9 - Leg dich nicht mit der Defence an

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„Ginger ist als Kind mal in eine Klärgrube gefallen."

„Till!", ermahnte ich ihn. „Sei nicht wie meine Mutter, die vor meinen Freunden irgendwelche peinlichen Geschichten auspackt!"

„Du bist in eine Klärgrube gefallen?", griff Elyas amüsiert Tills Aussage auf und musste sich ein Lachen verkneifen.

Ich warf Till einen bösen Blick zu, doch wir beide wussten, dass ich ihm niemals wirklich böse sein könnte.

„Ja, bin ich", gab ich zähneknirschend zu. „aber das war echt nicht witzig. Ich habe mir dabei den Fuß gebrochen."

Die Gesichter am Tisch sahen mich amüsiert an und das, obwohl dieser Fußbruch mich einige Tränen gekostet hatte.

„Wie hast du das denn geschafft?", forderte Elyas die gesamte Geschichte ein.

„Ach, es war so ein Gelände in der Nähe von unserer Straße, auf dem mal eine Fabrikhalle stand. Till und ich sind da öfter über den Zaun geklettert und haben so getan, als wäre es ein Geisterhaus."

„Wir haben eigene Gruselfilme dort gedreht", ergänzte mich Till und schwelgte ganz offensichtlich in Erinnerungen.

Das waren noch Zeiten gewesen. Ausgestattet mit einer schlechten Digitalkamera hatten wir uns gefühlt wie die größten Blockbusterregisseure. Ketschup war uns Blut und Knallerbsen hatten für die Soundeffekte gesorgt. Ich konnte mich noch gut erinnern, wie meine Mutter uns eines Tages sogar einen Oskar überreicht hatte. Wir hatten dafür sogar eine Show vorbereitet, die wir natürlich auch gefilmt hatten. Wären wir in Hollywood aufgewachsen, würden wir vielleicht schon über die roten Teppiche der Metropolen dieser Welt stolzieren.

„Die muss ich sehen", forderte Elyas.

„Ja!", stimmte Till ihm zu. Im Laufe des Abends waren die beiden immer besser miteinander klargekommen. Manchmal konnte Alkohol auch Hürden überwinden. „Das sollten wir wirklich mal machen. Ich hab die seit Jahre nicht mehr gesehen. Wo sind die eigentlich?"

Wir hatten die damals auf DVD gebrannt und die Cover mit Fotos und Zeichnungen verziert.

„Auf dem Dachboden", sagte ich mit belegter Stimme.

Auf dem Dachboden war ein unerreichbarer Ort, denn ich hatte mir geschworen nie wieder mein Elternhaus zu betreten. Das wusste auch Till.

„Hatten wir eigentlich auch gefilmt, wie du in die Grube gestürzt bist?", fragte Till und ich wusste, dass er ganz bewusst von dem Vorhaben ablenkte, die Filme zu holen.

„Ja. Du hattest die Kamera damals in der Hand. Man hört auf dem Video sogar, wie du weinst."

„Du hast geweint?", richtete Thea das Wort an Till.

Dieser sah mich vorwurfsvoll an. Als ob es ihn als Schwächling darstellte, weil er als Kind mal geweint hatte.

„Ich war 10 und meine beste Freundin schrie vor Schmerz. Ich hatte Angst und wusste nicht, was ich machen sollte. Wir hatten nicht mal ein Handy dabei", rechtfertigte er seine Tränen.

„Was hast du dann gemacht?", erkundigte sich Daniel.

An diesem Tag war Till wirklich mein Held gewesen.

„Ich habe sie aus der Scheiße gezogen", sagte er lachend, auch wenn wir beide damals eine verdammte Angst gehabt hatten. „Da lag ein Seil rum und damit konnte ich sie rausholen. Dann habe ich sie Huckepack genommen und zu meinen Eltern gebracht. Ihr könnt euch vielleicht ihre Blick vorstellen, als wir beide da in Scheiße getränkt und mit verheulten Gesichtern ankamen."

GingerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt