18 | Erkenntnis

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Es gibt wirklich viele unpassende Zeitpunkte um zu erkennen, dass man verliebt ist.

Es kann auf der Autobahn geschehen, nach dem Blickkontakt mit einem Wildfremden auf der Überholspur.

Oder als Taucherin mitten im Marianengraben beim Erblicken einer seltenen Fischart, die einen an den Aquariumsbesuch vor zwei Wochen erinnert.

Kurz vor dem Verbluten, wenn der Sanitäter endlich das Zimmer betritt.

Aber nichts davon ist ansatzweise so schmerzhaft wie es zu erkennen, wenn er an den Lippen einer anderen Frau hängt.

Ich starrte auf die beiden, während ich plötzlich von einer ungewohnten Taubheit umgeben wurde.

Es fühlte sich an, als wären meine Beine zu schwach um mein Gewicht zu tragen und meine Arme zu schwer, um die Menge auseinander zu drücken und nach draußen zu rennen.

So blieb mir nichts anderes übrig als meine Augen auf die beiden zu fixieren und daran, wie Amelia jetzt beide Arme um seinen Hals legte.

Irgendwann brach Evan los und sah mich.

Sah mich mit verletzter Miene und dieser stummen Erkenntnis in den Augen, die immer dann erscheint, wenn es zu spät ist.

Amelia sah mich auch.

Endlich fand ich die Kraft mit umzudrehen und mich durch die Menge in den oberen Stock zu kämpfen, der wegen Restaurierungsarbeiten geschlossen war.

Kein Raum dort oben war möbliert, und so ließ ich mich unter eines der Fenster sinken und starrte leer auf die unverputzte Mauer mir gegenüber.

Immer wieder spielte mir mein hinterfotziges Gehirn die gleiche Szene vor, Evan und Amelia eng umschlungen.

Sie hatten sogar gut zusammen ausgesehen.

Wahrscheinlich lag es daran, dass sie seiner Größe in irgendeiner Weise nachzukommen schien, im Gegensatz zu mir, die ich ihm gerade einmal bis zur Brust reichte.

Meine Gedanken kreisten um alles Mögliche, kehrten sogar einmal kurz auf den Verbleib meiner Verräterschwester zurück, aber wann immer mich eine Synapse daran erinnern wollte, was ich gerade eben unten auf der Tanzfläche erkannt hatte, würgte ich sie ab.

Daran zu denken würde es wahrer machen. Und ich wollte alles vergessen, was mit Evan zu tun hatte.

Ein paar Minuten blieb ich in der selben Position unter dem unisolierten Fenster sitzen und starrte auf meine Finger.

Schließlich, als ich mich gerade dazu entschieden hatte, Piper aufzusuchen und ihr wenn möglich die Haare aus der Kloschüssel zu halten (alles war besser als mit meinen düsteren Gedanken in dieser Gespensterwohnung zu verweilen), vibrierte mein Handy in meiner Tasche und ich war so erschrocken, das ich erst einmal ein paar Sekunden benötigte, um die Quelle des Lärms zu orten.

Katherines Name stand auf dem Display und seufzend hob ich ab.

"Lexi?", keuchte sie in mein Ohr. "Ich hatte Recht."

Ich seufzte. Gerade war ich nicht in der Laune mir ihre Belehrungen anzuhören.

"Kitty-Kat, ich kann jetzt nicht. Wir reden morgen." Ich wollte schon auflegen, aber da hatte sie bereits die Worte ausgestoßen, die mich für ein paar Sekunden paralysieren.

"Es geht um Amelia. Ich hatte Recht!"

"Was ist mit ihr?", fragte ich nun, und richtete mich auf.

"Weißt du noch unser Gespräch vorhin in Pipers Zimmer? Wir haben darüber gesprochen, dass Amelia wirklich seltsam sein muss, dass sie mit Evan Schluss gemacht hat und ihn nun wieder will."

The Best ManWo Geschichten leben. Entdecke jetzt