25.Kapitel: Das düstere, melancholische und verfluchte London

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Fixiert und emotionslos blickte ich auf Touristen und Familien, die am Flughafen Heathrow eincheckten, ihre Koffer auf das Band legten und kurz darauf mit einem erleichterten Lächeln im Gesicht unter der Menschenmenge verschwanden. Touristen mit großen, vollbepackten Koffern, Familien mit Spielzeug und unzähligen Taschen und einzelne Leute, die traurig ihren Familienmitgliedern oder Freunden zu wanken, spiegelten sich vor meinen Augen wider. Zusammengekauert, auf einer Bank sitzend und in die Menge schauen, saß ich da, und dachte darüber nach, ob ich nicht wieder einen Fehler machte. Ob es nicht falsch war, zu flüchten, statt eine Lösung für das Problem zu finden. Mal wieder kam mir in den Sinn wegzulaufen nur diesmal war es nicht so einfach, wie es das erste Mal war. Ich arbeitete immer noch für One Direction, ich lebte nun offiziell in London und parkte mein Auto an einem viel zu überteuerten Parkplatz. Wenn ich nun gehen würde, müsste sich meine Tante um mein Auto kümmern und es dementsprechend abholen und die Parkgebühren bezahlen. Ich würde nun endgültig meinen Job verlieren und auch nie wieder von Modest gebucht werden. Außerdem würde ich die Freundschaft zu Cat und den Jungs wieder mal aufs Spiel setzen und das wollte ich nicht. Gar nichts von dieser ganzen Situation wollte ich, aber es kam mir in dem Moment so richtig vor, mit Harry Schluss zu machen. Nun wusste ich nicht, ob ich nicht überreagiert und zu schnell entschieden hatte. Auf der einen Seite wusste ich, dass ich im Recht lag, auf der anderen Seite liebte ich Harry nach wie vor und lief vor der Liebe zu ihm weg. Mein Gott, Liebe konnte so kompliziert sein und ich fing an mich zu fragen, wie Menschen sich lieben konnten. Liebe war ein großes Wort, das jeder Mensch von einem anderen Individuum hören wollte, aber was bedeutete überhaupt Liebe. Was war Liebe? Woher weiß man, dass man jemanden liebt? Ich fing an diesen Begriff in Frage zu stellen und verharrte auf der Frage, ob Liebe nicht beeinflussbar war. Anhand meines Beispiels wurde mir diese Tatsache deutlich. Ich liebte Nick über zwei Jahre lang, wurde dann von ihm betrogen und fing an, ohne ihn zu leben und ihn nicht mehr zu lieben. Cat liebte Toby über mehrere Jahre, nahm sogar seinen Heiratsantrag an, und wurde schließlich auch von ihm betrogen. Nun lenkte sie sich zwar mit Louis ab und trotzdem war sie in der Lage, ohne Toby weiterzuleben. Meine Mutter liebte meinen Vater, bis sie sich trennten, aufhörten sich zu lieben und weiter ihr Leben lebten. Wie konnte man dann behaupten, ein Mensch könnte nicht entscheiden, wen er lebt? Diese Infragestellung und Beantwortung verwirrten mich und ich fing an, weiter zu denken. Meine Liebe zu Harry war groß, doch vielleicht konnte ich mit dieser Tatsache auch leben, ohne mit ihm zusammen zu sein. Natürlich war diese Idee absurd immerhin hatte ich diese Ansichtsweise über zwei Monate übernommen bis ich mich im Endeffekt selbst für diese Verzögerung hasste und Harry und mir damit unglaubliche Schmerzen zugeführt hatte. Doch wieso klappte das dann bei anderen Paaren? Wieso waren sie in der Lage ihre Liebe zu jemanden zu beeinflussen, nur ich konnte das nicht? Wieso konnte mein Kopf nicht einmal siegen statt meines Herzes?
,, Entschuldigung, geht es Ihnen gut?'', riss mich eine ältere Dame aus meiner gedanklichen Hinterfragung meines Lebens und reichte mir eine Flasche Wasser. Mit einem leichten Lächeln im Gesicht nahm ich ihr die Flasche Wasser aus der Hand und nahm einen kleinen Schluck. Als ich ihr die Flasche wieder zurück reichte, schüttelte sie bloß den Kopf und zeigte mir, dass sie selbst noch eine für sich hatte. Damit brachte sie mich zum Grinsen bevor sie sich mühevoll neben mich setzte und ihren karierten Wagen neben sich stellte. Mit einem Stöhnen legte sie ihre Tasche neben sich ab und fragte mich neugierig, ob ich auf jemanden wartete. Dabei legte sie den Kopf schief und ihre grauen Locken fielen ihr ins Gesicht.
,, Nein, ehrlich gesagt warte ich auf einen Grund hier in London zu bleiben'', erklärte ich ihr und schaute auf meine Hände hinab. Die ältere Dame runzelte die Stirn bevor sie eine Familie beim Einchecken beobachtete und antwortete:,,Wissen Sie, ich warte auf meinen Ehemann'' .

,, Kommt er Sie denn nicht abholen?'', hackte ich nach und drehte mich mehr in ihre Richtung. Sie sah auf ihre faltigen Hände hinab und in ihrem Gesicht spiegelte sich Trauer.
,, Nein, er ist leider vor einigen Monaten gestorben''. Ich schluckte bei ihrer Ehrlichkeit schwer und bedauerte es sofort, ihr diese Frage gestellt zu haben. Mit dieser Frage hatte ich bestimmt alte Wunden aufgerissen und sie traurig gemacht. Stotternd entschuldigte ich mich für meine Aufdringlichkeit und hoffte, die ältere Dame nicht allzu traurig gemacht zu haben. Doch ihre Antwort ließ mich erschauern:
,, Nein nein Schätzchen, Sie konnten es ja nicht wissen!
Wissen Sie, er war ein begeisterter Pilot, dessen Leidenschaft das Fliegen war.
Ich kann mich noch genau daran erinnern, als wäre es erst gestern gewesen, als ich ihn kennengelernt hatte.
Ich traf den wunderschönsten Mann auf Erden nicht in einer Bar oder einer Party, wie heutzutage, sondern ganz altmodisch im Park.
Die Sonne stand ganz oben und die Vögel zwitscherten so wunderschön, bis er kam.
Alles um mich herum verstummte, denn mein Fokus gehörte ganz ihm.
Ein großer schlanker Mann mit grünen Augen, der seine Augen von der ersten Minute an nicht von mir lassen konnte, begrüßte mich herzlich und aus dieser Begrüßung wurden dann mehrere'', erzählte sie mir während sie bei der Erinnerung hin und wieder auflachte und sich mit einem Taschentuch die Tränen aus den Augenwinkel wischte. Bei ihrer Erzählung kamen mir die Tränen, denn obwohl ich Sie nicht kannte, rüttelte mich ihre Geschichte emotional auf.
,, Nicht weinen Miss, sie verschmieren doch ihr ganzes Make- up'', tröstete mich die ältere Dame und streichelte mir über den Rücken.
,, Haben Sie denn einen Ehemann?''
,, Nein, nicht mehr'', schluckte ich den Kloß in meinem Hals runter und nahm dankend das Taschentuch, welches mit die Dame reichte, an.
,, Oh das tut mir Leid. Was ist denn passiert?'', hackte sie neugierig nach und schenkte mir ein unschuldiges Lächeln. Ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, dass ich die ältere Dame nicht kannte, antwortete ich ihr offen, dass Harry mich auf eine andere Weise hintergangen hatte und seinen Fehler nicht einsehen wollte. Das brachte sie zum Nachdenken bevor sie mir die Frage nach der Liebe stellte. Sie wollte wissen, ob meine Gefühle für Harry nicht stärker waren als das Hintergehen und mit dieser Frage, eröffnete sich mir ein neuer Blickwinkel. Ich wusste nur nicht so wirklich, ob mir dieser neue Blick gefallen sollte.
,, Wissen Sie, Sie sind noch so jung und sollten wirklich nicht so viel weinen!
Als mein Mann gestorben ist, habe ich zwar lange den Tränen einen Lauf gelassen, aber mich auch für ihn gefreut. Seine letzten Tage waren für ihn ziemlich schmerzhaft gewesen und als seine Augen sich dann schlossen, lächelte er erleichtert auf und ließ die Schmerzen los.
Meine Hände waren mit seinen verschränkt und unsere Ringe glänzten in einem schönen Gold. Ich trage den Ring immer noch, sowie er in seinem Grabe, wo er tief und fest schläft und mich von oben aus beobachtet'', berichtete die Frau grinsend, doch ihre Augen wurden trotzdem etwas glasig. Erneut machten sich die Tränen über meinen Wangen einen Lauf und ich stöhnte schmerzlich auf. Diese Teilung der Geschichte mit mir war mir zu viel. Deshalb versuchte ich mich zusammen zu reißen und ihr stattdessen eine Frage zu stellen. Ich wollte von ihr wissen, was ich nun machen sollte und ob ich mich in Harry nicht täusche. Ob ich ihn vielleicht nicht mehr liebe als er mich und ob er deshalb mit mir auf dieser Weise umging.
Erneut brachte mich ihre Rückmeldung zum Nachdenken: ,, Das werden Sie erst wissen, wenn Sie etwas wagen und mit ihm darüber sprechen. Damals war mein Mann ein Charmeur des höchsten Grades, dem viele Frauen zu Füßen lagen. Er aber interessierte sich nur für mich und hielt dann auch um meine Hand an. Viele Frauen hassten mich danach, doch ich hatte meine lang ersehnte Liebe des Lebens gefunden. Wissen Sie, ich komme hier nur her, um mich an meinen Mann und seine Leidenschaft zum Fliegen zu erinnern. Viele schöne Erlebnisse verbinde ich auch mit diesem Ort, wie z.B. unsere erste Reise nach London.
Wir verliebten uns sofort in diese Stadt und zogen schließlich dann aus Edinburgh hier her''.
,, War das kein großer Schritt für Sie, alles hinter sich zu lassen und ganz woanders neu anzufangen?'', versuchte ich unter Tränen zu formulieren und wartete gespannt auf ihre Antwort.

,, Doch, für jeden ist es das.
Meine Eltern hatte ich mit jungen Jahren verloren und nur meine Schwester und ich blieben zurück. Wir wurden dann von Freunden meiner Eltern adoptiert und lebten fürs Erste bei ihnen. Als wir dann erwachsen waren, zogen wir aus und meine Schwester fand ihren Prinzen.
Und irgendwann kam dann Joshua und trug mich auf seinen Händen''.
Ich nickte verständnisvoll und versuchte nicht an meinen Heulkrampf zu ersticken.
In gewisser Maßen ähnelte ihre Geschichte meiner, was mein Herz erwärmte und mich noch mehr zum Weinen brachte.
,, Nicht Weinen sondern nach seinem Herzen handeln, sagte mein Mann immer!
Er liebte es sich selber Sprüche einfallen zu lassen, da diese einzigartig waren.
Vielen Dank, dass sie mir, einer alten Lady, so zugehört haben!
Heutzutage können das wirklich wenige, meine Liebe und vielleicht hilft Ihnen ja dieses Sprichwort etwas''. Mit diesen Worten tätschelte sie meine Hand bevor sie mühevoll aufstand, ihren Wagen nahm und ihn müde hinter sich zog. Ich beobachtete die ältere Frau noch eine ganze Weile, bis sie aus meinem Blickwinkel verstand und ich erleichtert ausatmete. Ihre Geschite hatte mich bis ins Knochenmark getroffen und mir Klarheit geschenkt. Deshalb erhob ich mich auch von der Bank und machte mich auf den Weg in die entgegengesetzte Richtung. In die Richtung, die ich für richtig hielt.

love, faith, hope | H.S.Where stories live. Discover now