V. - Christmasspecial

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Jimin kam auf mich zu und lehnte sich zu mir herunter.
"Deine Mam ist da, sie hat Besuch mitgebracht.", flüsterte er mir ins Ohr, damit die anderen unser Gespräch nicht mitbekamen. Etwas verdutzt blickte ich ihn an, woraufhin er nur mit den Schultern zucken und mit dem Kinn in Richtung Haustür nicken konnte. Ich legte die Kuchengabel auf den Teller und entschuldigte mich kurz. Dann folgte ich Jimin.
Wie angewurzelt blieb ich stehen, als ich im Flur stand und die zwei Personen stumm musterte. Jimin stand hinter mir und beobachtete mein Verhalten. Das hatte meine Mutter nicht wirklich gemacht.
"Hallo Enya.", sagte mein Vater in seiner ruhigen Stimme, durch welche ich früher immer eingeschlafen war, als er mir Geschichten vorgelesen hatte. In mir zitterte alles, weswegen ich meine Hände zu Fäusten ballte. Langsam ging ich auf sie zu und blieb einige Meter vor ihnen stehen.
"Was willst du hier?", fragte ich tonlos und verschränkte meine Arme vor der Brust. Obwohl ich meinen Vater über alles liebte, ihn vermisst, mich nachts in den Schlaf geweint und verzweifelt nach meinem Daddy geschrien habe, konnte ich ihm nicht anders gegenübertreten. Automatisch schaltete sich dieser Modus ein und behandelte ihn wie einen Fremden, den ich nicht leiden konnte.
"Mich entschuldigen bei dir.", er hielt mir einen Brief hin. Ohne etwas zu sagen sah ich ihn an. Ich nahm den Brief auch nicht entgegen. Als ich nach einigen Minuten noch immer nichts gesagt oder mich bewegt hatte, mischte sich meine Mutter ein, die ihren Schal über einen Haken hing.
"Jetzt lass uns doch erstmal rein.", meinte sie und drängte sich an mir vorbei ins Wohnzimmer, wo sie im gebrochenen Koreanisch meine Freunde und deren Eltern begrüßte. Zum Glück hatte sie ein paar Leute um sich, die ihr beim Übersetzen halfen.
Mein Vater stand noch immer dort, seinen Blick konnte ich nicht richtig deuten. In seinen Augen lag jedenfalls Angst. Innerlich brach ich gerade zusammen.
"Kommen Sie doch auch erstmal rein.", Jimin kam auf uns zu, nahm den Mantel meines Vaters aus seiner Hand und schob ihn vorsichtig in meine Richtung.
"Ist das okay für dich?", fragte er. War es das? Ich zögerte.
"Komm rein.", meinte ich heiser und lächelte etwas. Er folgte meiner Mutter, ich dagegen blieb hier. Jimin gesellte sich neben mich, noch immer hatte er den Mantel meines Vaters unter den Arm geklemmt. Vorsichtig legte er mir eine Hand auf die Schulter, ich seufzte. Es war ziemlich beruhigend.
"Alles in Ordnung mit dir?", lange sah er mich an und ich zuckte mit den Schultern.
"Ich weiß es nicht."

Die Stimmung war ausgelassen, und das, auch wenn nicht alle kommen konnten. Eigentlich hatten wir geplant gehabt, mit allen dieses Jahr Weihnachten zu feiern. Doch da Jin zu seinen Eltern gefahren ist, ebenso wie Yoongi, Hoseok und NamJoon, mussten wir ohne sie feiern. Aber das konnten wir verstehen, nicht jeder liebte es in einer großen Runde beisammen zu sein. Manche wollten einfach nur Familienintern feiern, da es so Tradition war. Trotzdem waren wir noch ein riesiger Haufen, circa 25 Leute oder so. Ich hatte nach einigen Versuchen, dieses Gewurschtel aus Menschen zu zählen, aufgegeben gehabt.
Wir saßen alle am Tisch, außer Emmas Zwillingsbrüder und Joshuas kleine Schwester. Die drei saßen auf dem Teppich im Wohnzimmer und spielten mit Barbiepuppen und irgendwelchen Dinosauriern, wobei aber Lina immer schrie, dass die dummen Dinos ihre Barbie nicht fressen sollen, da sie hübsch sei. Mein Vater saß mir gegenüber am Tisch und unterhielt sich prächtig mit den Vätern von Jimin und Jungkook, irgendwas über Finanzen und Aktien, was mich aber nicht weiter interessierte, da mich Emmas Mutter ununterbrochen zutextete. Meine Mutter dagegen verstand sich super mit der Mama von Joshua, was nicht nur daran lag, dass sie deutsch konnte. Während ich Soohee zuhörte, aß ich ruhig meinen Kuchen vor mich hin, wobei manchmal mein Blick rüber zu Jimin und YeoReum huschte, die am Ende des Tisches saßen.
"Und dann hat Emma einfach ihre Hände auf den Bauch der Frau gelegt, die ihr gegenüber saß und sie dann gefragt, in welchem Monat sie denn sei. Du hast ja keine Ahnung, wie peinlich uns das damals war, denn darauf meinte die Dame nur, sie wüsste nichts von einer Schwangerschaft.", lachend strich sie sich imaginäre Tränen aus den Augenwinkeln und lehnte sich zu ihrer Tochter rüber, die nur ihre Augen verdrehen konnte.
"Mum! Lass das.", rief sie, da der Großteils des Tisches lachte, weil er mitbekommen hatte, worüber wir gerade geredet haben, weswegen sie etwas verlegen war und auf ihre Hände blickte. Nur meine Mutter verstand nicht, worum es ging, erst als ihr Joshua erklärte, warum wir lachten.
"Du brauchst dich nicht zu schämen, Emma. Jungkook hat, als er vier war, einmal im Supermarkt zu der Kassiererin gesagt, dass ich hier geklaut habe. Mein geplanter zehn Minuten Einkauf ging dann zwei Stunden.", der Vater des Jüngsten sah diesen grinsend an als er sich mit den Worten "Jetzt wird's peinlich.", weggedreht hatte. Seine Mutter strich ihm nur lachend durch die Haare.
Irgendwie sind daraufhin die skurrilsten Geschichten von den anderen ans Tageslicht gekommen, worüber wir uns alle tierisch amüsierten. Obwohl wir das garnicht wollten, plapperten die Eltern einfach drauf los und ließen das Kind vor Scham im Boden versinken. Bis auf meine. Aus gutem Grund.
"Was ist mit dir, Enya?", Jimins Mutter sah mich und meine Eltern nacheinander an. Kurz zuckte ich mit meinen Schultern, als dann plötzlich mein Vater anfing zu erzählen.
"Sie war immer auf dem Trip, 'das kann ich alleine'. Man durfte ihr nicht helfen, selbst wenn es unmöglich für sie ist. Enya hat immer alles mit sich alleine ausgemacht, fragen tut sie selten.", er lachte, doch ich verschränkte meine Arme vor der Brust.
"Immer, pf. Woher willst du das wissen?", fragte ich plötzlich und erschrak selbst vor meiner harschen Stimme, die gerade eben meinen Mund verlassen hat.
"Weil du ja immer an meiner Seite warst? Mich nicht einfach verlassen hast, als ich elf war? Mich immer unterstützt hast? Kennst du mich überhaupt? Du hast mich schließlich sechs Jahre nicht gesehen und jetzt behauptest du vor allen, mich zu kennen? Dazu hast du kein Recht.", meinte ich laut und sah ihn starr über den Tisch hinweg an. Ich wusste nicht, warum ich plötzlich so heftig reagierte, ich wusste nur, dass mich das, was er eben gesagt hatte, störte. Vielleicht, weil er Recht hatte. Es war plötzlich still geworden, jeder hörte unserem Gespräch zu. Mein Vater blickte auf seine gefüllte Tasse.
"Stimmt, das habe ich nicht.", er schlug seine Augen nieder, sammelte sich, ehe er mich dann wieder ansah.
"Warum hast du dich nie gemeldet oder besucht. Auch wenn ich sauer auf dich war, ich habe dich vermisst. Sehr sogar. Doch du hast die Arbeit mir vorgezogen.", ich klopfte mir auf die Brust und biss energisch meine Zähne aufeinander, als ich diesen Satz ausgesprochen hatte. Ich bemerkte, dass meine Mutter Panik bekam, da sie nicht verstand, worum es ging. Doch ich hatte gerade wirklich keinen Nerv dazu, ihr das zu erklären.
"Weißt du, wie schwer es ist, in das Gesicht eines kleines Mädchens zu gucken, das dich freudestrahlend 'Appa' nennt, obwohl dies nicht der Fall ist? Weißt du, wie weh das tut, weil ich sie liebe?", seine Stimme zitterte und ich sah die Tränen in seinen Augen. Noch nie hatte ich meinen Vater weinen gesehen.

Die Maske | JiminWo Geschichten leben. Entdecke jetzt