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Weiches Licht flutete durch die Ritzen der Fensterläden in mein Schlafzimmer und ich wusste, dass ich wach war. Dennoch ließ ich eine Zeit lang die Augen geschlossen, in der Hoffnung wieder einzuschlafen. Ich rollte mich in die weiche Bettdecke ein und drehte mich auf den Bauch, sodass mein Gesicht in dem samtbezogenen Daunenkissen vergraben lag. Leider half auch das nicht, denn ich musste einsehen, dass ich in dieser Position keine Luft mehr bekam. Ich gab seufzend auf und drehte meinen Kopf leicht zur Seite. Hastig atmete ich große Züge Luft ein, um meine Lungen mit frischem Sauerstoff zu füllen.
Da, plötzlich, hörte ich es: das Klatschen von etwas hartem auf meine Fensterläden.
Ich blinzelte, zuckte aber vor dem gleisend hellen Licht zusammen und kniff die Augen zu. Ich befreite mich widerwillig von der warmen Bettdecke und zog die Beine auf den Boden, mit dem Rest des Körpers noch auf dem Bett sitzend. Ich starrte auf das halb verdunkelte Fenster, stand auf und zog schnell einen Morgenmantel an. Schließlich tappte ich, immer noch schlaftrunken, auf das eiskalte Fenster zu. Meine Füße froren und mich überkam ein eisiger Schauer, als ich mit der Hand die Glasscheibe berührte. Rasch zog ich die Hand zurück in die großen Taschen meines Mantels. Mein Atem bildete kleine Dunstwölkchen auf dem beschlagenen Fenster. Ich entschied, nachzusehen, was diesen Lärm veranstaltete, als erneut etwas hartes mein Fenster traf. Zögernd öffnete ich das Fenster und sofort wehte mir ein leichter Wind schneidende Kälte ins Gesicht. Ich fröstelte, öffnete dennoch mit zitternden Händen die Fensterläden. Vor meinen Augen eröffnete sich ein wundersames Spektakel. Es hatte über Nacht geschneit - mehr als in den letzten Wochen - und der Boden, die Dächer der Häuser, die Straße, die Gärten, die Mauern, die Bäume - alles war mit einer zehn Zentimeter dicken Schneeschicht bedeckt. Mitten in diesem zauberhaften Bild stand eine dunkel gekleidete Person, deren schwarze Lederstiefel mit den silbernen Schnallen in der Sonne glänzten. Seine dunkelgraue Jeans und das unter seiner Jacke hervorlugende weiße Hemd wirkten unordentlich. Mich beschlich die leise Ahnung, wer es sein könnte, obwohl sein Gesicht in dem Schatten seiner Kapuzen nicht zu erkennen war und seine Haltung nicht weiter auffiel, wenn man von der Tatsache absah, dass er stur in meine Richtung blickte. Als ich mich weiter an das eiskalte Fenster wagte und überlegte, ob ich die hölzernen Fensterläden nicht wieder zuziehen sollte, nahm er die Kapuze ab und grinste mich an. Andrés Augen leuchteten zugleich verführerisch und listig. Er bückte sich und formte mit den nackten Händen eine Schneekugel. Mein Herz hatte einen Sprung gemacht, als ich ihn erblickt hatte, nun trommelte es in doppeltem Tempo. Was hatte er vor? Doch bevor ich weiter darüber spekulieren konnte, warf er die Schneekugel in meine Richtung und verfehlte nur knapp das offene Fenster. Ich wusste, dass das seine Absicht gewesen war. So gut, wie er schießen konnte, wäre es unmöglich zu denken, dass er mit einer Schneekugel sein Ziel verfehlen könnte. Ich runzelte verärgert die Stirn und zog meinen Morgenmantel enger um meinen Körper. Jetzt fiel mir erst wieder ein, dass ich nur ein dünnes Nachthemd und ebendiesen Mantel anhatte und dass André mich darin sah. Diese Tatsache verschlug mir die Sprache. Wie konnte er es wagen, mich am frühen Morgen - und noch dazu am Haus meiner ahnungslosen Eltern - zu besuchen?
„Was machst du hier? Du dürftest gar nicht hier sein! André! Das - das ist doch Wahnsinn! Wenn meine Eltern das erfahren! Und -" Ich stierte ihn wütend an, weil er meine Kleidung gierig mit den Blicken auszog.
„Um Gottes Willen, hör auf mich anzustarren, du Idiot!" Er hob den Kopf, um mir in die Augen zu sehen. Ich konnte gespielte Bewunderung und zugleich ein Art Feixen darin lesen.
„Wow! Du kannst einem echt Angst einjagen! Ich hätte nie gedacht, dass du deine Manieren in den Wind pfeifen würdest!" Ich zog die Brauen hoch.
„Komm doch raus!", rief er mir zu. Ich überlegte, zuckte die Schultern und zog das Fenster und die Fensterläden ohne Antwort wieder zu.
Hatte ich eine Wahl? Ja. Sollte ich mich in mein Bett legen? Ja. Wollte ich das? Nein, absolut nicht.
Mit dem Gedanken, dass ich sowieso nichts Besseres zu tun hatte, weil ich nicht wieder einschlafen können würde, zog ich mich an.

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Hey du ;)
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LG, Joe

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