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„Ian, was ist los? Ich weiß, dass dir etwas am Herzen liegt", erkundigte sich Tyler. Obwohl ich erst seit ein paar Tagen hier bin, kennt mich Tyler schon ziemlich gut. Ich weiß zwar viel von ihm, aber nicht so viel wie er von mir. Ich weiß nicht, vielleicht hat er eine gute Menschenkenntnis oder ihm liegt viel an mir. Keine Ahnung. „Nichts... Ich hab nur nachgedacht. Wir sollten mehr zusammen unternehmen, alles was wir machen, ist in die Cafeteria und wieder zurück zu gehen", sagte ich schnell, versuchte so glaubenswürdig wie ich konnte zu klingen. „Ja, das stimmt wirklich", lachte er.

„Was könnten wir hier alles so tun? Irgendetwas Spezielles?", fragte ich ihn und blickte ihn an. „Nun ja. Es gibt hier eine Menge Sachen, die man tun könnte. Viel mehr und viel besser als in anderen Gefängnissen", erklärte er. Ich wurde neugierig. „Mehr? Wie meinst du das? In wie fern besser?" Ja, vielleicht waren meine Fragen nicht lebensnotwendig, aber ich war eben sehr neugierig. „ Also...jeden Samstag ist so eine Art Filmabend, an die in der Kantine einen Projektor aufbauen und einen gewünschten Film ausstrahlen. Am Sonntag fahren die Wärter mit ein paar besonders religiösen Häftlingen zu der nahegelegenen Kirche. Ich meine falls du religiös bist oder einfach mal raus willst. Und ja, wir haben hier zwar eine kleine Kapelle, aber das ist eben nicht das gleiche für die Häftlinge", er stoppte kurz und atmete einmal tief ein uns aus. Schließlich fuhr er dann fort. „An den anderen Tagen können wir raus gehen, in den Gefängnis-Garten und uns dort irgendwie beschäftigen. Dort kannst du beispielsweise lesen, zumindest wenn du Bücher hast, frische Luft schnappen oder dich einfach in die Wiese legen und entspannen. Noch so viel mehr. Es gibt auch einen Fitnessraum mit Hanteln und so einem Zeug, in welchen du trainieren kannst. Da war ich früher oft, aber mittlerweile kommen nur noch komische Typen dort hin. Außerdem darfst du einmal im Monat jemanden anrufen, deine Familie, deinen Freund oder auch irgendeinen Fremden, denen ist das egal. Besuchszeiten sind Montag und Donnerstag von 15:00 bis 16:30 Uhr. Ich hoffe, dass das alle deine Fragen beantwortet hat." Er lachte mich an. „Ja, danke", lächelte ich zurück.

„Ähm...Ty, willst du vielleicht jetzt etwas unternehmen?", fragte ich ihn. Wir waren im Gefängnis. Da ist es eben immer langweilig. Wirklich immer. „Klar, gerne?", grinste er. „An was hättest du denn gedacht?", fügte er noch hinzu. Ich überlegte kurz. „Hmm...wie wäre es, wenn du mir diese Wiese zeigen würdest, von der du vorhin gesprochen hast?", schlug ich ihm vor. „Gerne, das können wir machen", stimmte er meinem Vorschlag kopfnickend zu. Naja...Ich hoffe es wird mich etwas von Mickey ablenken, denn der spuckt schon die ganze Zeit in meinem Kopf herum...

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„Es ist schön hier", sagte ich nach einer Weile, die wir hier schon saßen und uns entspannten. Einfach nur etwas tratschten und nebeneinander saßen. „Ja, das ist es wirklich", antwortete er mir und lehnte sich zurück, legte sich in die Wiese und bewunderte die Wolken, die vorbeizogen. Ich tat es ihm nach und legte mich ebenfalls auf den Rücken. Nach einer Weile der Stille und des Bewunderns durchbrach Tyler diese. „Sorry Ian, aber ich muss kurz auf die Toilette", erklärte er, was ich mit einem Nicken bestätigte. Keine Minute später war er schon verschwunden.

„Ian", hörte ich eine andere Stimme meinen Namen sagen. Und leider konnte ich diese Stimme sofort zu einer Person zuordnen, auch wenn ich diese Person am liebsten vergessen würde. Es war Mickeys Stimme... Die Stimme der Person, die ich eigentlich vergessen wollte... „Was willst du hier?", fauchte ich ihn an. Man konnte sagen, dass ich böse war. Denn das war ich. „Warum bist du gestern nicht gekommen?", fragte er und setzte sich neben mich auf die Wiese. „Warum hast du mir nicht die ganze Wahrheit erzählt?", konterte ich. Ich beschloss ihn einfach darauf anzusprechen. Sein Blick verriet mehr als tausend Worte. Er war sichtlich verwirrt. Vielleicht tat er auch nur so unwissend oder er hat es gar nicht getan. In dem Fall wäre mir letzteres lieber. „Stimmt es, dass...", fing ich an zu reden. Legte jedoch eine kurze Pause ein, die er anscheinend nicht abwarten konnte. „Dass was? Ian rede bitte mit mir! Ich kann keine Gedanken lesen", flehte er mich schon fast an. „Dass du einen schwulen Mann tot geprügelt hast?" Ich flüsterte die Wörter so leise, sodass nur er es hören konnte. Mickey sagte nichts. Kein einziges Wort. Er saß nur da und schaute mich mit einem entschuldigenden und traurigen Blick an. „Ian, das..", fing er an. Doch das wollte ich gerade nicht hören. Einfach nur dämliche Ausreden. „Ist es wahr?!", unterbrach ich ihn wütend. Aber meine Stimme war nicht laut. Eher im Gegenteil. Nur er konnte es hören. „Ja", sagte er und atmete einmal tief ein uns aus.

„Es stimmt, ich habe einen schwulen Mann getötet, obwohl ich selbst schwul bin. Und e-es tut mir leid, Ian. Aber du kennst meinen Vater nicht", murmelte er. „Deinen Vater? Was hat dein Vater bitte damit zu tun, dass du jemanden umgebracht hast?! Kannst du mir das bitte einmal erklären?", knurrte ich ihn an. Ich war inzwischen schon mehr als nur böse auf ihn. Er seufzte und nickte leicht. „Er ist richtig homophob und wenn in seiner Nähe bin, dann muss ich das auch sein, würde ich nicht dann... Ian... e-er hätte mich schon einmal fast totgeprügelt... Ich bin sein Sohn... sein einziger Sohn... und er würde mich trotzdem umbringen", schluchzte Mickey. Der Anblick, er so traurig und schluchzend, es war furchtbar. Ich bekam schon Gänsehaut. „Gottseidank ist er wegen Überfüllung frühzeitig nach Hause geschickt worden", sagte er schon wieder stärker und nicht mehr so durch den Wind. „Mickey, du kannst mir doch nicht erzählen, dass du - der meistgefürchtetste Mann im Gefängnis - Angst vor deinem Vater hast." „Es ist aber so... Warum glaubst du haben die Häftlinge Angst vor mir? Wegen meinem Vater. Sie haben vor ihm Angst, so wie ich. Und du bist der Einzige der davon weiß. Nicht einmal Iggy weiß davon", beichtete er mir. Seine Augen funkelten mich an. An dem Funkeln erkannte ich, dass er mir gerade wirklich die Wahrheit erzählt hatte. „Aber warum hast dann du ihn tot geprügelt? Wenn es doch dein Vater wollte. Mal abgesehen davon, dass du noch länger im Gefängnis bleiben musstest", wollte ich von ihm wissen. „Naja, er hatte damals nicht mehr lange zu sitzen und die Angst hat meinen Körper gelenkt", stammelte er.

„Ian?", fragte Tyler als er gerade kam. Ich habe mich schon gefragt, wo er so lange war. „Wieso sitzt Mickey hier, neben dir?", fragte er und schaute misstrauisch zu uns hinab „Er... ", fing ich an zu reden und versuchte es irgendwie zu erklären, wurde aber von Mickey unterbrochen. „Ich habe Ian gefragt, ob er wirklich jemanden getötet hat. Denn es scheint mir nicht so, als wäre er dazu in der Lage", sagte Mickey ohne Stottern oder etwas Derartigem. Er war ein guter Lügner, dass musste man ihm doch lassen... „Und herausgefunden?", fragte Tyler ihn, ein verächtlicher Unterton lag in seiner Stimme. Man konnte verstehen, warum Tyler Mickey nicht mochte. Immerhin hatte Mickey seinen früheren Freund umgebracht. „Nein", sagte Mickey und stand auf. Er war so schnell verschwunden, wie er auch gekommen war. „Arschloch", motzte Tyler, als Mickey schon verschwunden war. Vielleicht stimmte das ja, aber dann mochte ich eben ein Arschloch...

The Prisoner | Gallavichजहाँ कहानियाँ रहती हैं। अभी खोजें