Mutierte Fledermaus

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Langsam nähere ich mich Schritt für Schritt der Tür von Jesses Käfig und versuche dabei hektische Bewegungen zu vermeiden. Ich habe gelesen, dass man Hunden am besten mit Respekt gegenüber tritt, aber trotzdem klarstellen muss, wer hier der Boss ist. Beruhigend rede ich also auf den verrückten Köter ein und bemühe mich so viel Ruhe und Bestimmtheit wie möglich in meine Stimme zu legen:

"Alles gut. Ich werde dir nichts tun. Ich will dir nichts Böses. Du bist ein feiner Junge."

Der Fledermaushund beobachtet mich mit schief gelegtem Kopf, als hätte er die Vermutung, dass ich nicht mehr ganz bei Trost bin. Und um ehrlich zu sein, habe ich denselben Verdacht. Was bitte mache ich hier? Ich bin ja komplett gestört! Und das nur, weil ich dem kleinen Rumpelstilzchen das mit dem Hundeliebhaber vorspielen musste. Na das hat ja mal super geklappt.

Lautes Gebell und das Krachen des Hundekörpers gegen Metall lassen mich verunsichert stehen bleiben. Bei Menschen weiß ich normalerweise genau, was ich zu tun habe. Aber bei Tieren? Sie sind so unberechenbar. Genau deshalb hasse ich sie auch so sehr.

Jesse beruhigt sich jedoch kein bisschen, egal was ich auch versuche. Sabber tropft ihm aus dem Maul und er sieht aus, wie eine tollwütige Bestie. Andere Mitarbeiter schauen schon misstrauisch zu mir herüber. Also mache ich notgedrungen wieder einen Schritt zurück, was den Fledermaushund dazu veranlasst, in das bereits bekannte Knurren zu verfallen. Na ganz toll.

Genervt lasse ich mich kurzerhand auf den Boden hinunter sinken und mustere Jesse eingehend. Was soll ich mit diesem Mistvieh nur anfangen? Das ist kein Hund, sondern ein verkrüppeltes Monster.

Irgendwann wird es der mutierten Fledermaus wohl zu blöd, denn sie legt sich gelangweilt hin und begnügt sich damit mich böse anzufunkeln. Sobald ich mich jedoch bewege, springt der Hund auf und knurrt, sabbert oder bellt. Oder er macht eben alles auf einmal. Keine Ahnung, wie er das hinbekommt, aber es funktioniert auf jeden Fall, wie er beeindruckend und ohne Probleme unter Beweis stellt.

Ich ziehe mein Handy hervor und beschließe eine WhatsApp Nachricht an das kleine Rumpelstilzchen zu schreiben. Ihre Nummer habe ich mir schließlich wohlweislich eingespeichert, nachdem sie sich so unerwartet bei mir gemeldet hat. Vielleicht kann ich sie so wenigstens ein bisschen nerven. Ich muss irgendetwas tun, um sie nicht bei unserem nächsten Aufeinandertreffen einfach zu erwürgen. Denn diese Befürchtung ist gar nicht so abwegig.

Zuerst fällt mir ihr Profilbild ins Auge. Es zeigt sie vor einem großen, majestätischen Gipfelkreuz, auf einem schneebedeckten Berg. Im Hintergrund erkennt man einen stahlblauen Himmel, von dem die Sonne herunterstrahlt. Ein wirklich beeindruckendes Panorama.

Das kleine Rumpelstilzchen ist glücklich. Das sieht man sofort. Ihre Gesichtszüge sind entspannt und ihre Haltung drückt Zufriedenheit aus. Neben ihr steht ein junger Mann, vielleicht ein, zwei Jahre älter als sie und hat den Arm um ihre Schultern geschlungen. Er strahlt ebenfalls glücklich, auch wenn es eher daher kommt, dass das kleine Rumpelstilzchen bei ihm ist. Ich erkenne es sofort in seinem Blick. Da ist diese jämmerliche Abhängigkeit. Er liebt sie. So ein Quatsch! Diese Zicke hat einen Freund? Im Ernst? Und er sieht gar nicht einmal so hässlich aus, wie ich mir das immer ausgemalt habe. Hätte aber auch nicht gedacht, dass es überhaupt ein Typ mit dieser Tusse aushält. Plötzlich habe ich noch schlechtere Laune, wenn das überhaupt möglich ist. Diese Witzfigur da wird mein Vorhaben noch um einiges erschweren. Fuck!

"Das ist doch genau das, was du wolltest. Ein paar Herausforderungen, die du bestreiten kannst. Deshalb bist du doch auch hergekommen ", erinnere ich mich an mein Vorhaben. Ich runzle die Stirn. Ja, es stimmt. Das hier ist eigentlich genau das, was ich mir die ganze Zeit über gewünscht habe. Ich habe mich so sehr danach gesehnt endlich einmal wieder mein Können unter Beweis stellen zu dürfen. Warum regt mich das Ganze dann jetzt so auf? Das ist doch total bescheuert. Ich sollte mich verdammt nochmal freuen. Shit! Ich weiß auch nicht, was in letzter Zeit mit mir los ist. Was mache ich überhaupt hier? Warum lasse ich mich von dem kleinen Rumpelstilzchen behandeln, als sei ich ein Kind? Das ist doch krank.

Ein zustimmendes, tiefes Bellen ertönt. Ich knirsche mit den Zähnen. Dieser Mistköter wird mich nie mögen. Ich ihn aber auch nicht. Das steht schonmal fest. Trotzdem bleibe ich sitzen und beobachte Jesse, wie er mit halb geschlossenen Augen da liegt und mich ebenfalls achtsam mustert, darauf bedacht mich ja nicht zu nahe an sich heran zu lassen. Dumm ist er auf jeden Fall nicht, das muss man ihm lassen. Normalerweise haben Tiere keinerlei Probleme mit mir. Früher habe ich sie gerne zum Spaß gequält, wenn es mir einmal wieder zu langweilig wurde. Mittlerweile ist mir das jedoch zu blöd geworden. Da bleibe ich doch lieber bei den Menschen. Der Fledermaushund scheint jedoch zu spüren, dass da etwas nicht stimmt. Oder er wurde einfach zu oft von verschiedenen Menschen verletzt, dass er niemandem mehr über den Weg traut. Wie auch immer. Das mit uns wird nichts werden. Punkt.

▪ ▪ ▪

"Immer noch hier?", lacht mich eine helle Stimme belustigt aus. Ich brauche gar nicht hinzusehen, um zu wissen, wer es wagt mich hier zu verspotten.

"Ja. Ich genieße die gemeinsame Zeit mit Jesse. Sieht man das nicht? Wir unterhalten uns echt gut", bringe ich etwas sarkastisch hervor. Die hat mir jetzt gerade noch gefehlt.

"Sieht man. Ich bringe Jesse das Abendessen. Tut mir leid, dass ich eure traute Zweisamkeit stören muss", grinst sie und fährt sich durch ihre langen, zerzausten Haare. Dann geht sie zu Jesse, von dem sie bereits sehnsüchtig erwartet wird. Er schleckt Amely sogar zur Begrüßung die Hände ab, als sie in die Hocke geht, um den gefüllten Fressnapf abzustellen. Wie macht sie das nur?

"Mit was hast du ihn bestochen?", will ich mit einer hochgezogenen Augenbraue skeptisch wissen. Um ehrlich zu sein bin ich tatsächlich etwas neugierig.

"Mit nichts. Hunde kann man nicht bestechen. Man braucht Zeit, Geduld und sie spüren es, wenn man sie mag", gibt das kleine Rumpelstilzchen zurück, während sie ihren Liebling hinter den Ohren krault.

"Das ist alles?", hake ich zweifelnd nach. Das hört sich viel zu leicht an. Und lächerlich. Als ob so ein Quatsch helfen würde.

"Das ist alles, glaub mir. Dir auf jeden Fall noch viel Spaß. Ich mache dann jetzt auch mal Feierabend", bestätigt das kleine Rumpelstilzchen meine Frage, streicht der mutierten Fledermaus noch einmal über den Kopf und schließt die Tür anschließend wieder hinter sich ab.

"Hmpf...", mache ich und erhebe mich ebenfalls, "ich werde dann auch verschwinden. Morgen bin ich wieder da. Soll ich dich irgendwie mitnehmen oder so?"

"Nein. Ich gehe zu Fuß. Meine Wohnung ist nicht weit von hier", lehnt sie ab und dreht sich zum Gehen um. Naja. Einen Versuch ist es zumindest wert gewesen. Dass diese Bitch sich aber auch gar nichts sagen lässt!

"Aber danke für das Angebot", dringt ihre Stimme noch leise an mein Ohr, dann ist sie verschwunden. Ich bleibe verdattert stehen. Hat sie sich gerade tatsächlich bei mir bedankt oder habe ich mir das nur eingebildet? Das darf doch wohl nicht wahr sein! Echt jetzt? Ich sollte mir den Tag im Kalender rot anstreichen. Das gibt es ja gar nicht.

Immer noch ungläubig mache ich mich auf den Nachhauseweg. Das hätte ich nun wirklich nicht erwartet. Vielleicht geht mein Plan ja doch noch auf. Morgen früh werde ich auf jeden Fall wieder hier auf der Matte stehen und mit allen Mitteln versuchen Jesse für mich zu gewinnen. Denn wie es aussieht, ist der tatsächlich ihr wunder Punkt. Oder ich bringe etwas Schwung in die Sache und vergifte den Köter einfach. Anschließend kann ich den trostspendenden Freund spielen. Mal sehen, welchen Weg ich wähle. Zeit für diese Entscheidung habe ich zum Glück ja noch genug.

Faceless - Ewige Verdammnis Where stories live. Discover now