nicht. Dieser Satz ist einfach bloß eine bescheuerte Redewendung der Menschen, die ich in meinen Sprachgebrauch übernommen habe, wie vieles andere eben auch. Meine Eltern, wenn man das bei uns Faceless überhaupt so bezeichnen kann, haben mir nämlich nicht sehr viel mit auf den Weg gegeben. Sie waren eher verschlossene Zeitgenossen, die irgendwann sogar versucht haben mich kalt zu machen, da sie befürchteten, dass ich durch meine vielen Morde auffallen könnte. Also habe ich nicht lange gezögert und bin ihnen zuvorgekommen. Eines nachts, als sie schliefen, habe ich sie kurzerhand selbst umgebracht und ihnen eine Schattenklinge in die Brust gerammt. War auch besser so, kann ich aus heutiger Sicht sagen. Sie waren ziemlich lästige Anhängsel und störten nur. Die Welt ist ohne sie besser dran.

Ich stoppe das Auto vor einem kleinen Pub, neben dem eine Gruppe junger Frauen steht. Dieses Bild hat beim Vorbeifahren sofort meine Aufmerksamkeit erregt. Mein Magen knurrt laut, was mich nur noch um so wütender macht. Schnell richte ich meinen Blick auf die potentiellen Opfer und sondiere die Lage.

Die Frauen rauchen, trinken und unterhalten sich angeregt, was ein gutes Zeichen ist. Sie scheinen keine Gefahr zu erwarten. Prüfend checke ich jede Einzelne ab, bis ich schließlich zu dem Ergebnis komme, dass ich heute eine schwarzhaarige, junge Frau abschleppen werde, die inmitten der Gruppe steht und wild gestikuliert. Wie es aussieht, ist sie die Stimmführerin. Ja, sie erscheint mir ein sehr geeignetes Opfer zu sein.

Auf eine Blondine habe ich heute keine Lust mehr und wenn ich nur an eine Rothaarige denke, wird mir schon schlecht. Also stelle ich kurzerhand den Motor ab und steige gemächlich aus dem Wagen. Dann werfe ich die Autotür hinter mir zu und schlendere mit den Händen in den Hosentaschen lässig zu der Gruppe hinüber. Eine der Frauen, die ziemlich groß ist, braune Haare, eine hohe Stirn und grün-braune Augen hat, die mich durch die schwarze Brille neugierig mustern, ist die Erste, die mich bemerkt. Sie lächelt mich breit an und stellt sich sogleich aufrechter hin. War ja klar. Die üblichen Opfer eben.

"Hallo. Ich suche eigentlich meinen Freund John. Wir wollten uns hier treffen, aber wie es scheint, ist er wohl noch nicht da. Darf ich mich so lange zu euch stellen?", frage ich vorsichtig und lächle in die Runde. Ich erkenne sofort, dass alle mehr als angetan von mir sind. Auch mein neues Opfer checkt mich mit einem wohlwollenden Blick ab.

"Klar. Kannst uns gerne Gesellschaft leisten", erlaubt die Brünette, die mich zuerst gesehen hat. Ich nicke freundlich und stelle mich in die Nähe der Schwarzhaarigen. Sofort wird mir eine Zigarette angeboten, die ich dankend entgegen nehme. Ich rauche ab und zu gerne, wenn ich gerade Lust darauf habe. Vor allem, wenn ich etwas gestresst bin. Dann könnte ich auch gleich eine ganze Stange von dem Zeug verschlingen. Das Gute daran ist jedoch, dass Zigaretten keine Auswirkungen auf die Gesundheit von uns Faceless haben, wie ich nach jahrelangen Selbstversuchen bestätigen kann und abhängig bin ich auch noch nicht geworden. Ich brauche das Nikotin nicht unbedingt. Es schmeckt nur einfach lecker und entspannt mich. Und das habe ich im Moment bitter nötig.

"Woher kommst du?", beginnt das Ausfragen und ich beantworte alles geduldig, wenn auch nicht ganz wahrheitsgetreu. Dabei rauche ich drei Zigaretten hintereinander, um gleich die Vierte anzuzünden. Bald spüre ich, wie meine verkrampften Muskeln sich lockern und ich atme befreit auf.

Zufrieden stelle ich fest, dass Larissa, so heißt mein auserkorenes Opfer, einen Narren an mir gefressen hat. Sie kommt immer näher zu mir herüber, lacht laut und herzhaft über meine Witze und hängt an meinen Lippen, als würde ich ihr die Wahrheit über das Leben erzählen. Wobei... das könnte ich sogar tatsächlich tun. Ihr Leben ist wie eine Hühnerleiter. Kurz, beschissen und erbärmlich unbedeutend, wie eben bei allen menschlichen Wesen. Aber diese Weisheit werde ich heute nicht mit ihr teilen.

Nach zwanzig Minuten ergreife ich schließlich die Gelegenheit und stelle seufzend fest:

"Wie es aussieht, kommt mein Freund heute nicht mehr. Hat mich einfach so sitzen lassen, der Depp! Jetzt muss ich wohl ganz alleine nach Hause...."

Ich lege so viel Bedauern wie möglich in meine Stimme. Und natürlich erzielt es die gewünschte Wirkung. Larissa blickt mich mitfühlend an, wobei nur noch fehlt, dass ihr dabei dicke Krokodilstränen aus den blau-grauen Augen rollen. Sie ist eine gute Schauspielerin, das muss man ihr lassen. Die geheuchelte Anteilnahme hat sie auf jeden Fall perfekt drauf.

"Ohje! Du Aaaaarmer", zieht sie die Worte in die Länge, "das ist ja wirklich blöd gelaufen. Soll ich dir vielleicht etwas Gesellschaft leisten?"

Ich tue überrascht und nehme das Angebot dankend an, nachdem ich so getan habe, als würde ich ernsthaft darüber nachdenken. Dabei steht mein Entschluss schon seit langem fest. Mädchen wie Larissa kenne ich zur Genüge. Da spielt sogar Hannah in einer ganz anderen Liga. Blondie ist mir zwar auch verfallen, doch hat dafür nicht dieses Asoziale an sich. Ihr geht es um mehr, als Sex. Diese Frau hier ist jedoch nur auf eines aus. Sie will mit mir ins Bett. Wobei sie gerade deswegen heute das geeignete Opfer für mich darstellt. Und ganz ehrlich, um diese Tusse ist es auch nicht schade. Wer braucht schon so ein Flittchen.

"Eigentlich ist es um keine Tusse schade", füge ich in Gedanken hinzu und mustere Larissa eingehend, wie ein Schlachter ein Stück Vieh. Sie trägt kurze Hot Pants, eine Bluse, die ziemlich freizügig aufgeknöpft ist und eine perfekte Sicht auf ihre Titten gewährt und dazu schwarze Stiefel, die ihr bis knapp unter die Knie reichen. Im Erscheinungsbild ein ganz passabler Eindruck also. Vom Verhalten her dagegen jedoch eher dürftig. Aber was soll's. Scheiß drauf. Das ist schon in Ordnung so.

"Seit wann interessiert es dich, wie sich eines deiner leichten Opfer verhält?", nervt mich meine innere Stimme, die es sich seit Neustem zur Aufgabe gemacht hat, mir in alles blöd reinreden zu müssen.

Ich gehe zu meinem Auto, vor dem Larissa erst einmal bewundernd stehen bleibt und mit der Hand über den glänzenden Lack fährt.

"Cooler Schlitten", nickt sie anerkennend und zwinkert mir verschwörerisch zu. Ihre blau-grauen Augen blitzen dabei anzüglich. Sie meint nicht wirklich das Auto.

"Danke", erwidere ich gleichgültig und steige ein. Als ob ich so einer Schlampe die Tür aufhalten würde.

Larissa verabschiedet sich von ihren Freundinnen, die nicht ahnen, dass dies der letzte Moment sein wird, an dem sie sie lebend zu Gesicht bekommen. Zum Glück würden diese Tussen wie immer keine richtige Täterbeschreibung abliefern können. Schließlich sieht jeder in mir jemand anderen. Ihre Aussagen würden sich also widersprechen. Mein Glück und ihr Pech. Und selbst wenn sie ungefähr das gleiche Bild von mir hätten, was relativ unwahrscheinlich ist, würde der Polizist mich nicht identifizieren können, selbst, wenn er mir irgendwo auf der Straße begegnet. Schließlich sieht er mich ganz gewiss nicht so, wie Larissas Freundinnen das tun. Tja, so leicht ist es eben den perfekten Mord zu begehen.

Faceless - Ewige Verdammnis Where stories live. Discover now